Liebe und Verrat im Schatten der Mauer

«Omar» von Hany Abu-Assad ist der erste Spielfilm, der ausschliesslich palästinensisch besetzt und produziert worden ist. Er handelt von einer Liebesgeschichte in den Zeiten des Nahostkonflikts.

Romeo und Julia heissen hier Omar und Nadia.

«Omar» von Hany Abu-Assad ist der erste Spielfilm, der ausschliesslich palästinensisch besetzt und produziert worden ist. Er handelt von einer Liebesgeschichte in den Zeiten des Nahostkonflikts.

Die Mauer, grauer Beton und stellenweise mit Graffiti bedeckt, ist mehrere Meter hoch, und wenn er Pech hat, warten auf der anderen Seite Soldaten mit dem Finger am Abzug. Aber Omar muss hinüber. Nicht, weil er in ein neues Leben fliehen will, nicht, weil er drüben Arbeit sucht. Sondern weil auf der anderen Seite Nadia wohnt, die kleine Schwester seines Freundes Tarek. Schafft er es unbemerkt hinüber, steht er kurz darauf an ihrem Fenster. Sie tauschen Liebeszettelchen aus und besprechen in aller Heimlichkeit, wo sie wohnen werden, dereinst, wenn er bei ihrem Bruder um ihre Hand angehalten haben wird. Schafft er es nicht, erwischen ihn die Soldaten und schlagen ihm mit einem Gewehrkolben die Nase ein.

Hindernisse der arabischen Kultur

Hany Abu-Assad hatte Shakespeares «Romeo und Julia» im Hinterkopf, als er mit «Omar» eine Liebesgeschichte mit schwer zu überwindenden Hindernissen zu drehen begann. Hindernisse der arabischen Kultur, die es den jungen, unverheirateten Liebenden erschweren, sich unbefangen ihrer Zuneigung hinzugeben.

Vor allem anderen sind es aber politische Hindernisse: Omar ist Palästinenser, die Soldaten gehören zur Armee Israels, die Mauer gehört zum Wall, der Teile Israels von den Palästinensergebieten trennt. Eine Liebesgeschichte in den Zeiten des Nahostkonflikts wollte Abu-Assad filmen, die sich auch noch zu erzählen lohne, wenn der Konflikt einmal überwunden sein werde.


Abu-Assad, der palästinensische Regisseur aus Nazareth mit israelischem Pass, hat sich vorgenommen, seinen Film vor einer ausschliesslich politischen Wahrnehmung zu schützen. Vor zehn Jahren drehte er «Paradise Now», eine kontroverse Geschichte um zwei palästinensische Freunde, die von einer Terrororganisation als Selbstmordattentäter nach Israel geschickt wurden.

Der Regisseur hat seine Lektion gelernt

«Paradise Now» entstand während der zweiten Intifada, als in Israel Busse und Cafés explodierten, und entsprechend überhitzt wurde der Film aufgenommen. Als Abu-Assad dafür den Golden Globe für den besten fremdsprachigen Film erhielt, trieb er die Politisierung des Films selbst voran: «Die Zeit für die Befreiung der Palästinenser ist gekommen», sagte er an der Übergabezeremonie. Heute würde er dies nicht mehr tun: «Ich habe meine Lektion gelernt. Die Besatzung wird enden», sagt er. «Meinen Film soll man sich jedoch auch danach anschauen können.»

Es ist ihm – und dem umwerfend begabten Hauptdarsteller Adam Bakri – zu wünschen. Allerdings ist Omar eben nicht nur ein Liebender, der in die seit 1967 dauernde Besatzung der Palästinensergebiete hineingeboren wurde und sich durchzustrampeln versucht, sondern ebenso ein Handelnder. Omar ist involviert in einen Anschlag auf einen israelischen Militärposten, bei dem ein Soldat stirbt. Er wird geschnappt, gefoltert und schliesslich von einem israelischen Agenten hereingelegt. Der gibt sich im Gefängnis als Mitglied der Al-Aksa-Brigaden aus, um das Vertrauen des jungen Häftlings zu gewinnen, und stellt ihn danach vor die Wahl: jahrelange Haft, die das Ende seiner Liebe und seiner Träume bedeuten würde – oder Kollaboration. Omar entscheidet sich für Letzteres und kommt frei.

Einige moralische Fragen bleiben leider offen

Fortan gleicht sein Leben einem Drahtseilakt. Diese wachsende Zerrissenheit der Hauptfigur, der die Selbstbestimmung vollends entgleitet, gehört zu den szenisch und mimisch stärksten Momenten des Films. Vor lauter Psychologie ignoriert Abu-Assad allerdings einige zentrale moralische Fragen. Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Anschläge auf die israelische Armee werden keine laut, und völlig unhinterfragt bleibt das soziale Schicksal, das auf Kollaborateure in der palästinensischen Gesellschaft wartet: Fallen sie nicht einer Lynchjustiz radikaler Gruppen zum Opfer, finden sie sich zumindest als Ausgestossene der Gesellschaft wieder.

Für «Paradise Now» hatte Abu-Assad noch die Verhörprotokolle der israelischen Armee und des Geheimdienstes durchforstet, um der Gedankenwelt von Selbstmordattentätern auf die Spur zu kommen. Für «Omar» liess er solche Recherchen völlig sein. «Ich habe mit keinem Offiziellen und keinem Kollaborateur geredet», sagt Abu-Assad. «Meine Quellen waren Nachrichten und Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis. Fast jeder Palästinenser wurde bereits einmal für Befragungen abgeführt und kennt das paranoide Gefühl, beobachtet zu werden.»

Kollaboration mit dem Geheimdienst

«Omar» ist nicht der einzige aktuelle Film aus Nahost, der sich der Kollaboration von Palästinensern mit dem israelischen Geheimdienst Shin Bet annimmt. «Bethlehem» von Yuval Adler, Israels Oscar-Beitrag 2014, leuchtet die persönliche Beziehung aus, die sich zwischen einem palästinensischen Informanten und einem israelischen Agenten aufbaut und beide in Loyalitätskonflikte stürzt.

Der israelische Dokumentarfilm «The Green Prince», der bereits auf internationalen Festivals lief und noch dieses Jahr in die europäischen Kinos kommen soll, handelt von der ebenso unglaublichen wie wahren Geschichte von Mosab Hassan Yousef, Sohn eines Hamas-Führers aus Gaza, der jahrelang seinem Vater assistierte und gleichzeitig im Verborgenen Kontakte zu einem Agenten des Shin Bet unterhielt. Als Sohn und Agent vom Shin Bet fallengelassen wurden, floh Youssef nach Amerika, outete sich und schrieb ein Buch über seine Geschichte. Sein Fall, der eine totale Entfremdung von seiner Herkunftsgesellschaft beinhaltete, ist in seiner Drastik eine Ausnahmeerscheinung. Er zeigt, wie vielschichtig die Gründe und Motive sind, die zur Kollaboration führen, und welche Folgen den Beteiligten, einmal enttarnt, blühen.

Ein Symbol für Unabhängigkeit

In Abu-Assads «Omar» bleiben die Rollenbilder innerhalb des grossen Konflikts eindeutiger. Sein jüngster Film hat trotz des auf Liebe und Verrat gerichteten Fokus eine politische Dimension – nicht in der Narration, aber in der Entstehung: Er ist der erste ausschliesslich palästinensische Spielfilm mit internationaler Ausstrahlung, wurde von Palästinensern produziert und finanziert. Auch die Mitwirkenden sind palästinensischer Herkunft.

Abu-Assad verneint, «Omar» als «nationalistisches Projekt» zu betrachten, «aber wenn man seit Jahrzehnten unter einer Besatzung lebt, muss man Unabhängigkeit und Freiheit mit anderen als nur politischen Symbolen ausdrücken. Ich hätte den Film auch mit europäischer Hilfe finanzieren können, aber ich wollte demonstrieren, dass auch in Palästina hochwertige Spielfilme entstehen können.»

_
Ab 29. Mai, Kultkino Atelier, Basel.

Nächster Artikel