Leben im Traum

Der Franzose Leos Carax liefert mit «Holy Motors» einen Film in strindbergscher Manier.

Ein rätselhafter Träumer: Regisseur Leos Carax. (Bild: zVg)

Der Franzose Leos Carax liefert mit «Holy Motors» einen Film in strindbergscher Manier.

Leos Carax war lange Jahre das Lieblingskind der französischen Kritik – selten verstanden, aber sehr oft erklärt. Er ­entzückte die Feuilletons mit seinen träume­rischen Randexistenzen. Mit «Die Liebenden von Pont-Neuf» gelang ihm auch international der Durchbruch. Dann wurde es still um ihn. Mit «Holy Motors» rückt er sich jetzt mit einem rätselvollen Traumspiel wieder ins Scheinwerferlicht.

Ganz zu Beginn liefert Carax höchstselbst den Schlüssel: Eigenhändig öffnet er eine rätselhafte Tapetentür ins – Cinéma. Was folgt, ist eine Reise durch das halluzinatorische Lichtspiel, die an August Strindbergs «Traumspiel» erinnert. Die Haupt­figur schminkt sich, verstellt sich, mischt sich unter die Menschen. Und im Kern liegt eine Amour fou, wie bei Strindberg.

Bei Carax ist das Sein kein Nichts. Es ist das Kino. Am nächsten kommt dem Sein bei ihm: der Schein. Seine Hauptfigur, Oscar Bourger, hat viel zu erledigen. Die ­Dossiers, die er auf dem Rücksitz einer Stretchlimousine vorfindet, verlangen ­seinen Einsatz: als Mörder, Vater, Wüstling, Übeltäter, Liebhaber. Während ein rätselhafter Engel ihn durch Paris chauffiert, schminkt er sich, arbeitet sich in die Dossiers ein, übt Rollen und holt bei der Fahrerin Rat. Er massregelt eine Tochter, er kommt als Familienvater zur Affen­familie nach Hause, er trifft die ehemalige Geliebte, er liebt die Schlangenfrau mit seinem Schlangenmann. Da kommt ein ganzes Leben zusammen, an dessen Ende der Tod wartet – oder das Ende des Traums. Erst als die Stretchlimousine in die Nacht-Garage fährt, wird uns klar, dass der Engel ihn durch das Leben begleitet hat, mit einem Ziel – zu sterben.

Carax hat, wie Strindberg, den Traum zur Methode und das Zeigen der Theatermittel zu seiner Form gemacht. Jetzt kann man in Basel den Zufall geniessen: Während Strindbergs «Traumspiel» im Theater leichtfüssig vom Anfang der surrealistischen Bewegung erzählt, nimmt Carax den Faden schwerblütig im Kino auf: Als hätte es ihm den Anlass gegeben, das Leben als Traum der Götter zu resümieren.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.10.12

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