«Kunst kommt von Kunst» – aber wo fängt das Plagiat an?

Wenn es eine Konstante in der Kunstgeschichte gibt, dann die sogenannte Aneignung: Seit der Antike kupfern Künstler bei anderen Künstlern ab – zu ganz unterschiedlichen Zwecken. Für Juristen ist diese Praxis nicht immer einfach, wie die Juristische Fakultät der Uni Basel an einer Tagung aufzeigte.

Frappante Ähnlichkeit: Links der Sündenfall von Tizian (um 1550), rechts der von Rubens (1628/29).

Wenn es eine Konstante in der Kunstgeschichte gibt, dann die sogenannte Aneignung: Seit der Antike kupfern Künstler bei anderen Künstlern ab – zu ganz unterschiedlichen Zwecken. Für Juristen ist diese Praxis nicht immer einfach, wie die Juristische Fakultät der Uni Basel an einer Tagung aufzeigte.

Dieser Tizian hat es als Vorbild und Vorlage in sich: Auf den grossen Meister der italienischen Renaissance griffen gleich zwei der drei Referenten zurück, die sich an der Tagung «Kunst und Recht» der Juristischen Fakultät der Uni Basel mit dem Prinzip der künstlerischen Aneignung und den möglichen rechtlichen Folgen auseinandersetzten.

Der Heidelberger Kunstrechtsspezialist Erik Jayme verwies auf Gerhard Richters Gemäldeserie «Verkündigung nach Tizian», die im Titel bereits besagt, dass sich der Altstar der Gegenwartskunstszene Motiv, Komposition und Farbgebung des Originals von Tizian aneignete. Und doch sind die verfremdeten Gemälde deutlich als typische Richter-Werke erkennbar.

Kunsthistoriker Andreas Beyer präsentierte Rubens‘ «Sündenfall» mit Adam und Eva von 1628/29 als Beispiel. Das Gemälde ist als typischer Rubens erkennbar, bis man ihm den knapp 80 Jahre früher entstandenen «Sündenfall» von Tizian (um 1550) gegenüberstellt. Rubens hat ganz klar bei Tizian abgekupfert, auch wenn er die Körperstellung des Adam abgeändert hat.

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Als Aneignung bezeichnet: Gerhard Richters «Verkündigung nach Tizian» (1973) – eines der vier Variationen, die vom Kunstmuseum Basel erworben werden konnten.

Als Aneignung bezeichnet: Gerhard Richters «Verkündigung nach Tizian» (1973) – eines der vier Variationen, die vom Kunstmuseum Basel erworben werden konnten. (Bild: Kunstmuseum Basel – ©Gerhard Richter)

Es sind zwei besonders augenfällige und durch die Popularität ihrer Schöpfer auch spektakuläre Beispiele für künstlerische Aneignungen von Motiven oder ganzen Werken anderer Künstler – ein Prinzip, das sich durch die gesamte Kunstgeschichte durchzieht. Seit der Postmoderne spricht man von Appropriation Art. Anders als beim Plagiat oder der Fälschung verfolgt hier die Kopie das Ziel, ein eigenständiges neues Kunstwerk zu schaffen. Rechtsprofessor Jayme sprach in seinem Referat von «Zweitkunst».



Die Original-Verkündigung von Tizian (1542/43).

Die Original-Verkündigung von Tizian (1542/43).

Bei der «Zweitkunst» gerät man schnell mal ins «Zwielicht des Rechts», wie Jayme sich ausdrückte. Wann ist eine Kopie eine Fälschung oder ein urheberrechtlich zu beanstandendes Plagiat, wann ein eigenständiges Werk, das sich auf die künstlerische Freiheit oder Meinungsfreiheit berufen kann?

Aura des Originals

Und hier wird es komplex, wie Jayme ausführte. Denn während sich der Erstkünstler auf sein Urheberrecht berufen kann, steht dem Zweitkünstler die Kunstfreiheit zu. Zumindest dann, wenn er die Erstkunst parodiert, sie in eine Karikatur umwandelt oder sie in einer Pastiche, also im Stil anderer Maler, zitiert. In diesen Fällen wird die Erstkunst aufgegriffen, um einen anderen Zweck zu erreichen.

Appropriation Art erfordert, dass eine eigene Aussage ersichtlich ist.

Jayme plädierte dafür, dass das Recht die Entwicklung der Kunst nicht behindern solle. Der Münchner Urheberrechtsspezialist Gernot Schulz schränkte ein: Nur weil das Kopieren technisch einfach sei, etwa durch digitale Reproduktionsmethoden, sei das effektive Machen noch lange nicht erlaubt. Wie Jayme wies Schulz darauf hin, dass bei der Appropriation Art immer eine eigene Aussage ersichtlich sein müsse. Alleine die Idee, den Originalbegriff infrage zu stellen, reiche nicht aus.

Die juristische Bewertung, ob es sich bei künstlerischen Aneignungen um erlaubte Zitate oder urheberrechtlich zu beanstandende Kopien handelt, ist nicht einfach – in der bildenden Kunst ist das offenbar noch schwieriger zu beurteilen als in der Musik, wo Plagiatsfälle fast schon zum Gerichtsalltag gehören. Darauf deuteten die zeitgenössischen Beispiele hin, die in den Referaten vorgebracht wurden. Anders als bei Tizian und Rubens handelte es sich um wenig spektakuläre Beispiele von nicht sonderlich bekannten Künstlern. Dabei hätte es zum Beispiel mit Jeff Koons oder Luc Tuymans durchaus auch populärere Beispiele gegeben, die bereits vor Gericht behandelt wurden.

Bei den vorgebrachten grossen Namen Tizian und Rubens gab es noch kein Urheberrecht. Auch die vielzitierte «Aura des Originals» aus Walter Benjamins berühmten Aufsatz «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» spielte noch keine wesentliche Rolle. Rubens hatte also, als er bei Tizian abkupferte, so oder so keine Beanstandung wegen Urheberrechtsverletzung zu befürchten. Und auch Gerhard Richter hätte Tizian ungestraft auch Pinselstrich für Pinselstrich nachmalen können, denn der Urheberrechtsschutz erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Erstkünstlers.

Der erste Urheberrechts-Prozess

Das gilt natürlich auch für auch den ­Altmeister Albrecht Dürer (1471–1528), den Kunsthistoriker Andreas Beyer mit meh­reren Beispielen vorbrachte. Der bereits zu Lebzeiten sehr populäre und deshalb oft kopierte Künstler wandte sich direkt an potenzielle Nachahmer. Seinem Stich «Marienleben» fügte er eine Nachschrift mit einer harschen Warnung an Kopierer bei:

«Wehe dir, Betrüger und Dieb vor fremder Arbeitsleistung und Einfällen, lass es dir nicht einfallen, deine dreisten Hände an diese Werke anzulegen»,

heisst es da mit dem Hinweis auf das Privileg des Kopierschutzes, das ihm vom Kaiser des Heiligen Römischen Reichs verliehen worden sei.

Weil sich dieser Schutz vor Raubkopien aber auf das Reichsgebiet beschränkte, konnte Marcantonio Raimondi in Venedig ungestraft Kopien von Dürers Holzstichen anfertigen. So zumindest sieht es Beyer, andere Kunsthistoriker berufen sich auf Quellen, die besagen, es sei tatsächlich zu einem – dem ersten – Urheberrechts-Prozess gekommen.

Urteil von Sachverständigen

Wer entscheidet nun, wann von rechtlich zulässiger Aneignung, also von Appropriation Art, die Rede ist oder von einer Kopie, die das Urheberrecht verletzt? Hier wird ein Grundprinzip der Kunstgeschichte tangiert, nämlich dass Kunst von Kunst komme, wie Beyer sich ausdrückte. Jedes neue Kunstwerk baut letztlich auf vorhandenen Vor-Bildern auf. Ein Gericht stösst hier an seine Grenzen und ist entsprechend auf Sachverständige angewiesen.

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