Malcolm X: Biopic eines Radikalen

Vor 50 Jahren wurde Malcolm X erschossen. 1992 setzte ihm Spike Lee ein mit einer Biographie-Verfilmung ein Denkmal, mit dem das Establishment besser zurecht kommt als mit Malcolm X‘ politischem Programm.

Serious Talk. Denzel Washington als Malcolm X.

Vor 50 Jahren wurde Malcolm X erschossen. 1992 setzte ihm Spike Lee ein mit einer Biographie-Verfilmung ein Denkmal, mit dem das Establishment besser zurecht kommt als mit Malcolm X‘ politischem Programm.

Er war der andere Martin Luther King. Während der Baptistenpastor King mittels gewaltfreiem Protest die Gleichberechtigung der Schwarzen in Amerika einforderte, reklamierte Malcolm X «the ballot or the bullet»: Gleichberechtigung oder bewaffneten Widerstand.

Als Malcolm Little wurde er 1925 geboren, Malcolm der Kleine – ein Familienname, dessen Herkunft sich in den Jahren der Sklaverei verliert und den einmal ein Meister seinem Sklaven, einem Vorfahren Malcolms, gegeben haben dürfte. Der Name stand, wogegen Malcolm X bis zu seiner Ermordung vor fünfzig Jahren eintreten sollte: nicht nur gegen die Ungleichbehandlung der Schwarzen, sondern noch vielmehr gegen den Paternalismus, mit dem das weisse Amerika ihn und alle Mitbürger seiner Hautfarbe behandelte.

In einem Fernsehinterview sagte er über Martin Luther King, dieser sei vom «weissen Mann» bezahlt, um den «Negro» zum Gewaltverzicht zu überzeugen. Mit derselben Ablehnung begegnete Malcolm X den grossen Klammern, die die USA zusammenhalten – das Christentum und die mythisch aufgeladenen Freiheitsversprechen der Staatsgründung.

Die USA brandmarkte er als ein Land der «Teufel», dessen historischer Aufstieg auf der Ausbeutung und Versklavung der Schwarzen beruhe; das Christentum legte er ab als eine Religion, die seinen unterdrückten Ahnen aufgebürdet worden sei, damit sie ihren Peinigern vergeben würden. Konsequenterweise ersetzte er seinen Familiennamen durch ein «X»: Sein Vater war Reverend und  Anhänger der schwarzen Separatistenbewegung von Marcus Garvey; er vestarb unter nicht geklärten Umständen. Malcolm selbst fand nach einer von Kriminalität, Drogen und Erniedrigung geprägten Jugend im Gefängnis zum Islam.

Integration für X gar kein Ziel

Malcolm X wurde, auch dank seiner während sechs Jahren hinter Gittern geschliffenen Rhetorik, zum Sprachrohr der «Nation Of Islam». Die separatistische Ideologie dieser religiös-politischen Bewegung hatte analog zur indigenen Bevölkerung die Errichtung eines «Homelands» innerhalb der USA zum Ziel. Hier wurden die Unterschiede zu Luther King offenbar: Malcolm X suchte nicht die Integration der Schwarzen in die dominierende Gesellschaft, sondern die Abgrenzung von ihr zugunsten einer eigenen kulturellen Identität, mit einem Bekenntnis zu eigenen Wurzeln und zu einem eigenen Narrativ der amerikanischen Geschichte. Zu diesem Zweck gab er der Gemeinschaft der «Negros» einen neuen Namen, der ihre Herkunft verdeutlichen sollte: Afroamerikaner.

Eine derart radikale Figur lässt sich, anders als Luther King oder Rosa Parks, nur begrenzt eingliedern in die amerikanische Galerie derjenigen Helden, die vom Kampf des Einzelnen für seine Rechte aufstehen, um die Gesellschaft als ganze in Richtung ihres freiheitlichen Ideals voranzutreiben. Erst eine Pilgerreise nach Mekka 1964, ein Jahr vor seinem Tod, versöhnte ihn mit dem «weissen Mann», als er auf weisse Muslime traf und erkannte, dass der Islam nicht nur Elemente der Selbstbehauptung, sondern ebenso der Barmherzigkeit und der Brüderlichkeit in sich barg.

Wehe, der Film wird seicht!

Malcol X, der echte.

Malcol X, der echte.

Am 21. Februar 1965 wurde er während einer Rede in New York erschossen, von Anhängern der Nation Of Islam, der Malcolm X in seinen letzten Jahren den Rücken gekehrt hatte. Die Hagiographie, deren bester Brandbeschleuniger in den USA noch immer ein grosses Hollywood-Epos ist, erhielt er 1992. Denzel Washington spielte die für einen Oscar nominierte Hauptrolle, Spike Lee führte Regie, politisch war der Film trotz seines verklärenden Ansatzes von Anfang an.

Lee, der sich bei der Produktionsfirma mit dem Argument durchgesetzt hatte, dass nur ein afroamerikanischer Regisseur diese Biographie opportun verfilmen könne, wurde von den Anhängern von Malcolm X mit einer Kritik eingedeckt, die an die Abgrenzungsfehden der fünfziger Jahre erinnerte: die «United Front to Preserve the Legacy of Malcolm X» warnte Lee davor, eine zurecht gestutze Softversion zu drehen, die den «middle class negroes» einen einfachen Schlaf bereiten würde.

Die ethnischen Differenzen in den USA, die Malcolm X vor 50 Jahren drastisch und scharf anprangerte, sind bis heute nicht bereinigt, wie Ferguson im vergangenen Sommer zeigte. Lees Film indes hat seine Karriere im Establishment gemacht: 2010 wurde er ins nationale Filmregister der Library of Congress aufgenommen, mit dem Vermerk: kulturell, historisch und ästhetisch wertvoll.

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