Lynette Yiadom-Boakye in der Kunsthalle: So geht Malerei!

Menschen, Menschen, nichts als Menschen: Die Kunsthalle Basel zeigt neue Gemälde der Londoner Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye. Eine kraftvolle Augenweide.

Lynette Yiadom-Boakye in der Kunsthalle Basel.

(Bild: Philipp Hänger )

Menschen, Menschen, nichts als Menschen: Die Kunsthalle Basel zeigt neue Gemälde der Londoner Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye. Eine kraftvolle Augenweide.

Reine Malerei-Austellungen waren in den vergangenen Jahren in der Kunsthalle Basel eine Rarität. Leider, ist man versucht zu sagen angesichts der aussergewöhnlichen Schau mit Gemälden von Lynette Yiadom-Boakye, die Elena Filipovic jetzt im Oberlichtsaal eingerichtet hat.

Figuren, wohin das Auge blickt. Sie liegen auf Sofas, bewegen sich im Tanz, wirken nachdenklich oder blicken geradeaus, dem Betrachter direkt in die Augen. Der erste Gedanke kommt sofort: Wer sind diese Menschen, die die Londoner Künstlerin hier porträtiert? Und schon liegt man falsch. Denn es handelt sich hier nicht um Porträts im klassischen Sinne, auch wenn einiges an den Bildern klassisch ist.




Der Oberlichtsaal wurde für Malerei gemacht, und Malerei gibts da nun wieder zu sehen. (Bild: Philipp Hänger )

Die Menschen, die Lynette Yiadom-Boakye malt, existieren nur in ihrem Kopf und auf der Leinwand. Obwohl man denken könnte, sie verwende Fotografien oder reale Personen als Vorlage, sind es höchstens Versatzteile, die sie nutzt. Ein Ellbogen, den sie in einer Zeitschrift entdeckt zum Beispiel. Oder ein T-Shirt aus einem Schaufenster, eine Pose. Der Rest ist gemalte Fiktion, so wie die Texte, die sie auch schreibt.

Keine Angst vor Mehrdeutigkeit

Fantasievolle Werktitel gaukeln uns mysteriöse Geschichten vor, die hinter den Gesichtern verborgen sind:«Butter in the Eaves» (Butter in der Traufe), «Pander to a Prodigy» (Kuppler eines Wunderkinds) oder «Lute Music to a Heathen» (Lautenmusik für einen Heiden). Doch die Figuren existieren fernab von Zeit und Ort und auch fernab einer offensichtlichen Handlung – was sie umtreibt, wieso sie beispielsweise eine Eule auf einem Arm tragen, das bleibt der Imagination der Betrachtenden überlassen.

Und Ambiguität ist durchaus erwünscht. Wieso beispielsweise verschränkt der Mann im gestreiften T-Shirt seine Hände hinter dem Kopf? Streckt er sich einfach, ist es eine Geste der Entspannung? Oder befindet sich ihm gegenüber ein Polizist, der ihn dazu auffordert? Alles ist möglich.




Posierende Menschen – doch wieso tun sie, was sie tun? (Bild: Philipp Hänger )

Es sind starke, eindrückliche Bilder, die die 39-Jährige malt. Und sie wirken in der grossen Zahl, in der sie im Oberlichtsaal hängen, mehrfach verstärkt. 24 Gemälde sind es, und sie entstanden alle innerhalb der letzten paar Monate.

Dies setzt ein zügiges Malen voraus, und dieses Vorwärtstreiben merkt man den Bildern an. Lebendige, expressive Pinselstriche formen die Figuren, Konturen, so scheint es, werden überbewertet. Während die Malerin manche Partien detailgetreu ausgestaltet, verschwimmen andere mit dem Hintergrund, werden nur ansatzweise formuliert. 

Stellenweise erinnert die Maltechnik an historische Vorbilder, an Impressionisten wie Édouard Manet, gerade auch dort, wo die Leinwand noch durch die Schichten von Farbe schimmert oder zu den Bildrändern hin gänzlich naturbelassen bleibt. Auch in den Posen etwa der Tänzerinnen glaubt man Anlehnungen an Bilder von Manet oder auch Edgar Degas zu erkennen.

Yiadom-Boakye wählt zudem traditionelle Porträtvariationen: Von der Ganzfigur über Dreiviertelprofile bis zum Brustbild. Gleichzeitig verbindet sie diese klassischen Typen mit modernistischen Elementen, zum Beispiel dem Anschneiden von Füssen oder Händen durch den Bildrand.




Fast schon ein klassisches Motiv, die drei Frauen am See. (Bild: Philipp Hänger )

Einziger Unterschied zu den klassischen Vorbildern: Yiadom-Boakyes Figuren sind allesamt schwarz. Die Künstlerin nimmt damit – bewusst oder unbewusst – Bezug auf die Kunstgeschichte, die fast gänzlich ohne schwarze Künstler oder Porträts schwarzer Menschen auskommt, und führt fast subversiv eine Menge solcher Figuren in den Kanon ein. Keine historisierenden Figuren jedoch, wie man meinen könnte, sondern Menschen, die trotz fehlender zeitlicher Attribute vollends im Hier und Jetzt verankert sind.

In einem Interview mit Hans-Ulrich Obrist meinte sie einst: «Rasse ist etwas, das ich komplett manipulieren kann, oder neu erfinden oder so benutzen, wie ich es will. Und, sie sind alle schwarz, weil … ich auch schwarz bin.»

Unauffällig, aber präsent

Es sind keine perfekten Menschen, die Yiadom-Boakye zeichnet, keine Ideale. Sie verfügen über kaum hervorstechende Merkmale, sind unauffällig gekleidet und frisiert. Das Unperfekte der Menschen spiegelt sich im Malstil, der mancherorts fleckig wirkt oder untere Farbschichten durchscheinen lässt – fast so, als hätte die Malerin nicht genügend acht gegeben.

Acht aber gibt sie, auf jedes Detail. Jeder Fleck ist beabsichtigt, denn sonst würde in der Gesamtkomposition etwas fehlen, ginge etwas von der Stärke ihrer Gemälde verloren. So aber stehen wir in einem Oberlichtsaal voller lebendiger Figuren – es ist eine kraftvolle Konfrontation.

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«Lynette Yiadom-Boakye – A Passion To A Principle», Kunsthalle Basel, 18. November bis 12. Februar 2017.
Gespräch zwischen der Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye und Josef Helfenstein, Direktor Kunstmuseum Basel, moderiert von Elena Filipovic am Samstag, 19. November, um 15 Uhr.

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