Kultwerk #5: Cottonwoodhill

Klang-Trip in die Vergangenheit: 1971 erforschten Brainticket mit ihrem Debütalbum das Hörbewusstsein.

«Diese Musik kann Ihr Gehirn beschädigen!», warnte die Plattenfirma 1971. Das schlug kräftig ein.

Klang-Trip in die Vergangenheit: 1971 erforschten Brainticket mit ihrem Debütalbum das Hörbewusstsein.

Wer sein Bewusstsein erweitern möchte, dem sei ein Kinobesuch empfohlen: In «The Substance» wird die Geschichte von LSD aufgearbeitet. Der Dokumentarfilm beginnt mit der Entdeckung durch Doktor Hofmann in den Sandoz-Labors und endet mit (Rehabilitations-)Versuchen im therapeutischen Bereich. Dazwischen: die Hippie-Ära, die bis heute kulturhistorische Flashbacks evoziert. Was uns zum Griff ins Plattenregal animiert: «Cottonwoodhill» heisst das faszinierend-irritierende Debütalbum von Brainticket.

Die Band war 1968 in Basel gegründet worden. Strippenzieher: der Belgier Joël Vandroogenbroeck. Eigentlich Jazzpianist, hatte er die entfesselnde Kraft der Rockmusik für sich entdeckt, von Jimi Hendrix bis Pink Floyd. Vandroogenbroeck holte Leute wie den Schlagzeuger Cosimo Lampis, den Bassisten Werner Fröhlich oder den Perkussionisten Wolfgang Paap ins Boot und liess sich mit ihnen in langen Improvisationen treiben. Sie nannten sich Brain­ticket und schufen Soundtracks für Kopf­reisen.

Obschon die Zeit nie besser war für psychedelische Musik, hatten Brainticket keinen leichten Start, wie sich Vandroogenbroeck erinnert: «Das Konzertpublikum verstand unsere Musik zunächst nicht.» Dennoch fand sich eine Plattenfirma, die an das Potenzial glaubte: die Schweizer Phonag. Sie liess die Musiker ein Album aufnehmen, das mit «Black Sand» eröffnet wurde: einer tranceartigen Vertonung von Eindrücken, die Vandroogenbroeck Jahre zuvor im Kongo gesammelt hatte. Auf die Klänge von wabernder Hammondorgel, verzerrter Stimme und schneidender E-Gitarre folgt ein entspannter Funk mit Querflöten-Thema («Places Of Light»), ehe sich Brain­ticket fiebrig in repetitivem Dschungeltrance verlieren. Eine Frauenstimme (Dawn Muir) spricht, fleht und schreit schliesslich verzweifelt, sodass einem klamm wird: Da scheint ein Trip ausser Kontrolle geraten. Der psychedelische Sound kommt nicht von ungefähr: «LSD hat die Plattenproduktion beeinflusst», sagt Vandroogenbroeck. Diese Bewusstseinserweiterung wurde denn auch clever vermarktet: «Listen to the first recording of this LSD/Hashish/Fixy/Jointy Sound», liest man auf der Plattenhülle.

Das Album fuhr auch kommerziell ein. Fast eine Million Mal soll es sich verkauft haben, sagt Vandroogenbroeck. «Reich wurde ich aber nicht. Man hat uns über den Tisch gezogen.» Fragte er nach Tantiemen, so wimmelte ihn die Plattenfirma stets ab.

Ihm bleibt der Trost, ein international respektiertes Kultalbum geschaffen zu haben. Denn wie schreibt doch das Internet-Lexikon «All Music Guide»? «One of the trippiest records ever made!» Respekt.

In dieser Rubrik stellen wir jeweils ein Kultwerk vor, das in keiner Sammlung fehlen sollte.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11

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