Beklemmende Filme aus der Schweiz: «Un Juif pour l’exemple» mit Bruno Ganz beleuchtet ein dunkles Kapitel unserer Geschichte. Ein anderer Film fährt aber stärker ein in Locarno: «Moka» von Frédéric Mermoud, ein Rache-Drama mit viel Suspense.
Nicht immer, wenn Bruno Ganz draufsteht, ist ein volles Haus garantiert. Am Eröffnungstag des Filmfestivals Locarno war der grosse Indoor-Saal Fevi jedenfalls nicht ausverkauft, als mit «Un Juif pour l’exemple» die erste Festival-Weltpremiere anstand. Vermutlich waren noch nicht alle Besucher angereist – oder noch mit dem Check-in (sprich: Badkleid) beschäftigt.
Auf jeden Fall lief hier ausser Konkurrenz ein Schweizer Film, der einen starken Kontrast zum unbeschwert wirkenden Sommertag am Lago Maggiore bildete: Das Waadtländer Bauerndorf Payerne im Jahr 1942. Neblig, finster.
Aus der Garage des lokalen Autohändlers Ischi schmettern deutsche Märsche, sein Schnäuzchen offenbart, wen er bewundert: den Führer. Im kleinen Format ist er selber einer, ein Rädelsführer, der Judenhass schürt und auf das neue Europa anstösst. Zum Geburtstag will Ischi Hitler ein Geschenk machen, indem er einen vermögenden jüdischen Viehhändler umbringen lässt: Arthur Bloch (Bruno Ganz).
Basierend auf der Geschichte von Jacques Chessex
Das dunkle Kapitel der Schweizer Hitler-Sympathisanten hat den Westschweizer Schriftsteller Jacques Chessex, der die Faschisten der Waadt noch mit Kinderaugen sah, ein Leben lang beschäftigt. Sein letztes Buch, «Un Juif pour l’exemple», hat Jacob Berger nun verfilmt und den historischen Teil mit zwei Ideen verknüpft: So bricht er den Dokfilmcharakter auf, indem er den erzählenden Schriftsteller integriert (gespielt von André Wilms, dem Bruno Ganz Frankreichs). Und er spannt mit Details einen Bogen in die Gegenwart, in unsere Zeit, in der Fanatismus und Rassismus wieder spürbar sind.
Leider aber baut sich beim Zuschauer keine richtige Beziehung zu diesen Menschen auf, werden diese doch nur gestreift. Berger setzt eher auf Skizzen als auf Porträts: Weder den jüdischen Viehhändler Arthur Bloch und dessen Umfeld, noch den finsteren Pastor Lugrin und seine Mitläufer kriegt man gründlich zu fassen. So hat man nach 72 beklemmenden Minuten nicht nur wegen der relativen Kürze des Films das Gefühl: Da wäre viel mehr dringelegen.
Und auch wenn solche Vergleiche verpönt sind, sie fallen im Nachhinein dann doch: Die «Akte Grüninger», von Alain Gsponer vor zwei Jahren ins Kino gebracht, war packender und schlüssiger erzählt.
«Ich wollte nicht psychologisieren, sondern dies den Zuschauern überlassen», sagt Berger nach der Premiere. Und Bruno Ganz, sichtlich bewegt, hebt hervor, wie unrühmlich sich die Schweiz in dieser Zeit verhalten habe – und wie wichtig es sei, dass man auch hierzulande über die Opfer des Zweiten Weltkriegs spreche. Damit hat er natürlich recht. Nur machen diese guten Absichten noch keinen grossartigen Film.
Suspense, Psychologie und Emotionen
Eindringlicher, aufwühlender und auch raffinierter war da die Literaturverfilmung eines anderen Schweizer Regisseurs: «Moka» von Frédéric Mermoud. Der Walliser bringt den Roman der französischen Schriftstellerin Tatiana de Rosnay auf die grosse Leinwand und feiert damit auf der Piazza Grande Premiere – völlig zurecht, denn dieser Film hat ein ganz grosses Publikum verdient.
Wie in «Juif» geht es auch in diesem Drama um ein Tötungsdelikt, um Opfer und Täter. Aber auch um Schuld, um den Umgang mit dem Verlust. Mermoud hat aus seiner Literaturverfilmung von allem mehr herausgeholt: mehr Suspense, mehr Psychologie, mehr Überraschung, mehr Emotionen.
Clever erzählt der Film ein Familiendrama auf indirekte Weise, indem er mit einer Frau aus einer Klinik flieht. Was treibt sie an, was treibt sie um? Wie ein Puzzle konstruieren wir die Vergangenheit, die die Basis für die Gegenwart und die zukünftigen Absichten dieser Frau legt: Ihr Sohn, ein Teenager, verlor bei einem Unfall das Leben. Ein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht für die Nachrichtenspalte – ein erschütterndes Ereignis, ein Todesstoss für eine ganze Familie. Oder noch mehr?
Denn die Mutter, gespielt von Emmanuelle Devos, sinnt auf Rache. Für die Polizei scheint die Sache erledigt, sie aber will die Verantwortlichen aufspüren und zur Rechenschaft ziehen.
Bei «Moka» stimmt das ganze Ensemble: Schnitt und Fotografie (wunderbar: die mal sonnigen, mal stürmischen Momente rund um Lavaux, Lausanne und Evian). Die Balance aus Drama und Thrill. Die schauspielerischen Leistungen. Die Inszenierung. Und die Musik.
Wann hat man die Mondscheinsonate trauriger erlebt als in diesem Film? Finden Sie es selber raus. «Moka», hoffentlich demnächst auch in unseren Kinos.