Laute Röhre, lauer Feminismus: Das neue Pussy-Riot-Buch

Tod dem Gefängnis, Freiheit dem Protest: Die russische Pussy-Riot-Kunstaktivistin Nadja Tolokonnikowa ruft in ihrem neu veröffentlichten Manifest «Anleitung für eine Revolution» zu grenzüberschreitendem Ungehorsam auf.

«Töte den Sexisten!» Nadja Tolokonnikovas Erstling macht es sich auf feministischen Allgemeinplätzen bequem. 

(Bild: Keystone)

Tod dem Gefängnis, Freiheit dem Protest: Die russische Pussy-Riot-Kunstaktivistin Nadja Tolokonnikowa ruft in ihrem neu veröffentlichten Manifest «Anleitung für eine Revolution» zu grenzüberschreitendem Ungehorsam auf und schwingt dabei die feministische Peitsche etwas gar weit.

Vor vier Jahren sorgte das Künstlerkollektiv Pussy Riot mit seinem «Punk-Gebet» in einer Moskauer Kathedrale für mediale Furore. Die mit bunten Strickmasken verkleideten jungen Frauen rüttelten mit provozierenden Texten und verzerrten Gitarrengeräuschen am politischen System, sie setzten Zeichen gegen die Allmacht Putins und gegen die Verflechtung von Kirche und Staat.

Als es schliesslich zur Verhaftung und Verurteilung einzelner Mitglieder kam, überraschte es kaum, dass sich eine internationale Solidaritätswelle für die Gruppe ausbreitete. Auf einmal standen nicht nur die bedrohten Menschenrechte in Russland auf dem Spiel, es wurde auch die «Freiheit der Kunst» beklagt.  



Mehr politische Substanz würde ihm guttun: Nadja Tolokonnikovas «Anleitung für eine Revolution».

Mehr politische Substanz würde ihm guttun: Nadja Tolokonnikovas «Anleitung für eine Revolution».

Infos zum Buch
Nadja Tolokonnikowa: «Anleitung für eine Revolution». Aus dem Russischen von Friederike Meltendorf und Jennie Seitz. Erschienen bei Hanser Berlin Verlag, 224 Seiten.

Nun hat das Gesicht der Bewegung, die 27-jährige Nadja Tolokonnikowa, ihr erstes Buch zum Thema verfasst. «Anleitung für eine Revolution» ist ein persönliches Manifest, das entlang von 200 Leitsprüchen Geschichten aus Tolokonnikowas Leben erzählt. Von ihrer Auflehnung gegen die Unterdrückung in Russland bis hin zu ihrer Haftstrafe im Frauenlager mit Hungerstreik untermauern diese Sentenzen ihren Status als radikale Kunstaktivistin und rufen zum Rebellentum auf:

«Warte nicht bis man dir die Haut abzieht. Du hast keine 500 Jahre. Lebe mit voller Wucht und versuche, aus jeder Scheisse Pralinen zu machen.»

Konkretere Anleitungen gibt es mit den beschriebenen Protestmöglichkeiten, die etwa dazu ermuntern, Polizistinnen zu küssen, selbst gemachte Objekte heimlich in Geschäften zu deponieren oder sich mit Gelächter gegen Justizgewalt zu wehren. Hier dominiert der spielerisch-rebellische Ungehorsam. Wirklich politisch konkret wird es dabei selten: Die Autorin berichtet nur in groben Zügen über die Foltermethoden in russischen Gefängnissen, die Angst der Bürger, ihre Meinung frei äussern zu dürfen oder die immer noch weit verbreitete Homophobie. 

Die in Sibirien aufgewachsene Nadja Tolokonnikowa las nach eigenen Angaben bereits als Zehnjährige feministische Schriften. Umso mehr überrascht ihr brachiales Verständnis von Feminismus:

«Werde Feministin, Feministin, ja!
Frieden für die Welt, Männern – den Tod,
Werde Feministin, vernichte den Sexisten,
Töte den Sexisten, wische weg sein Blut!»

In jedem Mann einen Sexisten sehen zu sollen, banalisiert die Frauenrechtsbewegung und ihre emanzipatorischen Ansprüche für eine Gleichberechtigung der Geschlechter. Nach der Lektüre der 200 Weckrufe stellt sich die Frage, ob Protestkunst eine sinnvolle Anleitung zur Weltrettung sein kann und sein soll.

Der urbane Aktivismus formt sich seit den 1960er-Performance-Jahren bis hin zu den aktuellsten Entwicklungen der Street Art ständig neu. Aber auch die öffentliche Präsenz Tolokonnikowas wandelt sich, längst ist aus der maskierten Rebellin eine Protest-Popikone geworden. Der Kult um die Person scheint das politische Geschehen und die künstlerische Arbeit in den Schatten zu stellen.

Und doch ist es gerade die Protestkunst, die vom Mythos der Authentizität lebt. Bleibt zu hoffen, dass die von Nadja Tolokonnikowa mit diesem Buch aufgerichtete Revolutionsfahne länger als nur für den Moment der Inszenierung stehen bleibt.
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Nadja Tolokonnikowa liest am 15. März um 20 Uhr im 
Kaufleuten, Zürich.

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