Vor 20 Jahren, im Juli 1993, gelang der isländischen Sängerin Björk mit einem Album der Superlative der Durchbruch.
Kürzlich auf Facebook. Jemand stellte die Gretchenfrage, warum keine guten Alben mehr erscheinen würden. Ungeachtet der Frage, ob dem tatsächlich so sei (ich behaupte: nein) liess mich diese Frage zurückdenken an die Zeit, wo sogar eine ganze Menge guter Alben aufs Mal erschien, nämlich Anfang der 1990er-Jahre.
Nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung schien ein gewisser Nellee Hooper aus Bristol: Er produzierte mit Bands wie Soul II Soul, No Doubt oder Smashing Pumpkins eine ganze Reihe wegweisender Alben – ohne die Klassiker des «Bristol Sounds» überhaupt miteinzubeziehen.
Innovative Exzentrikerin
Genau 20 Jahre ist es her, seit Björk mit «Debut» erstmals die Charts eroberte. Mit «Post» (1995), «Homogenic» (1997), «Vespertine» (2001), «Medulla» (2004), «Volta» (2007) und «Biophilia» (2011) liess sie weitere Alben folgen, die meist positiv bewertet wurden und ihren Ruf als innovative Exzentrikerin festigten.
So erstellte sie ihr letztes Album teilweise auf einem iPad und veröffentlichte es auch als App-Serie.
Auch die junge Isländerin Björk, die mit ihrer Alternative-Rock-Band Sugarcubes bereits einige Achtungserfolge aufzuweisen hatte und ihres Freundes wegen von Reykjavik nach London gezogen war, verfiel dem charmanten Jung-Produzenten. Also schrieb sie die Songs für ihr geplantes Soloalbum – welche teilweise seit ihrer Teenager-Zeit existierten, für die sie aber bisher noch nicht das richtige Ambiente gefunden hatte – nochmals um, weg vom Jazz, hin zur Electronica-Atmosphäre.
Hybrider Sound
Das heisst allerdings nicht, dass der Jazz keine zentrale Rolle für die Musik spielen sollte – im Gegenteil: Wie auf den beiden von Björk solo produzierten Stücken «The Anchor Song» und «Aeroplane» zu erkennen ist, bilden jazzbasierte Arrangements und Gäste wie Saxophonist Oliver Lake nach wie vor das Rückgrat der Tracks.
Dank Hoopers Ideen und dem Input des damals noch unbekannten Studio-Technikers Marius de Vries, der später mit Madonna zusammenarbeiten sollte, entstand innerhalb weniger Wochen der hybride Sound, die Mixtur aus organischen und synthetischen Klängen, die das Publikum von nun an mit der isländischen Sirene verbinden sollte.
Der Erfolg des Albums übertraf sämtliche Erwartungen der Beteiligten. Es schoss auf Platz 3 der englischen Charts – mehr als ein Überraschungserfolg für den offiziellen Erstling der damals 28-Jährigen. (Ihr tatsächliches Debüt, eine Sammlung von Covers beliebter Hits, war bereits 1977 in ihrer Heimat erschienen.) Mit dem Resultat war Björk Gudmundsdottir trotzdem nicht ganz zufrieden: In späteren Jahren äusserte sie sich nämlich kritisch über den Sound des Albums: Er sei für ihren Geschmack zu sehr «good taste» geworden.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.07.13