Hier war der Zuckerbäcker am Werk: Wie eine Himbeercremetorte steht das mächtige Kurhotel vor einer grandiosen Gebirgslandschaft, gekrönt von den weissen Schlagsahnegipfeln der Alpen. Der Silberne Bär, den «Grand Budapest Hotel» dieses Jahr an der Berlinale gewann, würde sich gut machen neben dem kapitalen Hirsch, der eine Felsnadel ziert.
Dazu tönt, was kundigere Kritiker als «Zäuerli» identifiziert haben, ein Schweizer Naturjodel also, und uns wundert nichts mehr.
Denn dies ist der neue Film von US-Independent-Liebling Wes Anderson («Moonrise Kingdom»), der diesmal zum Spa in die Alte Welt einlädt. Das Grand Budapest Hotel gehört zu einer längst vergangenen Zeit, als die fiktive europäische Republik Zubrowka Fremde als Gäste empfing und nicht als Feinde. Doch der kurze Frieden der Zwischenkriegszeit neigt sich dem Ende zu, eine neue Barbarei bricht über den bunt wimmelnden Vielvölkerstaat herein, in dem ein einzelner Concierge für Menschlichkeit und saubere Handtücher eintritt.
Der geborene Concierge
Der Film beginnt mit einer Rahmenerzählung, die mehrstufig wie ein aufklappbares Fernrohr in die Vergangenheit zoomt. Eine Studentin liest im Buch eines mittlerweile verstorbenen Literaten, das Mitte der 1980er-Jahre entstand und von einer Begegnung mit dem früheren Besitzer des Grand Budapest zwei Jahrzehnte zuvor handelt. Dieser Monsieur Zéro Moustafa (F. Murray Abraham) wiederum erzählt von den Glanzzeiten des Hotels und seinen eigenen, bescheidenen Anfängen als Page.
Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs wird das internationale Grand Hotel von Monsieur Gustave (Ralph Fiennes) geführt, einem geborenen Concierge, der die Bedürfnisse seiner Gäste stillt, noch bevor diese sie bemerken. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt der betagteren Weiblichkeit, die sich dafür materiell erkenntlich zeigt. So erstaunt es nicht, dass Gustave nach dem mysteriösen Ableben einer adligen Witwe (prächtig gealtert: Tilda Swinton) ein wertvolles Gemälde vermacht bekommt und dieses gleich mitlaufen lässt – sehr zum Missfallen des Haupterben.
In der Folge müssen sich der Concierge und sein Schützling Zéro (Tony Revolori) aus einem engmaschigen Netz von Verdächtigungen und Intrigen winden: Die Polizei macht Gustave für den Giftmord an der reichen Witwe verantwortlich, und ein gedungener Killer (Willem Dafoe) in SS-Lederkluft meuchelt alle, die etwas vom Verbleib des Bildes wissen. Es gibt Verfolgungsjagden in Drahtseilgondeln, James-Bond-würdige Skiabfahrten, einen ausgetüftelten Gefängnisausbruch und immer wieder die unerschütterliche Solidarität der Geächteten und Geknechteten im Angesicht des Todes.
Unverwechselbare Handschrift
Wes Andersons bezaubernde Filme schnurren mit der Putzigkeit einer Märklin-Modelleisenbahn. Das verleiht ihnen ihre unverwechselbare Handschrift, lässt die sorgfältig erzählten Geschichten oft aber etwas mechanisch wirken. Emotionen ins Getriebe streuen auch diesmal wieder die namhaften Darsteller, die sich auf Andersons Projekte jeweils freuen wie auf Ferien: Zu den Stammschauspielern (Bill Murray, Owen Wilson, Edward Norton) stossen neue Namen wie Mathieu Amalric, Jude Law oder eben Ralph Fiennes.
Als formvollendeter Gustave raunzt er Zéro einmal an, warum der Page nicht in seiner Heimat im nahen Osten geblieben sei. «Krieg», lautet Zéros Antwort, worauf sich der Concierge ganz zerknirscht entschuldigt – seine Frage habe dem Grand Budapest Schande gemacht.
Es fällt nicht schwer, das fiktive Hotel als Sinnbild für Europa zu verstehen, zumal Anderson explizit auf die Schriften von Stefan Zweig (1881–1942) verweist. Der heimatlose jüdische Autor aus Österreich lehnte den kriegerischen Nationalismus ab und trat für ein geistig geeintes Europa ein: Ein Erbe, das heute so schepps hängt wie das entwendete Meisterwerk in der Lobby des heruntergekommenen Hotels. Dass aber ausgerechnet der Immigrant Zéro an diesen alten Werten festhält, ist ein echter Anderson.