Shakespeare und Pop? Was konträr erscheint, passt in Baz Luhrmanns Verfilmung des klassischen Stoffes unerwartet gut zusammen.
Leonardo DiCaprio, der in Shakespeare’schen Versen spricht? Das kann nur schiefgehen, dachte man 1996, als Regisseur Baz Luhrmannn die grösste Lovestory aller Zeiten mit Originaltexten verfilmte. Doch es ging nicht schief. Im Gegenteil: Romeos über 400 Jahre alte Sonett-Phrasen gingen dem damals knapp 20-jährigen Schauspieler und seiner Partnerin Claire Danes alias Julia spielend über die Lippen.
Für den australischen Regisseur Luhrmann bedeutete seine Version des Dramas den ersten wirklich grossen Wurf. Sein erster Film «Strictly Ballroom» hatte ihn einem Insiderpublikum bekannt gemacht – eine australische Dirty-Dancing-Story, angesiedelt in der Standardtanzszene, überzeichnet und grellbunt wie die Kostüme und Make-ups der Tänzerinnen.
Luhrmann kündigte damit seinen Stil an, dem er seither treu geblieben ist, egal, ob er sich in die Stadt Paris des 19. Jahrhunderts («Moulin Rouge») oder das Amerika der 1920er-Jahre («The Great Gatsby») begibt. Nur sein Australien-Epos «Australia» wirkt gänzlich brav und konventionell.
«Romeo + Juliet» jedoch markiert den Höhepunkt in seiner Bildsprache: Er schuf eine regelrechte Bildorgie in den poppigsten Farben, nicht nur, wenn Romeo und Julia sich das erste Mal durch ein blaues Aquarium mit fast schon neonfarbenen Fischen hindurch erblicken, Transvestiten an der Party der Capulets tanzen, oder weil die Montague-Jungs bevorzugt zum Hawaiihemd greifen.
Luhrmann versetzt die Szenerie zusätzlich mit einer gehörigen Portion religiösem Kitsch, nutzt die Qualitäten von Licht und Schatten bis ins Extreme und filmt gar während eines Hurrikans, um die perfekte Stimmung herzustellen. Musik von Bands wie Garbage, Radiohead, den Cardigans oder Schmusesängerin Des’ree holen die Story in die Gegenwart und machen aus ihr die Liebesgeschichte für die MTV-Generation – rasche Bildschnitte inklusive.
Neues und Altes
Es ist ein modernes Märchen, das der Australier in seinem Film erzählt. Die berühmte Geschichte zweier Liebender, eine Geschichte aber auch über Medien, über Drogen und über Gewalt. Der Chor, der zu Beginn von Shakespeares Text in die Szenerie einführt, mutiert zur TV-Nachrichtensprecherin, die von der Fehde zwischen Capulets und Montagues erzählt.
Aus den beiden Grossfamilien macht Luhrmann Gangs, die sich gegenseitig bekämpfen. Dafür liess er spezielle Pistolen kreieren, deren Namen sich an die Waffen des 16. Jahrhunderts anlehnen: Die Schusswaffen werden hier zu Dolch oder Schwert, dementsprechend beschriftet und immer wieder mittels Nahaufnahme zentral ins Bild gerückt.
Ein lauter und schriller Film, der auch die Romantik nicht zu kurz kommen lässt – unvergessen die Poolszene, die unmittelbar auf die textverbürgte Balkonszene folgt.
Neues und Altes verbinden, das hat Luhrmann mit diesem Film tatsächlich geschafft. Und wer ihn zunächst noch belächelte ob der etwas dröge wirkenden Stoffauswahl, der wurde schnell Lügen gestraft: «William Shakespeare’s Romeo + Juliet» spielte weltweit 147 Millionen Dollar ein, ein stattliches Ergebnis. Ein Glück ist der Film vielleicht auch für all die Englischlehrer dieser Welt, die ihre Schülerinnen seither mit Leonardo DiCaprio zu Shakespeares Jamben verführen können.