Wer von Sünde singt, muss sie nicht zwingend bereits erfahren haben. Marianne Faithfulls Interpretation von Kurt Weills «The Seven Deadly Sins» im Basler Stadtcasino bleibt unvollendet – zuviel Reife, zuwenig Naivität.
Wer Bigotterie in sich vereint, ohne ihr selbst zu verfallen, muss sich eine Haut angelebt haben. Bei Marianne Faithfull darf man davon ausgehen. In der Popmusik hat sie die strahlenden Sechziger und die dunklen Siebziger nahe an den Protagonisten verbracht und selbst tiefste Abgründe durchschritten – wer also könnte «The Seven Deadly Sins», geschrieben von Kurt Weill und Bert Brecht, näher interpretieren als eine, die selbst einmal gefallen ist?
So setzt Faithfull nun an auf der Musiksaalbühne im Basler Stadtcasino, diese beiden Annas zu vereinen, zwei Gesichter derselben Person, die durch nordamerikanische Städte reisen und Geld zu beschaffen versuchen, um ihrer Familie ein Haus am Mississippi zu kaufen. Geschrieben in den krisengeschüttelten dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts, kommen die beiden Annas nicht ohne moralisch zweifelhafte Sumpfgänge durch, am Schluss jedoch wird der ersehnte kleinbürgerliche Traum wahr, das Geld ist da, das Haus steht, und über dem Mississippi schimmert der Mond.
All das singt Marianne Faithfull mit ihrer tiefen Stimme, die beschränkt im Umfang ist. Das Gute daran: Man ist versucht, der Stimme ihre eigene Geschichte anhören und Parallelen knüpfen zwischen Anna und Marianne, so prädestiniert scheint sie für diese Rolle.
Auf der anderen Seite sorgen passende Biografien im Gesang nicht zwingend für passende Besetzungen. In der Phrasierung ist sie schwingend, in den tiefen Lagen jedoch nicht immer auf dem Ton, und die atmosphärischen Brüche, Kratzstellen und Abgänge in einen Sprechgesang zeichnen auf Dauer ein einseitiges Bild von Annas Gang durch die sieben Todsünden. Faithfulls trockener Gesang verleiht der Geschichte einen durchwegs bitteren Ton, ausgeblendet wird jedoch die beissende Kritik, die aus dieser bigotten bürgerlichen Milieustudie von Weill und Brecht hervorgeht.
Kommt hinzu, dass sich Faithfulls Stimme kaum gegen den machtvollen, zackig intonierenden Männerchor behaupten kann und in den anschwellenden Crescendi des Sinfonieorchesters nahezu untergeht. Hat man noch den schrillen, überzeichneten Ton der Originalinterpretation von Lotte Lenya im Ohr, die sowohl die Naivität wie Berechenbarkeit der beiden Annas wiedergibt, verleiht die Reife in Faithfulls Gesang der Geschichte einen unvollendeten Klang – bis in den Epilog hinein. Nur da, wo die Stimme nicht mehr nur erzählt, sondern bereits richtet und Bilanz zieht, konturiert sich in Faithfulls Gesang ein neues Profil: In den Momenten der Schärfe, des Zorns, der Enttäuschung – da ballt sie die Faust, erhebt den Zeigefinger und drückt sich die Hand aufs Herz, und vielleicht sind das die Momente, wo sich Anna und Marianne sehr nahe kommen.