Der japanische Regisseur Koreeda lässt uns in «I Wish» in aller Ruhe die Welt entdecken.
Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie die Welt lieber mit den Augen von Kindern sehen möchten, würden Sie sicher Ja sagen. Aber wenn ich Sie bitte, noch einmal auf ein Velo zu steigen, als wärs das erste Mal, und zu versuchen, loszuradeln, wie beim ersten Mal? Sparen Sie sich die Arztkosten. Nehmen Sie das Drämmli und fahren Sie ins Kino, denn in «I Wish» gehen Wünsche in Erfüllung.
Einen ersten haben die Basler Kult-Kinos bereits erfüllt: Sie zeigen im Camera ab sofort Filme im wechselnden Programm. Damit sind speziell ausgesuchte Filme länger zu sehen. Da gleich mehrere Filme nebeneinander laufen, heisst das auch: Sie müssen präzise planen. Noch rasch eins trinken oder drei Drämmli später auf die nächste Vorstellung warten, geht nicht mehr. «I Wish» ist eine dieser kleinen Perlen im Camera, für die wir jetzt präzise planen müssen.
Die Welt mit Kinderaugen sehen
Der zwölfjährige Koichi lebt seit der Scheidung seiner Eltern mit der Mutter bei seinem Grossvater in Kagoshima, während sein jüngerer Bruder bei seinem Vater in Hakata lebt, am anderen Ende von Japan.Nichts wünscht sich Koichi sehnlicher, als die Familie wieder zusammenzubringen. Als er erfährt, dass ein Hochgeschwindigkeitszug die beiden Städte verbinden wird, wächst ein Kinderwunsch in ihm. Was muss man tun, damit Wünsche in Erfüllung gehen?
Regisseur Koreeda (er ist mit «Nobody Knows» zum ersten Mal aufgefallen) kennt den Blick von Kinderaugen. Er lässt uns in aller Ruhe – und Kinder haben die spannendste Ruhe der Welt, die der Neugier! – die Welt sehen. Wir lernen aus kleinen Niederlagen. Wir freuen uns über unbemerkte Siege. Wir lernen Wachstum neu kennen. Wir nehmen an kleinsten Wundern teil. In sparsamen Einstellungen begleiten wir Koichi mit seinen Freundinnen.
Auf Kriegsfuss mit der Ungeduld
Koreeda schickt uns auf unsere eigene Reise. Indem er so zauberhaft entschleunigt auf die Welt der Hochgeschwindigkeitszüge blickt, lässt er einen selten gesehenen Zukunftsglauben zu. Wenn Sie sich darauf einlassen, den Blicken dieser Kinder zu folgen, werden Sie sich beim Wunsch nach viel Zukunft ertappen. Kinderaugen sehen zudem oft erwachsener, als wir das noch können. Selbst wenn die Geschichte mit unserer Ungeduld auf Kriegsfuss steht: Sie werden die Welt gerne mit den Augen von Koichi betrachten – ob danach auch einer Ihrer Wünsche in Erfüllung geht, wenn sich zwei Hochgeschwindigkeits-Drämmli kreuzen?
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.08.12