Am 15. Mai würde der Dramatiker und Arzt Arthur Schnitzler seinen 150. Geburtstag feiern.
Überfliegt man seinen Namen, so kommt einem das panierte Fleischplätzli von Welt in den Sinn: das Wiener Schnitzel. Mit seiner Groteske «Der grüne Kakadu» hat der Wiener Schriftsteller Arthur Schnitzler kein gastronomisches, aber ein literarisches Kultwerk geschaffen, das sich lohnt, sich zu Gemüte zu führen.
Mit seinen humorvollen, oft bissigen Theaterstücken wurde Schnitzler um 1900 bekannt und zu einem berühmten Vertreter der Wiener Moderne: Prägnante Dialoge, die mit viel Witz, Ironie und Sprachraffinesse den Zuschauer fesseln, waren seine Stärke und lassen einen ob der absurden Szenerie und dem damit verbundenen «angenehmen Kitzel» heute noch schmunzeln.
Noble Gäste und kriminelle Komödianten
«Der grüne Kakadu» dreht sich nicht um exotisches Geflügel. Der Titel des Stücks ist der Name der Spelunke, in der sich das Theater abspielt. Man schreibt den 14. Juli 1789 in Paris, draussen gehen Horden wutentbrannter Bürger auf die Strasse und stürmen die Bastille. Drinnen spielen Komödianten den adligen Gästen zu deren Belustigung «Verbrechermilieu» vor: Taschendiebe, Mörder, Huren und anderes Gesindel geben ihre erfundenen Geschichten zum Besten.
Diesem verruchten Treiben ist auch ein Polizist, der Herr «Kommissär», auf die Schliche gekommen: er will den «Orgien», wie er das Spelunkenspiel nennt, ein Ende setzen – wird aber von den noblen Gästen und kriminellen Komödianten zum hilflosen Statisten degradiert und von der Französischen Revolution, die von den Pariser Strassen in die «Verbrecherherberge» hereinbricht, zur Witzfigur deklariert.
Richtende Realität und absurde Illusion
Aus dem vulgären Spass wird bitterer Ernst, die Grenze zwischen richtender Realität und absurder Illusion verschwimmt. Mit dem tatsächlichen Mord am Adligen «Herzog von Cadignan» schliesst der Einakter. Die Inszenierung des brutalen politischen Tumults, in welchem jegliche Menschlichkeit abhanden kommt, liest sich retrospektiv wie ein prophetischer Vorgeschmack auf das, was dem damaligen Österreich-Ungarn an politischen Umbrüchen im 20. Jahrhundert noch bevorstehen sollte.
Neben Theaterstücken umfasst Schnitzlers literarischer Nachlass Novellen, Romane und Gedichtbände, er gewann zahlreiche Auszeichnungen, hatte aber auch mit Verboten und der Zensur zu kämpfen. Wechselhaft ist auch das Leseerlebnis: Man schwankt zwischen Belustigung und Entsetzen. Wie man nach dem Revolutions-Reigen wieder in den Alltag zurückfindet? Der adlige Marquis gibt am Ende des Stücks einen Tipp: «Applaudieren wir, meine Freunde, nur so können wir uns von diesem Bann befreien.» Na dann: Applaus!
In dieser Rubrik stellen wir jeweils ein Kultwerk vor, das in keiner Sammlung fehlen sollte.
1862 in Wien geboren, veröffentlichte Arthur Schnitzler bereits mit 18 Jahren Gedichte, studierte aber Medizin. Nebst wissenschaftlichen Texten schuf der Arzt auch literarische Werke. «Der grüne Kakadu» gehört mit dem «Anatol-Zyklus» und der «Traumnovelle» (welche Stanley Kubrick zum Film «Eyes Wide Shut» inspirierte) zu den bekanntesten. 1931 starb Schnitzler in Wien.
- Arthur Schnitzler im TV: Dokumentation von Herbert Eisenschenk mit dem Titel «Begierde und Sehnsucht – Arthur Schnitzler» am 19. Mai 2012, 22.00 Uhr, 3sat
- 3sat zeigt zum 150. Geburtstag des Schriftstellers auch drei Schnitzler-Verfilmungen: Am 16. Mai 2012, 22.25 Uhr, Peter Patzaks 1989 entstandene Interpretation von «Frau Berta Garlan» mit Birgit Doll in der Titelrolle und am 19. Mai 2012, 20.15 Uhr, gibt es Max Ophüls‘ «Der Reigen» (1950) mit u. a. Anton Walbrook und Simone Signoret.
- «Christine» – ein mit Romy Schneider und Alain Delon hochkarätig besetzter Filmklassiker aus dem Jahre 1958 und eine Adaption von Schnitzlers Tragikomödie «Liebelei», 19. Mai 2012, 11.20 Uhr, ORF 2.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12