Hinter dem schmucklosen Namen «Face To Face» verbarg sich an der Baloise Session ein karibisch-afrikanischer Abend mit grossen Namen und unkluger Dramaturgie – im Zentrum die Grande Dame des Buena Vista Social Clubs, Omara Portuondo. Mit dem Konzert von Dr. John geht die Session 2014 zu Ende – die Veranstalter sind trotz geringerer Auslastung zufrieden.
Tief ins Sofa gedrückt sitzt da eine der letzten verbliebenen Latin-Diven aus einer vergangenen Epoche. Als wir Omara Portuondo an diesem furchtbar grauen, verregneten Novembermorgen zum Gespräch treffen, leuchtet tatsächlich ein wenig nostalgischer Glamour in der Hotellobby auf. Nicht so sehr durch ihre rührende Erscheinung – sie trägt einen zartrosa Traininganzug und deutsche Sandalen, auf die sie besonders stolz ist –, mehr durch die fantastischen Erzählungen dieser hellwachen 84-Jährigen, die einem das Kuba ferner Jahrzehnte ganz lebendig näher bringt.
«Meine Kindheit war glücklich, ich wuchs in einer sehr warmherzigen, wenn auch armen Familie auf», beginnt sie mit zarter Plauderstimme. Als Tochter eines schwarzen Baseballspielers und einer reichen Spanierin ist sie ständig Vorurteilen ausgesetzt. In der Musik der Troubadoure ihres Viertels Cayo Hueso findet sie ein kulturelles Zuhause.
Mit dem Konzert von Dr. John geht die Baloise Session 2014 heute 11. November zu Ende. Die Auslastung betrug 94 Prozent, was 16‘270 Besuchern entspricht. Damit sind die Veranstalter sehr zufrieden, wie CEO Beatrice Stirnimann auf Anfrage mitteilt. Die Auslastung liege damit zwar unter dem letztjährigen Rekordjahr, doch die damals erreichten 99 Prozent seien ja auch keine Selbstverständlichkeit. Getrübt wird die Bilanz auch durch die Absage von Morrissey, zu den Highlights zählt Stirnimann u.a. das Engagement einer Artist in Residence, der US-Sängerin und Beatboxerin Butterscotch. «Sie hat das Festival grossartig eröffnet mit Standing Ovation. Es gab diverse Jam-Sessions mit Matt Bianco, Wyclef Jean und Roberto Fonseca.» Dennoch sei aber noch offen, ob diese Idee 2015 fortgeführt werde. Marc Krebs
Der Schwester Haydée folgt sie als Tänzerin ins Cabaret Tropicana, und die jungen Wilden der 1950er adoptieren sie als Sängerin. Ihr Stil hiess «Filin», denn darum ging es: «Die wollten das Gefühl in die Musik bringen.» Mit dem Frauenensemble Cuarteto d’Aida empfängt sie sogar Nat King Cole in Kuba: «Ein ganz feiner Kerl, von dem ich menschlich viel gelernt habe», sagt Portuondo und lächelt. In ihrer Solokarriere ab den Sechzigern bereist sie die ganze Welt, vertritt auf sozialistischen Gesangsfestivals Kuba.
Der Jazz wurde auf Kuba geboren
«Als mein Sohn geboren wurde, habe ich gerade in Deutschland gesungen.» Ihre Augen leuchten und sie hebt an zu zwei Zeilen aus Wolfram Heickings «Wenn du schläfst, mein Kind». Amerikanische Melodien mischt sie mit Afrokubanischem, später auch mit Schlager und Swing. Und für sie, die Castros System immer treu geblieben ist, steht fest: «Der Jazz wurde auf Kuba geboren.»
Mit Ry Cooder kam in den Neunzigern nochmals später Ruhm. Sehr bewegt sei sie gewesen, mit Compay Segundo und Ibrahim Ferrer im Buena Vista Social Club zu singen. Und nun ist sie die letzte Verbliebene, hat ihr Debütalbum «Mágia Negra» von 1959 neu eingespielt. Aber nicht, um den Kreis zu schliessen. Sich zur Ruhe setzen? «Nein, ich werde immer weitermachen. Und wenn mich die Jungen fragen, ob ich mit ihnen Rock singe, würde ich mich sehr freuen!»
Einer der Jungen hat sie schon gefragt, wie man dann am Abend im Saal feststellen kann. Der Pianist Roberto Fonseca, wohlbekannt in Basel als progressiver Tastenmann, ist der Conferencier und mit seinem Quartett die bündelnde Kraft in einer Revue namens «Face To Face». Das Knüpfwerk der kubanischen Kultur aus karibischen, amerikanischen, atlantischen und afrikanischen Strängen entrollt sich da in vielen Kapiteln auf der Bühne.
Fonseca setzt den rituell verankerten Startpunkt, schnalzende Samples und schaufelnde Grooves arbeiten seinem virtuosen Spiel zu. Das kann durchaus auch mal Harmoniefolgen aus dem abendländischen Barock in sich tragen oder durch Vokalisen à la Pat Metheny beflügelt werden. Die Überleitung zu Omara Portuondos Erscheinen wie aus einem Guss, und: welch ein Unterschied zur Flüsterstimme am Morgen! Mit rotem Kopfband und dunklem Glitzerumhang ruft sie mit «Tabú» die Orixá-Gottheiten an, mit durchdringendem, kraftvollem Alt packt sie zu, afrikanisiert dann gar zu polternden Percussionsynkopen Harold Arlens «That Old Black Magic».
Anrührende Momente
Doch es gibt an diesem Abend auch viele stillere Momente: So etwa das anrührende «Adios Felicidad», für das sich Fonseca am Piano in eine intime Duckhaltung begibt, und Portuondos Paradestück «Veinte Años» über das Zerfliessen einer Liebe, tieftraurig vom gestrichenen Bass eingeleitet.
Oder gar «Besame Mucho»: Das abgegriffene mexikanische Evergreen wird hier zum neuen Erlebnis, da Portuondo eine kapverdische «Enkelin» begrüsst. Mayra Andrade singt dieses Duett mit ihr, und der Vergleich der Generationen ist spannend: wie vollmundig sich die Junge genau am Takt in die Romantik hineinlehnt, wie raffiniert die Grande Dame die Phrasen verzögert, als sönne sie vergangener Liebschaften nach. Und dann wagen die beiden gar ein Tänzchen, bevor Andrade mit «Ilha De Santiago» einen neckischen Gruss von ihrer Heimatinsel sendet.
Furioses Beatboxing-Battle
Es ist ein Jammer, dass die Wirkung dieser grossen – zu langen! – afrokubanischen Konzeptshow mit zunehmendem Fortschreiten durch unkluge Dramaturgie verpufft: Portuondo verabschiedet sich zunächst mit dem allzu pauschaltouristischen «Guantanamera»: Das Auditorium reisst es hier dank Wiedererkennungswert kollektiv aus den Sitzen. Und dann wird sie für das tiefsinnige «Dos Gardenias» nochmals zurückgeschickt, ohne einen würdigen Abschied zu bekommen. Denn dazwischen lieferte sich Fonseca mit Butterscotch, der erstmaligen Künstlerin «in Residence» an der Baloise Session, eine furiose Piano-Beatboxing-Battle, nach der man hätte einen Schlusspunkt ziehen müssen.
Kantiger Savannen-Funk
Und wie schade, dass die Malierin Fatoumata Diawara in die zweite Hälfte des Abends ausgelagert war, als im Saal schon merklich Müdigkeit um sich griff: Die Frau mit der knackig-kehligen Stimme und dem farbenprächtigen, selbstbewussten Auftreten hätte einen eigenen Abend verdient gehabt.
Ihre engagierten Themen von Beschneidung über Kriegswaisen bis zu Wirtschaftsflucht verpackte sie in einen kantigen Savannen-Funk mit robusten Drums und ausflugsfreudigem Bass, ihre Fünfton-Vokalisten durchschnitten dies wie ein Pfeil die Luft. Der zurückkehrende Fonseca rieb sich mit seinen Blue Notes am Flügel, bei dieser Musik, die wie ein karg eingerichteter Raum mit wohlplatzierten Möbelstücken gar keiner Ausschmückung mehr bedarf. Und so blieb am Ende die alte weltmusikalische Erkenntnis: Zu viel geht dann doch nicht unter einen Hut.