Kultwerk #69: Die Swatch

Wir lernten lesen auf ihr und mögen sie noch immer – dieser Tage wird die Swatch 30.

Hier ein Paar Modelle in farbstarker Ausführung: Die Swatch gibts vor allem im Plural. (Bild: SHERWIN)

Wir lernten lesen auf ihr und mögen sie noch immer – dieser Tage wird die Swatch 30.

Junge Menschen durchlaufen Rituale. Wenn sie etwas gelernt haben oder lernen sollen, erhalten sie das passende Gerät. Am ersten Schultag gibts einen Füller. Den ersten Rasierer schenkt der Vater. Und wer lernt, die Uhr zu lesen: kriegt eine Swatch. Zumindest alle Jahrgänge nach 1980. Denn schon ein Jahr nachdem Nicolas Hayek 1983 die ersten Modelle vorgestellt hatte, war die millionste Swatch verkauft und das Label fest etabliert.

Das kam für die Schweizer Uhrenbranche gerade noch rechtzeitig. In den 70er-Jahren war ihr Anteil am Weltmarkt von 50 auf 15 Prozent geschrumpft. Wo man traditionell ein wertiges Artefakt mit mechanischem Werk am Gelenk trug, wurde nun der Markt mit massenweise günstigen Quarzuhren aus Asien aufgemischt. Doch die Swatch konnte preiswert gegenhalten, mit einem einteiligen und flachen Gehäusedesign aus Kunststoff, das funktioniert und gut aussieht, alles für 50 Franken. Da die Swatch AG aus fusionierten Unternehmen hervorging, die auch Traditionsmarken wie Omega und Longines vertrieben, durfte mit der Plastikuhr auch die Luxusbranche wieder Aufwind erleben.

(Bild: Commerzbank AG)

Irgendwie gut, diese Swatch. Warum eigentlich? Spätestens als eine 140 Meter lange Version des frechen Dings an einem Frankfurter Hochhaus hing, war der Wind der neuen Zeit zu spüren. Eine Popuhr, Massenware, nicht spiessig edel, sondern billig und trotzdem mit Stil. Natürlich war es nie das primäre Ziel von Swatch, dem gemeinen Mann einen zuverlässigen Zeitmesser zu ermöglichen. Der Name täuscht: «Swatch» setzt sich nicht aus den Worten «Swiss» und «Watch» zusammen, von wegen Schweiz und Uhr neu vereint bla bla. «Swatch» heisst «Second Watch» und beschreibt den Lifestyle, sich eine Zweituhr zuzulegen, flockig leicht und peppig, und die kostet ja nix, eine ist keine, zwei schon gar nicht, und die Farbe der Saison lässt sich nun auch am Handgelenk empfinden.

Ihren Höhepunkt hatte die Swatch in den 90ern. Heute geht bekanntlich alles bachab ausser dem Luxusuhrensegment. Und Retroversionen früher Casiouhren sind angesagter. Ist es aus mit der Swatch? Nein, nein, es geht ihr gut, fast 400 Millionen Stück sind verkauft. Für Pragmatiker bleibt sie erste Wahl. Und als Understatement jeder Couleur unbestechlich.

Jacques Müller und Elmar Mock

(Bild: Keystone)

Nicolas Hayek hats promotet, aber diese beiden Herren, zwei junge Ingenieure, haben die Swatch erfunden. Ruhm ernteten sie dafür wenig. Mock (im Bild rechts) zerstritt sich später mit Hayek und führt heute sein eigenes Erfinderunternehmen Creaholic mit Sitz in Biel.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13

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