Kultwerk #25: Bram Stokers Dracula

Vor 100 Jahren verstarb mit dem Iren Bram Stoker der Begründer des modernen Vampir-Mythos. Doch worum geht’s bei «Dracula» eigentlich genau?

Christopher Lee, der den blutrünstigen Grafen immer wieder gab, in seiner Paraderolle. Foto: Cinetext/Getty (Bild: Cinetext Bildarchiv)

Vor 100 Jahren verstarb mit dem Iren Bram Stoker der Begründer des modernen Vampir-Mythos.

«Twilight» hin, «Vampire Diaries» her: All das, was man gemeinhin unter Vampirismus versteht, findet sich bereits in Bram Stokers Buch «Dracula» (1897). Da wäre einerseits Graf Dracula, der unheimliche Adlige aus dem weit entfernten Siebenbürgen (Englisch: Transilvania), der im Sarg nächtigt und Wolfsrudel befehligt, dessen auffällig lange, spitze Eckzähne für den Blutdurst stehen. Und da wäre sein Erzfeind Van Helsing, der als Einziger weiss, dass man Vampire mit Knoblauchblüten fernhalten kann und den Blutsaugern im Notfall einen Pflock durchs Herz rammen muss.

Was aber längst nicht jeder weiss: Die mittlerweile ins Allgemeingut übergegangene Mär, seither Dutzendfach verfilmt und wiedererzählt, spielt sich im Original wie folgt ab:

Jonathan Harker, ein aufstrebender junger Rechtsanwalt, erhält in London einen aussergewöhnlichen Auftrag. Im Schloss des ominösen Grafen Dracula soll er die Einzelheiten eines Hauskaufs regeln. Auf dem abgelegenen Landsitz angekommen, bemerkt der aufrechte und alles andere als ängstliche Bursche aber, dass sich hier gar Schlötterliges zuträgt.

Nicht nur klettert der Graf nachts flink wie eine Eidechse die Schlosswände auf und ab –ihm fehlt auch das Spiegelbild. Dafür überkommt ihn die nackte Gier, als Harker sich beim Rasieren schneidet. Als er nachts von drei flotten Schönheiten geweckt wird, die es nur auf seinen Hals abgesehen haben, reicht es Harker: Er plant seine Flucht aus dem düsteren Schloss, die ihm nach einigen vergeblichen Versuchen schliesslich auch gelingt.

Doch zum Leidwesen des jungen Juristen heftet sich der berüchtigte Graf an seine Fersen und taucht einen Monat später in der Hafenstadt Whitby wieder auf – ausgerechnet hier, wo Harkers Verlobte Mina gerade ihre Freundin Lucy besucht. Als sich da-raufhin zunächst Lucy in eine Blutsaugerin verwandelt und der Graf schliesslich sogar Mina zur Bluthochzeit auserwählt, platzt Harker endgültig der Kragen: Gemeinsam mit Van Helsing und weiteren Verbündeten nimmt er die Spur des Vampirherrschers auf und verfolgt diesen zurück zu seinem rumänischen Schloss, wo sie ihn schliesslich in der Abenddämmerung enthaupten.

«Dracula» ist nicht nur der erste moderne Vampir- und damit der wohl stilprägendste Schauerroman überhaupt. Mit seiner «pseudorealistischen» Erzählstrategie, bei der die Handlung durch Tagebucheinträge, Briefe und Zeitungsartikel einen dokumentarischen Touch erhält, trug er aus­serdem geschickt zur Entstehung des Vampirkults bei – der sich bis heute etwa mit der «Twilight»-Saga fortsetzt: Bram Stoker würde sich angesichts dieser erschreckend blutleer ausgefallenen Wiederverwertung allerdings im Grab umdrehen.

In dieser Rubrik stellen wir jeweils ein Kultwerk vor, das in keiner Sammlung fehlen sollte.

Abraham Stoker (1847-1912).

Abraham Stoker (1847-1912). (Bild: Getty)

Bram Stoker (1847–1912)

Ein Leben, so schillernd wie sein Meisterwerk: Nach einer Wunder-Genesung wurde der Ire, der als Kind nicht gehen konnte, Sportler, Beamter, Journalist, Theatermacher und schliesslich Manager des berühmten Schauspielers Henry Irving. Seinen «Dracula» (1897) bezog der Okkultist auf den Fürsten Vlad Drăculea (1430–1477) – aber auch auf Arbeitgeber Irving.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.04.12

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