Lichtspiele: Gsst gsst gsrrrt. Gssst!

Sind Kopfhörer ein Segen oder ein Unsegen? Auf jeden Fall sind sie kein Alpsegen.

Andacht statt Partynacht: Der Dokfilm «Alpsegen» des Schweizers Bruno Moll. (Bild: Filmcoopi/zVg)

Sind Kopfhörer ein Segen oder ein Unsegen? Auf jeden Fall sind sie kein Alpsegen. 

Es gibt leise Alpwiesen, die wirken auf uns wie ein Segen. Die Ohren gehen auf. Und es gibt laute Club-Nächte, da wären unsere Ohren lieber ebenso hackedicht wie wir. Dmmpf Tbumm dmmmrttpmf! Wir tanzen in solchen Nächten gern so lang – wie wir breit sind. Bis uns vor lauter Musik der Schädel brummt.

Wer nachts nicht im Club abtanzen kann, kennt ein bewährtes Mittel für tagsüber: Kopfhörer. Die Ohr-Stöpsel lassen einen auch in einem überfüllten Bus ganz bei sich sein. Im eigenen Kopfprogramm. Wir erleben – unter lauter leisen Leuten – unsere sehr persönliche schrille Party. Für die ­Umstehenden hat das den Nachteil, dass sie dem Umstehen entsprechend nicht ganz bei sich sein können, klingt doch unser «Dmmpf Tbumm dmmmrttpmf!» in kopfhörerlosen Ohren eher wie ein durchdringendes Gsst gsst gsrrrrrt Gsst gsst gsrrrrrt! Nicht jede kann aus derartigen Obertönen «Göteborg» erkennen und gleich noch Mitsummen.

Vom Schalk der Älpler

Zum Glück können wir jetzt im Kino Bruno Molls «Alpsegen» herunterladen. Da holen wir uns ein wenig Andacht von der Alp oben ins Herz. Und eine Menge Schalk der Älpler. Es fällt uns danach gewiss leichter zu raten, welche Untertöne die Kopfhörerin im Bus gerade verzücken. Gsst gsst gsrrrrrt Gsst gsst gsrrrrrt Gssst? Klingt das eher wie eine 1846er-Rotationsdruckmaschine von Augustus Applegath oder wie Mike Candys feat. Evelyn & Patrick Miller?

Nein, ich meine damit nicht, dass man lautes Musikhören verbieten sollte. Wir ­würden uns ja auch ohne Kopfhörer nicht zu ­einer lüpfigen Musik durch die S-Bahn schieben und auf dem Nachhauseweg ­richtig abtanzen! Im Gegenteil: Ohne Kopfhörer müssten wir noch mehr Handygespräche mithören. Sätze wie «Ich bi grad im Drämmli!» oder «Hesch du mir ihri BH-Nummere?» Da behalten wir lieber unsere Untertöne für uns. Gsst gsst gsrrrrrt. Gsst gsst gsrrrrrt. Und bleiben Kopfhörer.

Zum Beispiel können wir uns im Schweizer Dokumentarfilm von Bruno Moll eine herrliche Stille in unsere Köpfe holen – und dabei sein, wenn eine ganz frühe Form des Telefonierens von Alp zu Alp praktiziert wird. Da sind wir gerne Kopfhörerinnen und Kopfhörer. 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20.04.12

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