Locarno: Vom Regen in die Traufe

Eine leichte Tragikomödie aus einem Asylempfangszentrum. Geht das? Vielleicht schon. Aber nicht so, wie es der Schweizer Peter Luisi angepackt hat. Sein neuer Langfilm «Schweizer Helden» enttäuscht.

Schillers «Tell» für Asylsuchende, die kaum Deutsch können. Das ist die Basis für Peter Luisis «Schweizer Helden». (Bild: Frenetic Films)

Eine leichte Tragikomödie aus einem Asylempfangszentrum. Geht das? Vielleicht schon. Aber nicht so, wie es der Schweizer Peter Luisi angepackt hat. Sein neuer Langfilm «Schweizer Helden», im Aufbau an Hollywoodsche Tragikomödien wie «Sister Act» oder «School of Rock» angelehnt, enttäuscht.

Das 67. Internationale Filmfestival von Locarno muss nicht nur aus meteorologischer Sicht Rückschläge einstecken. Nein, mit der Absage von Roman Polanski, der am Donnerstag geehrt worden wäre und am Freitag eine Masterclass geben sollte, fällt auch einer der grössten Starauftritte ins Wasser. Carlo Chatrian sprach denn auch wiederholt vom schwierigsten Augenblick für ihn als Festivalchef. 

Schwierige Augenblicke beschert uns der Festivaldirektor aber mitunter auch mit seiner Filmauswahl auf der Piazza Grande. «Schweizer Helden» ist ein Titel, der viel verspricht, Peter Luisi ein Filmemacher, der mit «Der Sandmann» selber zum Versprechen im hiesigen Filmschaffen aufstieg. Doch die Hoffnung, dass ihm ein weiterer starker Film gelungen sei, hat sich für uns schon vor der Weltpremiere (heute Abend, 21.30 Uhr, Piazza Grande) zerschlagen – an der Pressevisionierung im Kursaal.

Asylsuchende spielen Wilhelm Tell

An der Grundidee scheitert es nicht: Eine einsame Schweizer Hausfrau (Esther Gemsch) will ihr Selbstwertgefühl aufbauen und Gutes tun über die Weihnachtstage: Asylsuchenden, die auf die Bundesentscheide warten, die Tristesse vergessen lassen, indem sie mit ihnen Theater spielt. Doch der bunte Haufen Menschen spricht kaum Deutsch, und die Laien-Regisseurin ist eher naiv denn talentiert. Am Ende einigt man sich auf eine Interpretation von Schillers «Wilhelm Tell». 

Die Idee, den Freiheitskämpfer Wilhelm Tell, diese schillernde Symbolfigur unseres Landes, von Asylbewerbern spielen zu lassen, ist keck. Doch bildet sie nur am Rande einen Rahmen für ganz viel und doch viel zu wenig. Da bahnt sich eine Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Asylsuchenden aus verschiedenen Kulturen an, da werden zahlreiche Einzelschicksale gestreift – und dann doch immer wieder die Schweizer Hausfrau ins Zentrum gestellt, ein Gutmensch, die ihre eigenen Ziele zu Gunsten der Familie aufgegeben hat.  

Kaum ein Klischee wird ausgelassen

Man akzeptiert gerne, dass hier für einmal ein Spielfilm mit der Realität von Asylsuchenden spielt, es gibt ja schon eindrückliche Dokus (etwa Fernand Melgars preisgekrönter Film «Vol Spécial») und Reportagen (wie diese aus dem Basler Empfangszentrum).

Doch es ist unverzeihlich, wie Luisi mit Klischees um sich schlägt. Da sind die gutsituierten und schlecht gelifteten Theater-Kolleginnen, die Weihnachten (natürlich) in St. Moritz verbringen. Da ist der Asylsuchende aus Simbabwe, dessen Gesuch abgelehnt wurde und der nun (natürlich) unbedingt eine Schweizerin heiraten will. Natürlich kommt da zwischen zwei Coop-Regalen zum richtigen Zeitpunkt die alleinerziehende Mutter um die Ecke. Zu all diesen Klischees kommen eigenartige Handlungsbögen. Etwa ein unverhofft dramatischer Zusammenbruch einer Asylsuchenden, die Luisi zuvor im Film nicht wirklich eingeführt hatte. Man merkt, dass er uns mit den humanitären Schicksalen konfrontieren und dabei die Leichtigkeit bewahren möchte. Doch wirkt das meist viel zu abgedroschen, sodass wir immer stärker im Sessel versinken. 

Die Amerikaner zeigen, wie es geht

Dieser Streifzug durch Klischees senkt die Spannung, lähmt die Handlung, die seichte Vorhersehbarkeit des Feel-Good-Movies trägt zusätzlich dazu bei. Die Amerikaner setzen solche Ideen gekonnter um, wir denken an «Sister Act» oder «School of Rock» – Filme, bei denen Grenzen überwunden werden müssen, Vorurteile auch, was am Ende zum gloriosen Auftritt führt, zu Standing Ovations im Film und Tränen im Kinosaal.

«Schweizer Helden» hingegen hält nicht, was der Film versprechen könnte. Zum Weinen? Dafür baut der Film zu wenig Empathie auf zu den Figuren, fehlt die Tiefe. Zum Lachen? Dafür fehlen die wirklich guten Pointen und Dialoge. Viel zu lieblich, vielleicht auch, weil sich der Filmemacher nicht die Finger verbrennen wollte.

Alles und nichts

Dabei beginnt «Schweizer Helden» ganz vielversprechend, mit einer Anfangssequenz, in der wir Luisis Talent, leichten, frischen Witz mit Nachdenklichkeit zu kombinieren, wieder erkennen – mit dieser Formel hatte 2011 sein erfolgreicher Film «Der Sandmann» begeistert. Dieses Geschick kommt ihm hier aber rasch abhanden, als er seine Hauptdarstellerin ins Asylempfangszentrum, eine Art SAC-Hütte in den Urner Bergen, spazieren lässt. Vielleicht hätte der Film weniger lieblich sein müssen, härter, gnadenloser. «Schweizer Helden» hätte man bissiger auslegen können, so wie «Image Problem», die starke Satire der Bieler Filmemacher Andreas Pfiffner und Simon Baumann vor zwei Jahren.

Luisi aber möchte irgendwie alles. Und was dabei herauskommt ist irgendwie nichts. Nichts Bleibendes. Nichts Lustiges. Nichts Eindrückliches. Sondern eine Enttäuschung.

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«Schweizer Helden» feiert am 13. August Premiere in Locarno und kommt am 13. November in die Kinos.

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