Kunst des Entgleitens

In der neuen Ausstellung «Vanishing Point» im Klingental geht es ums Verschwinden. Heute Abend zeigen die Involvierten aber noch einmal Präsenz: Mit Performances, Vorträgen und Risotto-Cornets à la Chramosta.

Roland Roos', beziehungsweise Edwin Deens Alltagsgegenstände vor Martin Chramostas gemietetem Twingo, mit dem man samt Künstler Spazierfahrten unternehmen kann.

In der neuen Ausstellung «Vanishing Point» im Klingental geht es ums Verschwinden. Heute Abend zeigen die Involvierten aber noch einmal Präsenz: Mit Performances, Vorträgen und Risotto-Cornets à la Chramosta.

Eine Kunstausstellung verläuft meist nach demselben Prinzip: Künstler macht Kunst, Kunst wird ausgestellt, Besucher schauen sich Kunst an. Was aber, wenn sich die Ausstellung mit dem Verschwinden des Kunstobjekts befasst? Wenn das zentrale Thema der Fluchtpunkt ist, jene Stelle im Sichtfeld, auf die alles zuläuft, die sich einem aber stets wieder entzieht?

Die Antwort auf diese Frage ist zurzeit im Ausstellungsraum Klingental zu finden und – Thema zum Trotz (oder eben gerade nicht) – anzuschauen: Unter dem Titel «Vanishing Point» hat die polnische iaab-Gastkuratorin Agnieszka Sosnowska sieben Künstler dazu eingeladen, sich Gedanken zum Thema Fluchtpunkt zu machen. Dabei geht es der Kuratorin um Strategien des Versteckens, aber auch des Lügens oder Versagens als Künstler. «Sosnowska interessiert sich für Kunst, die sich vom typischen Markt abgrenzt, die vom «richtigen Weg» abweicht» meint Bruno Steiner, der die Kuratorin betreut.

Zwischen ganz und gar nicht Kunst: Plastiksack und Mietauto

Kein einfaches Thema, besonders wenn man bedenkt, dass gerade erst der Akt des Ausstellens die Kunst zu ebensolcher macht und sie damit augenblicklich auf den «richtigen Weg» bringt. Doch bereits am Eingang beweist die erste Künstlerin, dass es Mittelwege gibt: Brigitte Dätwyler hat eine Mail an die Kuratorin verfasst, in der sie über den Kunstmarkt und die Rolle des Kunstwerks reflektiert, und sie auf eine Plastiktüte gedruckt. Der Besucher kann sich eine Tüte mitnehmen – und damit machen was er will. 

Zum Mitnehmen: Brigitte Dätwylers auf Plastiktüte gedrucktes Mail an die Kuratorin.

Zum Mitnehmen: Brigitte Dätwylers auf Plastiktüte gedrucktes Mail an die Kuratorin.


Auf ganz andere, aber mindestens so unterhaltsame Art und Weise wird der Betrachter bei Martin Chramosta einbezogen. Dieser steckte sein Budget in ein Auto: Ein weisser gemieteter Twingo steht mitten im Ausstellungsraum für Spritzfahrten mit dem Künstler bereit. Für die Ein- und Ausfahrt hat Chramosta eigens eine Rampe vor den Ausstellungsraum gebaut und neben dem Auto ist ein Anmeldetalon aufgehängt, auf dem man sich für die Spazierfahrten eintragen kann. Das hässliche Ding (dreck-weiss gepaart mit türkisfarbener Werbe-Aufschrift) steht wie ein Fremdkörper im Ausstellungsraum – als zwischengeparktes Objekt, das sich weder als strenges Kunstwerk noch simples Vehikel einordnen lässt.  

Ein ähnliches «Dazwischen» vermittelt das Performance-Relikt des Künstlerkollektivs Jocjonjosch: Zwei ausgemergelte Lederbänder liegen auf dem Ausstellungsboden und verweisen auf die Performance des Eröffnungsabends, in der sie die Hauptrolle spielten. Die Aktion ist längst vorbei, die Künstler weg, übrig bleiben nur diese zwei Dokumente, ähnlich unfassbar wie der Twingo und die Papiertüten. Wie der Fluchtpunkt entziehen sie sich bei näherem Betrachten immer wieder jeglichen Versuchen einer Festmachung und verschwinden ins Unfassbare.

Der Künstler verschwindet

Roland Roos, (der übrigens dieses Jahr den Manor Kunstpreis Zentralschweiz gewonnen hat) verschwindet im wahrsten Sinne des Wortes – anstatt eines eigenen Werkes stellt er das eines Anderen aus: Er kaufte sich mit dem Ausstellungsbudget eine Arbeit des Holländers Edwin Deen und brachte sie in den Ausstellungsraum. Das Arsenal an Alltagsgegenständen, bestehend aus kleinen farbige Badekugeln, Putzmitteln, Schwämmen, Bonbons und weiteren fein säuberlich aneinandergereihten Kleinigkeiten, verschiebt den Fokus vom Künstler auf die Produktion und dem tagtäglichen Produktekonsum. Der Künstler – Deen und besonders Roos, der das Werk eines Anderen zum Seinen macht – wird von der Anwesenheit dieses Kleinkrams regelrecht verdrängt.

Auch die Videoarbeiten der Ausstellung setzen sich konsequent mit der «Vanishing Point»-Thematik auseinander: Florian Graf schlüpft in die Haut des Künstlers Olf Graphenheim, der polnische Künstler Lukasz Jastrubczak schreitet mit einer gebastelten Fluchtpunkt-Konstruktion durch Florenz und die Künstlergruppe «Waschmaschine Gruppe» (zu Gast mit dem Nomadenraum deuxpiece) entfernt dicke Plakatschichten von einer Litfasssäule. Wie der Fluchtpunkt sind diese Arbeiten und ihre Macher ungreifbar und entgleiten trotz ihrer konkreten Ausführung stets aufs Neue.

Um der ständigen Entgleitung einen Fixpunkt gegenüberzustellen, hat Sosnowska glücklicherweise auch noch einen Event organisiert, der teilnehmende Künstler und weitere Gäste ganz konkret noch einmal an den Ort des Geschehens bringt: Sarina Scheidegger und Ariane Koch veranstalten eine (käufliche) Performance, die Kunstplattform «Schwarze Piste» ist vor Ort, das pataphysische Institut ist zu Gast und Künstler und Twingo-Chauffeur Martin Chramosta wird mit eigens kreierten Risotto-Cornetti fürs leibliche Wohl sorgen.

Ausstellung «Vanishing Point» im Ausstellungsraum Klingental, 7. September bis 5. Oktober. Special Event: 20. September, 19 Uhr.
 

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