Leichtfüssiger Auftakt im Zeichen des Easy Listening

Mit dem belgischen Singer-Songwriter Milow und der US-amerikanischen Sängerin Dionne Warwick wurde die AVO Session 2012 in der «Übergangslösung» Musical Theater eröffnet. Milow und Warwick sind zwar beide im weitesten Sinn dem Easy Listening verpflichtet, dennoch offenbarten sich grosse Unterschiede in Stil, Repertoire und Grandezza.

«What the World needs now is Love, sweet Love»: Dionne Warwick. (Bild: Dominik Plüss)

Mit dem belgischen Singer-Songwriter Milow und der US-amerikanischen Sängerin Dionne Warwick wurde die AVO Session 2012 in der «Übergangslösung» Musical Theater eröffnet. Milow und Warwick sind zwar beide im weitesten Sinn dem Easy Listening verpflichtet, dennoch offenbarten sich grosse Unterschiede in Stil, Repertoire und Grandezza.

Willkommen zur AVO Session 2012: Für einmal pilgern die geladenen Gäste – von Bernhard Heusler, Kurt Aeschbacher über Guy Morin bis Helmut Hubacher – nicht zum Messeplatz, sondern lassen die Baustelle links liegen und strömen durch die Eingangstüren des Basler Musical Theaters. Die AVO Session ist im Übergangsjahr angekommen, auch, weil sie zum letzten Mal unter diesem Namen stattfindet. Im nächsten Jahr wird Baloise den Namen der Reihe prägen. So fungiert auch Avo Uvezian, der libanesische Zigarrenhersteller, ein letztes Mal als Maskottchen des Anlasses, sitzt wie immer in der vordersten Reihe, für einmal aber nicht an einem Tischchen: Die Konzertbestuhlung im Musical Theater ist nach Sitzreihen gegliedert und nach hinten stufenweise erhöht. Das ist von grossem Vorteil, wie sich am Eröffnungsabend zeigt. Die Sicht zur Bühne ist auch in den hinteren Reihen bedeutend besser als im Festsaal (selig), und der Raum akustisch weitaus geeigneter. Ginge es an der AVO Session nur um die Musik, würde wenig gegen das Musical Theater als Location sprechen. Man wird die neue Messehalle auch an diesem Kriterium messen müssen.

Sympathischer Belgier in Röhrchenjeans

Die Intimität, die sich diese Konzertreihe auf die Fahne geschrieben hat wie kaum eine andere, ist an diesem Eröffnungsabend so greifbar wie nie zuvor. Als Milow erscheint, sieht man auch in den hinteren Reihen bestens zur Bühne (und nicht wie bisher seitlich nach oben, wo die Grossleinwände Close-Ups liefern – diese scheinen heuer gar nicht unbedingt nötig). 

Milow, der belgische Singer-Songwriter, gewinnt das Publikum im Nu mit seinen simpeln Lagerfeuerliedern und seinem überaus sympatischen Auftreten. Er schwärmt glaubwürdig von der Schweiz, wo er seine ersten grossen Erfolge ausserhalb seiner Heimat feiern konnte, erinnert sich an seinen letzten Auftritt in Basel, im Volkshaus, aber auch an seine Anfänge, als er in einem Zürcher Café vor 64 Zuschauern spielte. Kurz: Der 31-jährige Jonathan Vandenbroeck, der mit seinem Karohemd und den Röhrchenjeans noch immer wie ein konventioneller Strassenmusiker auftritt, hat das Publikum im Musical Theater charmant im Sack.

Clever verpasst er seinem Auftritt Dramaturgie, indem er solo beginnt und zunehmend Begleitmusiker auf die Bühne holt, die  simplen Lumpenlieder mit Chorgesängen anreichert und an Druck zulegt. Den Eindruck aber, es handle sich bei ihm um die kontinentaleuropäische Variante von James Blunt – um ein Three-Hit-Wonder also – mag er in den 75 Minuten seines Auftritts nicht von der Bühne zu wischen. Obschon er seit zehn Jahren seine Karriere vorantreibt, findet sich da noch einiges Streichmaterial im Repertoire, etwa das im 6/8-Takt schunkelnde Stück «Move to Town»,  eine viel zu brave Annäherung an den feurigen Irish Folk. Nicht das einzige Lied, das man sogleich wieder vergessen hat. «Building Bridges» ist ein Stück das trotz Band nie richtig vom Fleck kommt, ebenso «Car Wreck in the Lake», das bestenfalls wie eine B-Seite von Chris de Burgh klingt.  

Kerzen wie an einem Kindergeburtstag

Dennoch begeistert Milow die Zuschauer: Seine gefällige Ausstrahlung und Stimme machen das Manko an zwingenden Songwriting-Ideen wett, die schlichte Lieblichkeit anderer Songs löst Instant-Gefallen aus: «Little in the Middle» etwa, dieses flockige Radiolied, zu dem man gut gelaunt mitschaukelt. Und in «Ayo Technology», seinem 50-Cent-Cover, mit dem ihm vor drei Jahren der grosse Durchbruch gelang, zückt der Saal auf Geheiss des Sängers die elektrischen Kerzen, die an den Sitzen befestigt sind und schwingt sie freudig mit, sodass man sich an einem Kindergeburtstag wähnt. Auch «You and Me (In My Pocket)», das schon fast als Plagiat eines Paul Simon-Stücks durchgeht, wird mit grosser Freude beklatscht. 

Wie die Intimität im Musical Theater herausragend genutzt werden kann, führt er schliesslich im Zugablock vor. Er stellt sich mitten ins Publikum und singt akustisch, was berührt und ihn so nahbar macht, dass es offenbar kaum wen stört, dass darunter Bruce Springsteens starker Song «The Promise» völlig weichgespült dargeboten wird.

Unfreiwillige Komik

Just nachdem sich Milow verabschiedet hat, erscheint Festivalpräsident Matthias Müller auf den Leinwänden und erwähnt «Moritz Suter und seine 42 Verrückte». Irritiert fragt man sich «Aber hello?», ehe man realisiert, dass es sich hier lediglich um eine Videoeinspielung einer Aufzeichnung handelt. Ein unfreiwillig komischer Moment, angesichts der unglücklichen Rolle, die Suter in den letzten Monaten gespielt hat. Vor einem Jahr noch wurde er in der Stadt gefeiert: Damals etwa für seine Arbeit im Vorstand des Gönnervereins der AVO Session, der den Auftritt von Paul Anka ermöglicht hatte.

So wie Paul Anka lädt auch heuer eine erfolgsverwöhnte Stimme des amerikanischen Musikgeschichte zur grossen Revue: Dionne Warwick. Die 71-Jährige blickt zurück auf 50 Jahre Showbusiness und bringt die geballte Erfahrung einer grossen Entertainerin auf die Bühne. Das verdeutlicht sie gleich zu Beginn, als der Techniker vergisst, ihren Gesangskanal aufzudrehen. Gekonnt winkt sie ihre vierköpfige Band ab, wiederholt ihre Begrüssungsrede, als wir sie Front of House endlich hören können und setzt schliesslich zu «Walk on By» an, eines der vielen Lieder aus der Feder von Songwriter Burt Bacharach, mit denen die US-Amerikanerin die Billboard-Charts erobert und zahlreiche Cocktail-Partys untermalt hat.

Harziger Start der grossen Entertainerin

So herrlich zärtlich dieses Lied auch ist, so divenhaft Warwick in ihrer Erscheinung wirkt und ganz nonchalant die Fotografen wegscheucht, weil diese in ihren Augen im Weg stehen: Es ist auch nach dem technischen Fauxpas kein Start nach Mass. Ihr Gesang kratzt und reibt zunächst, im zweiten Lied «Anyone who had a Heart» lässt sie die Intonation und Artikulation schleifen, sodass man sich fragt, ob ihre Stimme nach 50 Jahren ernsthaft gelitten hat. Und ob Warwick – so wie ihre Cousine Whitney Houston zuletzt – nicht mehr ihre Gesangsqualitäten abrufen kann.

Stilsicherer Auftritt, aber synthetische Bläser 

Zum Glück widerlegt sie die Befürchtungen. Warwicks Gesang wird immer kräftiger, wärmer und stilsicherer. Lässig setzt sie sich mal auf einen Barhocker und lehnt sich an den Flügel oder schreitet dem Bühnenrand entlang und singt sich durch Easy-Listening-Nummern, die zu den besten dieses Fingerschnipp-Genres gehören. Zwischen den vielen Bacharach/David-Kompositionen erinnert sie an ihre Jahre in Brasilien, einem «magischen und spirituellen Ort», wie sie sagt und mit ihren Randbemerkungen den Humor und die Souveränität einer grossen Entertainerin auf die Bühne bringt. «When you hear brasilian music, you are compelled to move … something», sagt sie verschmitzt. Und stimmt daraufhin Bossa-Nova und Samba-Nummern an, in denen ihre vier Musiker aufdrehen, zur Freude der Frontfrau, die ihnen in Solopassagen ein Lächeln schenkt. Es ist herrlich, dieser Band zuzuhören, die ungemein souverän aufspielt, den Easy-Listening so leichtfüssig auf den Punkt bringt, was eine nicht zu unterschätzende Kunst ist – und die Melodien mal in Watte packt oder mit einem treibenden Samba-Rhythmus anfeuert. 

Was man aber bedauern darf: Dass eine Diva wie Dionne Warwick, deren grosse Erfolge im Pre-Sampling-Zeitalter liegt, sich in der Besetzung so kleinlich gibt: Das zarte Flügelhorn in «Walk On By», das Querflötensolo in «Do You Know The Way To San José», die Posaunen in «What The World Needs Now Is Love» oder die Mundharmonika in «That’s What Friends Are For» – alles synthetisch, vom Keyboarder gespielt. Dass diese Grande Dame auf einen echten Bläsersatz verzichtet – Paul Anka etwa liess sich 2011 nicht lumpen – ist enttäuschend und geizig. Damit wird sie ihrer Klasse nicht gerecht.

Dagegen sind wir froh, dass sie auf eine grosse, pathetische Andacht verzichtet. Warwick hätte das Konzert zur Abdankungsfeier gestalten können, wurden in diesem Jahr doch ihre Verwandte Whitney Houston wie auch ihr langjähriger Textschreiber Hal David zu Grabe getragen. Sie verzichtet darauf gänzlich, ist offensichtlich nicht gekommen, um die Verluste in ihrem Umfeld zu betrauern, sondern um ihre Karriere – und damit sich selbst – zu feiern. Dazu gehört auch, dass die Veranstalter ihr die AVO-eigene Auszeichnung für ihr Lebenswerk  überreichen – dies eigenartigerweise mitten in einem Lied.

Feierlich-familiärer Rahmen

Warwick verzichtet nicht nur auf Bläser, sondern auch auf Backing-Chöre. Immerhin bringt sie gegen Ende ihres Sets einen Gast auf die Bühne: Ihren ältesten Sohn, David Elliot, mit dem sie im Duett «I Say A Little Prayer» anstimmt. Es ist eine brillante Version, über dem federnden Halftime-Groove singt Warwick die Strophe des Klassikers weitaus weniger gradlinig als dies etwa Aretha Franklin oder Dusty Springfield taten. Und der gesangliche Dialog mit ihrem Sohn ist herrlich anzuhören. Dieser darf im Anschluss solo «Besame Mucho» anstimmen und man hört, dass er nur bedingt der Schule seiner Mutter entsprungen ist: Diese hat ein Soultimbre, aber lässt sich nicht zu übermässigen Schlenkern hinreissen und setzt ihr Vibrato gezielt dezidiert ein. Er hingegen orientiert sich am modernen, manierierteren R&B (think R. Kelly!), forciert das Pathos leicht.

Als ihn Mutter nach seiner Soloperformance lobt, sagt er «Thanx Mama» und fügt hinzu: «I’m 43 and I feel like 10». Was allen ein grosses Lachen entlockt und eine feierliche, familiäre Stimmung erzeugt, die sich auch durch das letzte Lied zieht: «That’s What Friends Are For» bildet den gelungenen Abschluss dieses leichtfüssigen Auftakts der AVO Session 2012.

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