Geboren 1930 in Wolfhalden AR, hat Werner Lutz den Grossteil seines künstlerischen Lebens als Maler und Lyriker in Basel verbracht. Dass er zu den bedeutenden Schweizer Autoren seiner Zeit gehört, wurde erst in den letzten Jahren gewürdigt.
«Dieses Leben, dieser Tod / die mir zurufen mit meiner eigenen Stimme / die mir winken mit meiner eigenen Hand.»
Wer im lyrischen Werk von Werner Lutz nach dem Tod sucht, findet ihn überall. Schon im ersten Gedicht des ersten Bandes «Ich brauche dieses Leben» (1979) geistert er durch die Zeilen. Der Schmerz über die Endlichkeit des Lebens, die Verzweiflung über dessen Sinnlosigkeit sind der Cantus firmus dieses Autors.
Wer vom Tod singt, redet vom Leben. Der dunkle Ton, den Werner Lutz anschlägt, wird noch und noch übertönt durch die Posaunen eines schalkhaften Glücks. «Malven mag ich, Lupinen, all die Möglichkeiten zu locken, zu leuchten und zu werben», heisst es in den Aufzeichnungen «Bleistiftgespinste» (2006). Die Trauer ist die Grundierung, auf der die Bilder und Metaphern ihre Farben umso voller entfalten. Der Kontrast von beidem macht die untergründige Spannung und die poetische Kraft dieser Dichtung aus.
Werner Lutz hat sich mit seiner ersten Publikation Zeit gelassen. Sie erschien erst 23 Jahre nach seinen frühen Gedichten, die in der Hanser-Anthologie «Junge Lyrik 1956» publiziert wurden. Er wollte erst von seinen Vorbildern wegkommen. Seine Vorbilder, das waren sein Förderer Rainer Brambach, Günter Eich, Paul Celan. Als er seine Sammlung endlich aus der Hand gab, eroberte ihr ironisch-lakonischer, melancholisch-trotziger Ton sogleich die Herzen der Lesenden.
Hochkonzentrierte Sprache
Der Werner-Lutz-Sound ist, bei allen Variationen und Schattierungen, durch die Bücher hindurch wiedererkennbar. Er enthält ein nicht geringes Suchtpotenzial – die ihm Verfallenen pflegten ungeduldig auf den nächsten Band zu warten. Zu ihrer Freude verkürzten sich die Abstände zwischen den Publikationen. Seit 1999 erschien im Schnitt alle zwei Jahre ein Band, darunter einer mit Aufzeichnungen und eine Erzählung.
Ob Lyrik, ob Prosa, die Texte zeichnen sich durch eine hochkonzentrierte Sprache aus, die bei aller Verknappung leicht und unangestrengt bleibt. Ihr nie versiegender Bilderreichtum, ihre gedankliche und emotionale Tiefe, ihr abgründiger Witz machen Werner Lutz zu einem der bedeutenden Schweizer Autoren seiner Zeit. Um den 80. Geburtstag des Dichters häuften sich die Zeichen der öffentlichen Wertschätzung.
Scheu vor Selbstinszenierungen
2010 wurde ihm der Basler Lyrikpreis verliehen, im gleichen Jahr erschien der Band «Von Ort zu Ort verschieden nachdenklich sein», in dem sich 30 Autorinnen und Publizisten mit seinen Gedichten auseinandersetzen. Dann wurde es um ihn wieder stiller. Vielleicht war seine Scheu vor Selbstinszenierungen und grossen Auftritten mit ein Grund, dass er nicht immer die Anerkennung fand, die seine Werke verdient hätten. Andererseits stand Werner Lutz dadurch nicht unter Druck. «Es eilt nicht», bemerkte er einmal, angesprochen auf sein nächstes Projekt, «kein Mensch wartet darauf.» Und schrieb weiter in jenem Rhythmus, den er allein zu bestimmen hatte.
Dass er mit Zurückhaltung von sich selber sprach und um seine Gedichte kein grosses Aufheben machte, trug ihm mitunter den Ruf ein, er gebe wenig von sich preis. Wer in seinem Werk blättert, wird eines Besseren belehrt. Dort ist er Seite für Seite präsent und gibt, als lyrisches Ich, gleichsam aus der Deckung heraus freimütig über sich Auskunft. Im Lauf der Zeit hat er sich so etwas wie eine innere Biographie erschrieben, bestehend aus kurzen, reimlosen Texten in freien Rhythmen, die ein Panorama wechselnder Stimmungen entwerfen.
Werner Lutz besass ein gesteigertes Wahrnehmungsvermögen für das, was ihn umgab, für Menschen, Farben, Bäume, Flüsse, Tiere und alle Arten atmosphärischer Vorgänge. Dazu kam seine stupende Fähigkeit, das Beobachtete so in Worte zu fassen, dass es unter der Hand zur Metapher für menschliche Befindlichkeiten wurde.
«Plötzlich verzweigt / sich der Weg und jeder kann gehen / wohin er will» («Nelkenduftferkel», 1999).
Indem er sich einem Schatten, einem Sperling, einer Hügellandschaft zuwandte, entwickelte sich ein Gespräch über Liebe und Angst, Wut und Leichtsinn, Enttäuschung und Versöhnung. Aussenwelt und Inneres sind in seiner Lyrik in ein enges Bezugssystem eingebunden, das die Grenzen zwischen dem Ich und der Welt der Dinge, zwischen sinnlicher Gegenwart und Erinnerung aufhebt.
Sein Geld verdiente er in der Werbung
Sein Atelier am St. Alban-Rheinweg, von dem aus er auf seinen geliebten Fluss sah, diente nicht nur dem Schreiben. Als Grafiker und Werber ging er einem Beruf nach, der nach aussen hin orientiert war. Geschäftsreisen, Kundengespräche, Terminarbeiten ebenso wie familiäre Verpflichtungen bildeten lange den Kontrapunkt zum Schreiben.
Immer deutlicher bildete sich als weiterer Kontrapunkt das Zeichnen und Malen heraus. Die abstrakten Bilder, die dabei entstanden, sind von der gleichen Perfektion wie die lyrischen, auch sie sind durchdrungen von einer poetischen Kraft, die sogleich für sie einnimmt.
© Werner Lutz/ProLitteris
Malen und Schreiben wurden zu zwei Disziplinen, in denen sich Werner Lutz abwechselnd bewegte und die sich gegenseitig befruchteten. In beiden versuchte er auszudrücken, «was in mir unterwegs ist». Nun ist das, was in ihm unterwegs war, zum Stillstand gekommen. Zum Stillstand? Nun ist es, wenn wir seine Bilder sehen oder lesen, unterwegs in uns.
_
Am Mittwoch, 3. August 2016 um 17 Uhr findet in der Kirche St. Margarethen in Binningen eine Abschiedsfeier für Werner Lutz statt.