Louise Guerra ist die fiktive Frau hinter dem gleichnamigen Künstlerinnenkollektiv. Sie ist faszinierend, aber schwer fassbar. Der Versuch, sich bei einem Besuch ihrer Ausstellung in der Kunsthalle diesem Phantom anzunähern.
In der Kunsthalle stellt eine neuer, frischer Name auf dem Programm: Louise Guerra. Hinter diesem Namen verbirgt sich allerdings keine Einzelperson, sondern ein Kollektiv von jungen Künstlerinnen. Die Zusammensetzung und Mitgliederanzahl dieser Gruppe variiert je nach Projekt. Und Louise, das ist mehr als eine Frau, versteckt hinter einem Pseudonym. Louise ist eine Idee, ein Konzept, ja, vielleicht liesse sich sogar sagen, Louise steht für eine Lebenseinstellung.
Was nun folgt, ist ein Fazit nach einer Begegnung mit Louise Guerra, oder besser: einer Version von Louise. Denn Begegnungen mit ihr verlaufen stets unterschiedlich, je nachdem, welche Louise gerade anwesend ist und welche Fragen ihr gestellt werden. Die einzelnen Mitglieder des Kollektivs werden auf ihren Wunsch hin nicht namentlich erwähnt, nicht abgebildet und treten als Teilpersönlichkeiten von Louise Guerra auf.
(Bild: Philipp Hänger)
Phantom der Kunst
Ich empfinde Louise als sehr zurückhaltend. 2013 «erwarb» Louise Guerra, wie es auf ihrer Website heisst, einen Abschluss an der Hochschule für Gestaltung und Kunst der FHNW. Mehr ist darauf nicht in Erfahrung zu bringen. Ein Vorbote dafür, dass eine eindeutige Definition des Kollektivs sich aufgrund der Vielschichtigkeit der Themen und beteiligten Personen als kompliziert herausstellt und wahrscheinlich auch nicht erwünscht ist.
Erklärungen für das Phänomen Louise Guerra zu bekommen ist also schwierig, vielleicht liegt es aber auch an der Art der Fragen, die ich stelle, lasse ich mich doch anfänglich noch zu sehr vom Kollektivgedanken und dem Alter Ego irritieren. Schnell merke ich auch, dass die Frage nach «Was ist Louise» auch nicht zielführend ist. Denn «Louise Guerra ist Louise Guerra ist Louise Guerra ist Louise Guerra». Spannender ist, «Wie arbeitet Louise Guerra». Und warum überhaupt?
Nomen est Omen
Am Anfang eines Projekts steht jeweils derselbe Name: Louise. Irgendeine Louise aus der Geschichte, die den Künstlerinnen ins Auge sticht, wird ausgewählt, und dann wird über sie gründlich recherchiert. Die Arbeiten, die daraus entstehen, können alle möglichen Formen annehmen, bildnerisch, akustisch oder als Performance umgesetzt werden. In diesem Fall der Ausstellung im Rahmen der aktuellen Regionale ist auch ein Buch daraus geworden. «I am She Who» erzählt aus den fiktionalisierten Biographien on Louise Michel, Louise Bourgeois, Louise Nevelson und Louise Lawler. Eines haben sie allesamt gemeinsam: in ihrem Zentrum steht eine Frau mit dem Namen Louise, häufig unangepasst oder eine Vorreiterin ihrer Zeit.
Ein Besuch der Ausstellung Louise Guerra ist wie ein Spaziergang im Leben einer historischen Louise, erarbeitet in sorgfältiger Annäherung an sie. Was bereits einen Aspekt der Arbeiten andeutet: Kritik gegenüber der Geschichtsschreibung, in einem weiteren Sinne kann auch gegenüber der Gesellschaft hineingelesen werden. Denn häufig, so sagt mir Louise, gehe beim Lesen von Geschichte ein Aspekt unter. Die Frage nach der Autorenschaft.
Wer schrieb Geschichte, was wurde daraus gemacht? Durch das Arbeiten im Kollektiv wird die Künstlerin als Subjekt abgeschafft, durch die Konzentration auf Frauen mit demselben Vornamen diejenige des Subjekts in der Gesellschaft.
(Bild: Philipp Hänger)
Alternativen statt Kritik
Der Ansatz klingt ziemlich Meta. Ist Louise Guerra in Wirklichkeit keine Künstlerin, sondern eine Philosophin? Ist ihre alleinige Existenz als sozialer Kommentar zu verstehen? Was Louise Guerra nicht ist, war für die anwesenden Künstlerinnen einfacher zu erklären: «In einem gewissen Ausmass können Arbeiten von Louise Guerra schon als Kritik an Kapitalismus und dem Patriarchat verstanden werden. Wir wollen uns das aber nicht auf die Fahne schreiben lassen. Wir wollen nicht in einer Begriffsschlacht untergehen.»
Wer oder was aber ist denn nun Louise Guerra? Zum Schluss kristallisiert sich dann doch so etwas wie ein Erklärungsansatz heraus: «Treffender als der Begriff ‹Kritik› ist wahrscheinlich, dass Louise Guerra eine Alternative ist. Die durch ihre Haltung und Arbeitsweise im Kollektiv Wert legt auf Dinge wie Gemeinschaft und Austausch statt Erfolgsstreben, Hierarchien und Konkurrenz.» Gesellschaftsformung durch Subversion und Verweigerung sozusagen.
Wer neugierig geworden ist, dem kann ein Besuch in der Kunsthalle Abhilfe schaffen. Louise wird zwar nicht dort sein, zumindest nicht physisch. Der Geist und die Idee von Louise Guerra sind dennoch erfahrbar. Wer sich diesem faszinierenden Phantom noch annähern möchte, sollte sich beeilen. Die Ausstellung läuft nur noch bis zum 3. Januar.
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Regionale 2015, Louise Guerra in «Jungs, hier kommt der Masterplan», Kunsthalle, 29. November 2015 – 03. Januar 2016