«Der Schaum der Tage» läuft in einer Neuverfilmung im Kino: ein guter Grund, an die Romanvorlage des französischen Schriftstellers und Musikers Boris Vian zu erinnern.
Als «Der Schaum der Tage» zum ersten Mal verfilmt wurde, war in Prag der Frühling im Anmarsch. Auf den Pariser Strassen verlangten die Studenten: «Die Phantasie an die Macht!» Charles Belmont präsentierte 1968 «L’écume des jours» als Film (mit Ursula Kübler, der Tochter des Schweizer Schriftstellers Arnold Kübler). Da entdeckte die Jugend den französischen Autor Boris Vian neu. Die Welt stand vor einer Veränderung.
In «L’écume des jours» verändern sich nicht die Menschen, sondern die Dinge. Ein Stuhl schrumpelt zusammen, wenn jemand einen Versuch macht, sich auf ihn zu setzen. Ein Haus wird kleiner, dieweil Menschen es bewohnen. Ein Zimmer kann sich auch in eine Kugelform verwandeln, wenn Duke Ellingtons Akkorde gespielt werden. Überhaupt ist das Klavier ein Zauberwerk: Wer es richtig spielt, kann damit auch einen Drink mixen. «Jeder Note ist ein scharfes Getränk, ein Likör oder ein Gewürz zugeordnet.» Spielt man Ellingtons «Black and Tan Fantasy», so kommt eine verblüffende Mischung zustande.
Ein komponierender Schreiber
Die Musik spielte denn auch in «L’écume des jours» eine wichtige Rolle. Vian war ein komponierender Schreibender. Bis ins Alter bastelte er mit Wortspielzeugen. Quer durch die Wirkungsfelder der Sprache hat er als Chansonnier, Lyriker, Dramatiker, Übersetzer und Wortakrobat die Wirklichkeit der Sprache bis in die Surrealität ausgekostet. Als Autor war Vian seiner Zeit weit voraus.
Als die Liebesgeschichte «L’écume des jours» 1947 zum ersten Mal erschien, stiess sie auf Begeisterung – im kleinen Kreis. Die französischen Intellektuellen waren mit dem Existentialismus beschäftigt. Jean-Paul Sartre dominierte den Diskurs der jungen Generation nach dem Krieg. Vian galt im Literaturbetrieb als Geheimtipp, war aber als Musiker mehr mit Jazzern und anderen Künstlern beschäftigt. Trotzdem darf man ihn als Autor als einen Vorreiter der literarischen Moderne in Frankreich sehen.
In Cannes brachte nun 2013 der Regisseur Michel Gondry («Eternal Sunshine of the Spotless Mind») Vians Kultbuch erneut auf die Leinwand. Gondry ist Vians Seelenverwandter, beide sind Synästheten. Auch Gondry macht Musik zu Bild und Sprache zu Musik. Der Phantast Vian trifft den phantastischen Gondry im bunten Bilderspiel.
Verliebte Figuren
Gondry verwandelt dabei die Pariser Sechzigerjahre in ein animiertes Panoptikum von Sehenswürdigkeiten. Wir dürfen durch eine Welt von Wunderwerken in den verzauberten Kosmos eindringen. Gondry ist verliebt in seine Figuren, wie Vian. Colin darf (Romain Duris) Chloé (Audrey Tautou) heiraten.
Doch nach einer kurzen Reise auf Wolke sieben über den Dächern von Paris kommt die grausame Wahrheit langsam an den Tag. Unmerklich verliert die farbig verzauberte Welt vor unseren Augen ihre Farbe. Es ist nämlich nicht nur eine fröhliche Liebesgeschichte, die Boris Vian schildert, sondern auch eine, die erfüllt ist vom Schmerz der Trennung. Rund um diesen tragischen Kern ist die Welt tröstlich verzaubert. In Sprache verwandelter Rausch.
Boris Vian (1920–1959) hatte viele Talente: Er war ein französischer Schriftsteller, Jazztrompeter, Chansonnier, Schauspieler, Übersetzer, wesentliches Mitglied des Collège de ‚Pataphysique und Leiter der Jazzplattenabteilung bei Philips. «Der Schaum der Tage» ist heute sein bekanntestes Werk, auch wenn es zunächst unbeachtet geblieben war.