Dieses Jahr findet zum 20. Mal das Sarajevo Film Festival statt. Beim ersten Mal herrschte noch Krieg, inzwischen handelt es sich um den wichtigsten Schauplatz für den südosteuropäischen Film. Die Schweiz unterstützt das Festival seit 1996 und sponsert mitunter den Preis für den besten Dokumentarfilm im Bereich Menschenrechte.
«Als wir gesehen haben, wie das bosnische Publikum einem schwulen und einem lesbischen Kuss applaudiert, wurde uns klar, dass wir mit unserem Film etwas Wichtiges erreicht haben», sagt Jasmila Zbanic bei der Pressekonferenz zu ihrem neuesten Werk «Love Island». Der Film über eine komplizierte Dreiecksbeziehung gehört zu den Publikumslieblingen des diesjährigen Sarajevo Film Festivals und wurde wie viele andere Beiträge der vergangenen Jahre mit finanziellen Mitteln des Schweizer Filmfonds ermöglicht.
Belagerte Stadt
Mirsad Purivatra ist ein Experte für schwierige Situationen. Der Direktor des Sarajevo Film Festivals bekam dieses Jahr einen Anruf von den Organisatoren des Odessa Film Festival, weil diese wissen wollten, wie man ein Festival im Bürgerkriegszustand realisiert. Als 1995 das erste Sarajevo Film Festival stattfand, war die Stadt noch belagert. Wer sich nur schon auf die Strasse traute, riskierte damit sein Leben. Dennoch kamen 15’000 eingeschlossene Menschen, um sich 37 Filme anzuschauen. Dies war die Geburt des Sarajevo Film Festivals zu einer Zeit als es weder fliessendes Trinkwasser, funktionierende Heizungen oder auch nur genügend zu essen gab.
Zu dieser Zeit wurde Sarajevo zu einer globalen Allegorie für Multikulturalität und für die Bedeutung von Kunst und Kultur in Ausnahmesituationen. Mirsad Puritvara freut sich über die Entwicklung des Festivals: «Wenn wir sehen, wo wir angefangen haben und was für einen Weg wir zurückgelegt haben, dann ist das 20. Sarajevo Film Festival ein Grund zum Feiern. Das Filmfestival spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Films in der Region.»
Millionen aus der Schweiz
Mit Spenden aus der Schweiz wurden 1996 die ersten tausend Stühle für das Filmfestival finanziert. Initiiert wurde die Zusammenarbeit zwischen der Schweizer Botschaft und dem Sarajevo Film Festival damals von Wolfgang Amadeus Brülhart, der inzwischen als Schweizer Botschafter tätig ist und das Festival auch in diesem Jahr besuchte, weil er diesem sehr verbunden ist. Dem Programm für menschliche Sicherheit stehen jährlich 1,3 Millionen Schweizer Franken in Bosnien-Herzegowina zur Verfügung. Dieses Geld wird mitunter genutzt, um Kriegsverbrecherprozesse voran zu treiben, nach vermissten Personen zu suchen oder Landschaften zu entminen.
Kultur gegen den Krieg
Aus diesem Budget finanziert die Schweizer Botschaft in Bosnien-Herzegowina auch den Preis für den besten Dokumentarfilm sowie den Preis für den besten Dokumentarfilm im Menschenrechtsbereich. Claudia Buess, Chargée d’affaires der Schweizer Botschaft, sagt: «Das erste Sarajevo Film Festival war ein Akt des Widerstandes der Kultur gegen den Krieg. Es wurde ja noch geschossen, und es war gefährlich dort hinzugehen.» Sie betont zudem die Bedeutung des Sarajevo Film Festivals in der kulturellen Zusammenarbeit der Schweiz mit Bosnien-Herzegowina: «Die Schweizer Botschaft hier wurde 1996 eröffnet, und dies war eines der ersten kulturellen Engagements. Wir gehören zu den Pionieren, und darauf sind wir sehr stolz. Es ist eine Möglichkeit, die internationale Solidarität zu zeigen, die man mit Bosnien und Herzegowina hat».
Die Schweizer Botschaft organisiert mitunter den Menschenrechtstag, welcher vergangenen Montag stattfand und ebenfalls in Kooperation mit der Schweizer Botschaft organisiert wird. Zunächst wurde die Dokumentation «Return to Homs» über den syrischen Bürgerkrieg gezeigt. Im Anschluss folgte eine Diskussion, an der unter anderem ein syrischer Menschenrechtsaktivist sowie der Schauspieler Gael García Bernal, Preisträger des diesjährigen Ehrenherzens von Sarajevo, teilnahmen.
Daraufhin zeigte der Schweizer Film «Chasseurs de crimes» die Arbeit von Trial (Track Impunity Always) – eine Organisation, die sich dafür einsetze Kriegsverbrechen aufzudecken und gegen die Straflosigkeit anzukämpfen; ein Thema das auch in Bosnien-Herzegowina noch sehr aktuell ist.
Einsatz für die Menschenrechte
Claudia Buess betont: «Trial ist eine Partnerorganisation, mit der wir sowohl hier als auch in der Schweiz zusammenarbeiten. Deswegen wollten wir diesen Film hier zeigen». Dabei arbeitet das Sarajevo Film Festival mit dem «Festival du Film et Forum International sur les Droits Humains» aus Genf zusammen. Einer der grössten Erfolge von Trial war die Verurteilung von Erwin Sperisen, welcher von 2004 bis 2007 Leiter der Policia Nacional Civil in Guatemala war. Im Juni verurteilte ihn das Strafgericht in Genf zu lebenslanger Haft, weil er an der Ermordung von sechs Gefangenen mitgewirkt hat. Einen davon hat er eigenhändig erschossen.
Grosse Bedeutung für die Diaspora
Haris Lokvancic ist Programmleiter des Programms für menschliche Sicherheit. Er selbst kommt aus Bosnien-Herzegowina und lebte zu Kriegszeiten in Lausanne: «Ich freue mich, wenn ich eine schweizerisch-bosnische Produktion sehe. Ich erinnere mich an Andrea Štakas Film ‹Das Fräulein›, welcher ein voller Erfolg war und positiv von der bosnischen Diaspora in der Schweiz aufgenommen wurde. Wichtig war, dass er die Probleme zeigte, mit denen die Menschen zu kämpfen haben, und es um das komplexe Verhältnis zu der alten und der neuen Heimat ging. Es zeigt ein anderes Bild der Region, wenn man gemeinsame kulturelles Programme hat, und das ist auch wichtig für die Diaspora.»
Claudia Buess ergänzt: «Das war bei Štakas neuem Film ‹Cure› dieses Jahr sehr greifbar. Auf eine solche Regisseurin können sowohl die Schweizer als auch die Bosnier stolz sein, und das freut uns alle.»
Kühe als Hilfslieferung in den Kosovo
Viele Filme aus dem westlichen Balkan wären ohne finanzielle Unterstützung aus dem Ausland überhaupt nicht realisierbar. Dieser Umstand wird im kosovarischen Wettbewerbsbeitrag «Three Windows and a hanging» ironisch kommentiert: Eine Hilfslieferung Kühe in einem LKW wird vom fiktiven Verein «Swiss People for Kosovo» in ein kleines kosovarisches Bergdorf geliefert. Ein Schweizer hält eine Rede vor der Dorfgemeinschaft, die keiner so richtig versteht – auch weil die Männer in der patriarchalisch geprägten Dorfgemeinschaft sich weigern, der Übersetzerin zuzuhören – über die Kühe freuen sich die Dorfbewohner dennoch.