Mais ums Bundesamt

In der Schweizer Filmbranche herrscht Unmut: Die Filmförderung des Bundes steht in der Kritik. Wie die TagesWoche weiss, wurde gegen das Bundesamt für Kultur Beschwerde wegen «Verletzungen der Organisations- und Unabhängigkeitsgarantie» eingereicht. Filmchef Ivo Kummer weist die Vorwürfe zurück.

Mais in der Filmszene: Geniessen einige Branchenleute eine Vorzugsbehandlung beim BAK? (Bild: Nils Fisch)

In der Schweizer Filmbranche herrscht Unmut: Die Filmförderung des Bundes steht in der Kritik. Wie die TagesWoche weiss, wurde gegen das Bundesamt für Kultur Beschwerde wegen «Verletzungen der Organisations- und Unabhängigkeitsgarantie» eingereicht.

Der Mann am anderen Ende der Leitung ist hörbar sauer. «Was sich die Filmsektion des Bundes erlaubt, ist in meinen Augen unseriös und entspricht nicht den Richtlinien», sagt Thierry Spicher. Der Romand führt die Firma Box Productions, hat 2008 Ursula Meiers «Home» in die Kinos gebracht und mitgefeiert, als sie damit den internationalen Durchbruch schaffte. Spicher engagiert sich zudem seit Jahren in der Lobbyarbeit, als Mitglied der Interessensgemeinschaft unabhängiger Schweizer Filmproduzenten. Er ist ein Kritiker des neuen Förderkonzepts des Bundes, ortet darin grosse Schwächen und Unstimmigkeiten in der Umsetzung. Er wirft der mächtigen Film-Sektion im Bundesamt für Kultur (BAK) Willkür vor.

Was ist geschehen? Im August 2013 traf sich wie alle zwei Monate eine Jury, um zu entscheiden, welche Filmprojekte mit Schweizer Regie vom Bund unterstützt werden sollen. In der Kommission sitzen Branchenfachleute, zahlreiche Filmemacher, die selber aktiv sind. Die Besetzung wechselt ständig. Die August-Jury fand nur ein einziges Projekt überzeugend genug für die selektive Förderung: «Amnesie» von Barbet Schroeder, den die Zürcher Produzentin Ruth Waldburger (Vega Film) realisiert. Dafür erhielt sie 500’000 Franken zugesprochen.

Ein «ärgerlicher Fehler» in der Sektion Film

In dieser Kommission sass auch Jean-Stéphane Bron, der sich mit «Mais im Bundeshuus» oder «Cleveland vs. Wallstreet» in die oberste Liga der Schweizer Dokfilmemacher hochgearbeitet hat. Was der Filmsektion des Bundes entging: Bron ist Teilhaber der Produktionsgesellschaft Bande à part Films. An dieser ist gemäss Handelsregisterauszug auch Ruth Waldburger beteiligt. Womit ein Interessenskonflikt geltend gemacht werden kann. «Bron hätte in den Ausstand treten müssen», sagt Spicher.

Das erkannte im Nachhinein auch das Bundesamt für Kultur. Ivo Kummer, Chef der Sektion Film, räumt ein, dass ein ärgerlicher Fehler unterlaufen sei. «Uns wurde nicht mitgeteilt, dass Bron und Waldburger geschäftlich miteinander verbunden waren.» Seien sie auch nicht mehr, sagt Jean-Stéphane Bron auf Anfrage der TagesWoche: «Ruth Waldburger war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Gesellschafterin bei Bande à part Films.»

Im August wurde schliesslich gar kein Film unterstützt  

Bron bestätigte dies auch gegenüber Kummer. Waldburger habe ihre Beteiligung vor Monaten aufgegeben, der Verwaltungsrat habe das auch protokollarisch festgehalten. Allerdings war diese Mutation bis zuletzt noch nicht im Handelsregisterauszug ersichtlich. «Eine verzwickte Situation», sagt Kummer, «aus diesem Grund haben wir die Absichtserklärung für Amnesie im Nachhinein aufgehoben und im August gar keinen Förderbeitrag gesprochen.»

Das ist aussergewöhnlich, auch, weil im Jahr 2013 an allen anderen Sitzungen mindestens zwei Filmen die begehrten Bundesgelder zugesprochen wurden.

Aussergewöhnlich ist auch, dass «Amnesie» gleich in der nächsten Kommissionssitzung beurteilt wurde und im Unterschied zu allen anderen Gesuchen keine Eingabefrist einhalten musste. Für Spicher ein weiterer formaler Fehler.

Kleine Filmszene, viele Verstrickungen 

Im Oktober 2013 hat das Bundesamt für Kultur 16 Gesuche beurteilen lassen. «Amnesie» erhielt erneut positiven Bescheid und gehörte zu den sechs Filmprojekten, die unterstützt wurden. Subventioniert wird auch Wolfgang Panzers Film «Double Je(u)», eine weitere Produktion von Vega Film (700’000 Franken), sowie Lionel Baiers «La vanité» (Band à part films), der mit einer halben Million Franken vom Bund rechnen darf. Daran stösst sich Spicher ebenfalls, denn wie er sagt, sass mit Max Karli ein Vertrauter von Lionel Baier in der Oktober-Kommission. Karli hat Baiers aktuellen Film «Les Grandes Ondes» mitproduziert.

Während «Amnesie» also mit 500’000 Franken rechnen kann, blieb es bei den sieben anderen Filmprojekten, die im August beurteilt wurden, bei Absagen. Davon war auch die Luzerner Produktionsfirma Zodiac Pictures («Achtung, fertig, WK») betroffen, wie Mitinhaber Reto Schaerli bestätigt. Ihn irritiert ebenfalls, dass nicht alle Filme dieser Sitzung neu beurteilt wurden: «Das BAK hat es leider verpasst, mit einer transparenten und fairen Lösung dem Unmut der Branche entgegenzuwirken».» 

Wie Schaerli sass auch Spicher mehrere Jahre lang selber in der Kommission. Weshalb dieser gleich lange Spiesse für alle fordert. Spicher sagt es so: «Die Filme werden verglichen, das Geld ist limitiert. Wenn jemand die Arbeit eines Kollegen oder einer Kollegin favorisiert, dann kann er auch ein Interesse daran haben, dass die anderen Projekte nicht durchkommen.»

Die Nähe von Waldburger und Jurymitglied Bron könnte auch die anderen Juryentscheide beeinflusst haben, vermutet Spicher und hat deshalb Rekurs eingereicht.

«Ich habe meine Aufgabe in vollster Unabhängigkeit vorgenommen.»
Jean-Stéphane Bron

Was hält Bron von diesen Protesten? «Ich kann nachvollziehen, dass sie über die Absagen ihrer Projekte enttäuscht sind. Ich habe meine Aufgabe in vollster Unabhängigkeit vorgenommen, das entsprechende Projekt wurde übrigens einstimmig gutgeheissen. Sollten diese Proteste eine Diskreditierung des Bundesamts für Kultur sein, ist das eher traurig und kontraproduktiv.»

Die Nachteile der ständigen Rotation

Tatsächlich gehören einige Mitglieder der IG unabhängiger Filmproduzenten seit Beginn zu den Kritikern des aktuellen Fördersystems, das seit 2012 in Kraft ist. Die Branchenmehrheit hatte es gutgeheissen. Spicher gehörte nicht dazu. Das System berge zahlreiche Schwachpunkte, sagt er, die Interessenskonflikte seien vorprogrammiert, die Schweizer Filmszene klein, die Rotation in der Miliz-Kommission gross. Als weiteres Beispiel erwähnt er «Un Juif Pour L’Exemple» von Jacob Berger.

Auch dieser Film wird von Ruth Waldburgers Vega Film produziert, 2012 reichte sie ein Fördergesuch beim BAK ein. Zweimal wurde dieses abgelehnt. Beim ersten Mal überzeugte das Drehbuch zu wenig. Beim zweiten Mal ortete die nun anders besetzte Kommission Mängel in der Produktion und im Budget. Da ein Filmprojekt nur zweimal eingereicht werden kann, wäre damit klar gewesen, dass «Un Juif Pour L’Exemple» keine Bundesgelder erhalten würde. Doch Ivo Kummer gab dem Film eine dritte Chance. Und siehe da: Er erhielt 900’000 Franken zugesprochen.

«Vetternwirtschaft ist bei uns überhaupt kein Thema.»
Ivo Kummer

Nun vermuten manche Branchenleute, Ruth Waldburgers Vega Film geniesse eine Vorzugsbehandlung beim Bundesamt für Kultur. Filmchef Kummer winkt ab: «Unsinn», sagt er. «Vetternwirtschaft ist bei uns überhaupt kein Thema, wir arbeiten sehr verantwortungsbewusst.» Für Kummer gehen die Vorwürfe schon fast in Richtung Verschwörungstheorien.

Schwachstellen des Fördersystems

Im Fall von «Un Juif Pour L’Exemple» sei es unfair gewesen, dass bei der zweiten Eingabe auf einmal ein Aspekt bemängelt worden sei, den die erste Jury nicht problematisch fand, sagt der Filmchef des BAK. Das so etwas vorkomme, liege am Förderkonzept, an der ständigen Rotation von 32 Kommissionsmitgliedern. «Ich würde mir auch lieber ein Satellitensystem wünschen, bei dem nur zwei, drei Mitglieder rotieren und zwei Leute regelmässig Einsitz haben – für eine kohärente Beurteilung der Projekte», sagt Kummer. Dass das politisch abgesegnete Förderkonzept auch Schwachstellen habe, darin scheint er sich mit seinen Kritikern einig zu sein. Auch Spicher wünschte sich mehr Kontinuität in der Arbeit der Kommission. Doch mit den Begründungen des BAK gibt er sich nicht zufrieden. Spicher stört sich an den Vorgängen.

Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht

Sein Anwalt hat daher vor einigen Tagen beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen das Bundesamt für Kultur eingereicht. Auf 33 A4-Seiten werden «Verletzungen der Organisations- und Unabhängigkeitsgarantie» beanstandet.

Darauf angesprochen, sagt Ivo Kummer: «Darüber bin ich ehrlich gesagt froh, denn ich hoffe, dass wir jetzt klare Antworten erhalten und alle ihre Lehren daraus ziehen können.»

Und Jean-Stéphane Bron? Ihn plagen derzeit womöglich andere Sorgen: Sein aktueller Dok-Film «L’Experience Blocher» zieht bescheiden an den Kinokassen. Bisher haben sich gemäss «ProCinema» lediglich 7602 Besucher dafür interessiert.

Ruth Waldburger von Vega Film hat sich bei uns seither gemeldet. Sie möchte sich zu diesen Vorwürfen nicht äussern.

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