Mit dem Gewohnten brechen: Eine neue Werkschau im Ausstellungsraum Klingental zeigt, was Kunst mit Ausstellen zu tun hat.
Gewohnheit ist das Ende aller Kreativität. Wenn man etwas aus Gewohnheit tut, passiert dies automatisiert und unbewusst – wie Kaugummikauen. Es braucht einen Bruch, um sich wieder bewusst mit Inhalten auseinandersetzen zu können. Diesen Bruch leistet die Kunst. Sie ist die Verfremdung des Gewohnten, die neue Sichtweisen ermöglicht.
So ähnlich klingt es im Saalblatt zu «Exhibition View», der neuen Ausstellung im Ausstellungsraum Klingental. Die Kuratoren Angela Cerullo und Gorgio Bloch, selbst auch künstlerisch tätig, haben sich mit einem Thema beschäftigt, das in der Kunst immer mitschwingt, jedoch selten explizit thematisiert wird: Das Ausgestellt-Sein. «Wir haben versucht, Künstler zu finden, die das Thema des Ausstellens in ihr künstlerisches Schaffen integrieren», sagt Bloch. Die Wahl fiel auf vier Positionen, die ihr Ausgestellt-Sein aktiv in ihre Arbeit fliessen lassen.
Schachspiel auf Leinwand
Dazu gehört der schachbegeisterte Zürcher Vincent Kriste, der sich in «Match of the Century» mit der legendären Finalpartie der Schachweltmeisterschaft von 1972 befasst. Dabei hat Kriste die Spielbewegungen des Amerikaners Bobby Fischer und seines Herausforderers aus Russland, Boris Spasski, auf quadratischen Leinwänden in weisse Flächen übersetzt. Die kleinen Quadrate sind in einer Reihe gehängt. Von links nach rechts wird der Verlauf erzählt. Verschiedene Elemente behindern aber den Lesefluss: Da sind zwei grossformatige Malereien von Sesseln, kleine Textausschnitte und Leseblöcke, die man als Infoboxen aus historischen Museen kennt und nun irgendwie fehl am Platz an der Wand hängen.
Alles Absicht: Das Schachspiel wird in einem ersten Schritt den Bedingungen der Malerei angepasst und umgekehrt. Spielzüge werden zu Farbflächen, das glänzende, zerschlissene Leder eines Stuhls wird zur dicken zerrupften Farbschicht, die sich von der Leinwand abhebt. «Es ist die Verschmelzung zweier Systeme, dem des Spiels und dem der Malerei», sagt Cerullo. Die Hängung und «störenden» Elemente sind Teil des neuen Systems, das einen Betrachter voraussetzt und fordern will.
Herausgeforderter Betrachter
Auch Bettina Graf, die mit der Serie «Eyes Wide Shut» vertreten ist, beansprucht den Betrachter. Anders als bei Kriste gibt es bei der Künstlerin jedoch keine Chronologie, sondern assoziative Teile, die sich auf den Film von Stanley Kubrick beziehen. Der Film steht am Anfang und wird dann von Graf prozesshaft verarbeitet und wiedergegeben. Dazu gehören Malereien von Christina Kubrick oder Stills aus dem Film, die Graf in China kopieren lässt und dann von eigener Hand weiter bearbeitet. So sieht man in einem Bild einen Flur, in dem eigentlich Nicole Kidman stehen sollte – die aber von Graf kurzerhand malerisch wegretuschiert wurde.
«Es geht darum, dass der Betrachter sich selbst zurecht findet» sagt Bloch. In Zeiten, wo alles zu jeder Zeit benutzerfreundlich in mundgerechten Häppchen zu haben ist, bilden solche Kunstwerke einen Gegenpol, der den Konsumenten herausfordert und einspannt. Für Cerullo ist diese Herangehensweise in der Ausstellung zentral: «Es soll kein Spaziergang sein für den Betrachter, er soll sich bewegen und irritiert werden.»
Dieses Prinzip haben die Kuratoren ausgezeichnet umgesetzt. Die Werke thematisieren nicht nur inhaltlich ihr Ausgestellt-Sein und den Bezug zum Betrachter, sondern sind auch dementsprechend gehängt: Die kleinformatigen Tusche-Malereien der Bernerin Maja Rieder etwa erfahren durch ihre Anbringung mit unregelmässigen Abständen eine Rhytmisierung, die das Thema auf einfachste Weise auf den Punkt bringt: Die Kunst braucht den gewohnten Raum, um den Bruch zu vollziehen. Bei Rieder ist dies das Prinzip der exakten Hängung, bei Graf die Erzählung, bei Krise die Historizität.
Kleine Gesten, grosse Wirkung
Bei der vierten Position ist es die weisse Wand: Der Künstler Jonas Etter zeigt in «The Grand Gesture» die Projektion eines an einer weissen Wand angebrachten, überdimensionalen Blatt Papiers. Lange Zeit passiert nichts. Gerade als man resigniert weiterlaufen will, erklingt ein gewaltiges Donnern und der obere Rand des Papiers löst sich von der Wand und fällt hinunter.
Kleine Gesten, die viel ausmachen. Mit solch feinen Eingriffen haben Cerullo und Bloch eine Ausstellung geschaffen, die den Bruch mit der Gewohnheit mühelos und trotzdem anspruchsvoll inszeniert. In «Exhibition View» hat man die Möglichkeit, sich spielerisch mit der Aufgabe und Position von Kunst auseinanderzusetzen und das ewige Kaugummikauen mal wieder zum Erlebnis werden zu lassen.