Gustav Klimts «Kuss» kennen alle, deshalb stellen wir zu seinem 150. Geburtstag «Danaë» vor.
Wunderschön sei sie gewesen, Danaë, die Tochter Akrisios’, des Königs von Argos. Und kinderlos. Damit dies so bleibe, sperrte Akrisios Danaë ein. Denn ein Kind von ihr, so lautete ein Orakelspruch, werde ihn töten. Göttervater Zeus jedoch begehrte die junge Dame so sehr, dass er sich in einen Goldregen verwandelte und Danaë in ihrem Gefängnis einen befruchtenden Besuch abstattete. Neun Monate später erblickte Perseus das Licht der Welt, und Jahre darauf sollte ein von Perseus geworfener und abgelenkter Diskus unglücklicherweise seinen Grossvater töten – die Prophezeiung war erfüllt.
Unser Kultwerk widmet sich nicht dem Schicksal des berühmten Heroen, der Medusa enthauptete, sondern seiner Mutter. Immer wieder haben Künstler den Moment gemalt, in dem Danaë Zeus in Form des Goldregens empfängt.
Kein Wunder – das mythologische Motiv bot schliesslich einen wunderbaren Grund, zumindest implizit einen Geschlechtsakt zu verbildlichen. Gerade in der Renaissance und im Barock wurde die erotische Komponente der Geschichte aktiv verstärkt.
Gustav Klimts entrückendes Gemälde
Gustav Klimt aber, der sich 1907/08 dieses Motivs annahm, gelang die wohl entrückteste Darstellung: Alles Erzählende hat der österreichische Maler aus dem Bild verbannt und stattdessen den Moment der Zeugung als zeitlosen Augenblick erfasst. Völlig selbstversunken liegt Danaë mit geschlossenen Augen und angezogenen Beinen da, der Oberschenkel füllt einen Grossteil der Bildfläche aus. Das rote Haar symbolisiert ihre Sexualität ebenso wie die halb geöffneten Lippen. Danaë, das ist in diesem Gemälde offenkundig, gibt sich Zeus willig und mit sichtlichem Vergnügen hin.
Klimts Obsession einer sich selbst genügenden, ausschliesslich weiblichen Sexualität äussert sich hier in einem Bild, in dem die Erinnerung an den ursprünglichen Mythos fast gänzlich getilgt ist. Doch Klimt waren bei der Darstellung seiner Danaë kompositorische Elemente ebenso wichtig wie der Inhalt.
Die Frau auf ihre Sexualität reduziert
Ein Hintergrund ist kaum sichtbar, das Bett auf die Andeutung von Stoffen reduziert. Selbst der Goldregen ist nurmehr Ornament. In keinem seiner anderen Bilder hat Klimt die Reduktion der Frau auf ihre Sexualität so weit getrieben. Trotzdem wahrt das Gemälde durch Stilisierung und Formalisierung die Distanz – Anfang des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Punkt: Moralische Vorurteile bezwang Klimt durch Reichtum und Dekor, durch üppige Schönheit. Und das nicht nur im Falle der «Danaë».
Gustav Klimt (1862–1918) war der wohl bekannteste Vertreter des Wiener Jugendstils, auch Wiener Secession genannt. Schon zu Lebzeiten galt er als der «Maler der Frauen». Sein wohl berühmtestes Bild ist der unzählige Male reproduzierte «Kuss». Am 14. Juli wäre Klimt 150 Jahre alt geworden.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.07.12