«Man spürt hier wirklich die Tradition»

Marie-Paule Jungblut gefällt, was sie als neue Direktorin im Historischen Museum Basel vorfindet. Trotzdem will die Luxemburgerin auch Neues versuchen – zum Beispiel Kutschen aus dem Museum oder den Rhein ins Museum zu holen.

Die neue Direktorin des Historischen Museum Basel hat viele Ideen. (Bild: Basile Bornand)

Marie-Paule Jungblut gefällt, was sie als neue Direktorin im Historischen Museum Basel vorfindet. Trotzdem will die Luxemburgerin auch Neues versuchen – zum Beispiel Kutschen aus dem Museum oder den Rhein ins Museum zu holen.

Sie muss zuerst das Sofa von Schweizerkreuz-Luftballonen befreien, bevor wir uns setzen können. Die lagen dort nicht, weil Marie-Paule Jungblut besonders patriotisch wäre. Nein, die 48-jährige Luxemburgerin wurde so von ihren Kolleginnen und Kollegen im Historischen Museum Basel zum Amtsantritt als Direktorin begrüsst – der ausgerechnet am 1. August stattfand.

Frau Jungblut, Sie haben Ihren Job offiziell am 1. August angefangen. Was verbinden Sie als Historikerin mit diesem Datum?

Ich habe den 1. August nicht als Historikerin erlebt. Wir sind in die Stadt gegangen, auf die Mittlere Brücke, haben uns das Volksfest angeschaut und Parallelen und Unterschiede gesucht zum Nationalfeiertag in Luxemburg.

Und worin liegen diese?

Die Ähnlichkeit liegt natürlich im Feuerwerk (lacht). Und der Unterschied liegt auch im Feuerwerk. Ich habe zudem festgestellt, dass hier sehr viele ältere Leute in der Stadt waren, während es in Luxemburg sehr viele Jüngere wären. Vielleicht waren wir aber auch nicht an den richtigen Plätzen.

Sie sind in Fribourg geboren. Haben Sie noch eine Beziehung zur Schweiz und zum Nationalfeiertag?

Nein. Das war ein biografischer Zufall, dass ich hier geboren wurde.

Seit einem halben Jahr ist klar, dass Sie hier arbeiten werden. Wie gut kennen Sie mittlerweile Basel?

Ich kannte Basel schon vorher, weil ich öfter hier war, um Ausstellungen anzuschauen oder Bekannte zu besuchen. Jetzt versuche ich, mir die Stadt wirklich zu erschliessen. Das mache ich meistens und sehr gerne zu Fuss. Ich fahre nicht so gerne Fahrrad – ich habe ein bisschen Angst vor den Autos…

Wie gut kannten Sie das Historische Museum vorher?

Ich kannte es vor allem über Publikationen und über Ausstellungen, die ich besucht habe, zum Beispiel «In der Fremde». Ich finde, in der Schweiz und in Österreich finden im Moment die spannendsten Ausstellung ganz Europas statt, nicht nur im historischen Bereich. Und Basel ist von Luxemburg nicht weit entfernt, da bietet es sich immer wieder mal an, herzufahren, auch wenn man etwas Klassisches sehen will.

Wenn man «etwas Klassisches» sehen möchte? Wie würden Sie denn das Historische Museum Basel charakterisieren?

Es ist ein Museum mit sehr reichen Sammlungen. Man spürt hier wirklich die Tradition, die man in anderen historischen Museen, die vielleicht themenorientierter gestaltet sind, nicht so spürt. Das gefiel mir auch bei der Ausschreibung, dass es ein Haus ist mit so unterschiedlichen Sammlungen, mit denen sich viele Geschichten erzählen lassen.

Sie verfügen nun eigentlich über kein Museum, sondern über eine Kirche, ein Gefängnis, einen alten Stadtpalais und eine Kutschenremise, die Sie bespielen dürfen.

Die Gebäude an sich erzählen ja auch schon Geschichten. Sie sind eigentlich schon ein erstes Ausstellungsobjekt.

Die Räumlichkeiten jedoch lassen nicht allzu viel Spielraum für Sonderausstellungen. Schränkt Sie das ein?

Die Situation ist nun mal so, und man muss in jeder Situation Ausstellungen machen können. Das ist den Kuratoren hier bislang auch gut gelungen. Man kann nie gegen die Sammlungen Ausstellungen machen, und man kann auch nie gegen die Häuser Ausstellungen machen. Ich komme aus einem Museum, das in vier Bürgerhäusern aus dem 18. Jahrhundert untergebracht ist, da gibt es viele enge Räume, also mussten wir einen epischen Erzählstrang spinnen. Die Situation hier ist für mich somit nicht ein Vor- oder Nachteil, sondern eine Tatsache, mit der man gestalterisch umgehen muss.

Gerade das Haus zum Kirschgarten, das sehr statisch wirkt, soll eine Neukonzeption erfahren. Haben Sie dafür schon Ideen entwickelt?

Diese werden wir im Team entwickeln. Ein Museum wird ja nicht von einem Direktor allein gemacht, sonst wäre es ein einsames Museum. Wir werden Möglichkeiten ausloten. Und gerade in diesem Fall denke ich, dass man mit dem Haus arbeiten sollte. Das wäre ein Wunsch, den ich hätte. Man kann zu einem solchen Gebäude gesellschaftsübergreifende Geschichten erzählen. Zu einem Herrschaftsgebäude gehörte beispielsweise auch Dienstpersonal, dessen Lebensituation wir erläutern können. Nehmen wir also etwa die Küche: Würde man diese an ihren ursprünglichen Ort zurück versetzen, könnte man auch die Wege erklären, die das Personal im Haus zurücklegen musste, und seinen Arbeitsalltag beschreiben.

Sie haben schon erwähnt, dass das Historische Museum sehr stark in der Tradition verankert ist. Gleichzeitig wurde mit Ihrer Wahl auch die Hoffnung verbunden, dass das Haus sich mehr in die zeitgenössische Geschichte hinein entwickeln könnte. Wie wäre das möglich?

Es geht ja nie um ein «Entweder – Oder», es sollte immer ein «Und» sein. Ein öffentliches Museum ist immer für alle da, aber es wollen eben nicht immer alle Menschen dasselbe sehen. Also sollte man immer wieder für jedes Publikum etwas bieten. Ich bin darum auch sehr gespannt auf die Reaktionen auf die kommende Ausstellung «Schuldig». Nach meinen Erfahrungen mit der Ausstellung «Mord und Totschlag», die bis Juli in Bern zu sehen war, wird sie ein ganz anderes Publikum anziehen als andere Ausstellungen.

Sie scheinen auf dieses Thema abonniert zu sein…

(Lacht) Ja, das habe ich auch schon gedacht, als ich dieses Thema auf dem Programm des Historischen Museums Basel sah. Aber überlegen Sie mal, weshalb dieses Thema so präsent ist: Sie schlagen eine Zeitung auf, und – wumms – da steht etwas über Verbrechen. Keine Literaturgattung verkauft sich so gut wie Krimis. Regionale Krimis laufen super. Sie alle kennen hier Kommissar Hunkeler. Selbst meine Mutter meinte, als ich sagte, ich würde hierher kommen: «Ah, Basel kenne ich sehr gut durch Kommissar Hunkeler!» Deshalb meine ich, dass wir Themen unserer Zeit aufgreifen müssen.

Geschichte geht in Ihrem Verständnis bis heute?

Ja, unbedingt.

Der Basler Regierungspräsident Guy Morin sprach sich immer wieder dafür aus, dass das Haus aktueller wird. Spüren Sie von dieser Seite Druck, oder fühlen Sie sich frei in Ihrer Arbeit?

Unser Team und ich, wir fühlen uns sehr frei. Ich denke nicht, dass die Politik inhaltlich dreinredet. Da mache ich mir keine Sorgen.

Planen Sie an den vorhandenen Dauerausstellungen, die sehr kunsthistorisch orientiert sind, Veränderungen?

Die «Wege zur Welterkenntnis» sind wunderschön, da würde ich gar nichts ändern wollen. Diese Ausstellung steht für sich und bringt die Objekte sehr schön zur Geltung. Das Museum besteht ja aber nicht nur aus den Dauerausstellungen, sondern es ist ein Zusammenspiel unterschiedlicher Instrumente, mit temporären Ausstellungen, Publikationen…; vielleicht gehen wir auch einmal mit einem Thema ins Internet, entwickeln ein Spiel oder Ähnliches. Alle Bereiche  zusammen sollen Stadtgeschichte erzählen.

Sie halten also am Konzept der Dauerausstellungen fest?

Das hängt von den einzelnen Häusern ab. Beides hat etwas, Sonderausstellungen wie Dauerausstellungen, beides ist spannend und sinnvoll.

Man bräuchte einfach doppelt so viel Platz…

Ja (lacht). Und einen Tag, der 48 Stunden hat. Es ist ja schön, wenn es Vielfalt gibt. Für eine Stadt aber finde ich, braucht es eine Referenzausstellung. Diese muss aber auch nicht während 30 Jahren unverändert bleiben.

Die aktuelle Dauerausstellung hört im 19. Jahrhundert mehr oder weniger auf, wird das 20. Jahrhundert weiter nur in Sonderausstellungen zur Geltung kommen?

Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Der Zugang zu Phänomenen aus der neueren Geschichte muss aber vielleicht anders gestaltet werden als überdie blosse Präsentation der Objekte in Vitrinen mit Begleittexten.  Dann muss man auch bedenken, dass man in einem Fall mit bestehenden Sammlungen arbeitet, während in einem anderen Fall Sammlungen aufzubauen sind. Das Heute wird einmal Vergangenheit sein, doch es stellt uns vor andere Fragen: Was von heute ist denn überhaupt relevant? Was lohnt  sich, zu sammeln? Das muss erforscht werden. Und dazu braucht man unter anderem auch den kunsthistorischen Zugang.

Setzen Sie in Ihren Ausstellungen denn auch hauptsächlich auf Objekte?

Es wird hier auch weiterhin mit «traditionellen» Museumsobjekten gearbeitet werden, ja, aber es wäre schön, wenn noch mehr Objektkategorien miteinbezogen werden. Ich denke immer in mehreren Kategorien von Objekten. Da gibt es jene, die wir auf einen Sockel oder in Vitrinen setzen, es gibt aber auch Texte, die man als Objekte ansehen kann. Ein Buch beispielsweise. Wie stellt man dieses aus? Nehmen wir den «Hexenhammer» als Beispiel. Den kann ich nun aufgeschlagen in eine Vitrine legen. Daneben steht in einer Objektbeschriftung, was das ist. An vielen Besuchern geht die Bedeutung des Buches aber so vorbei. Doch wenn ich das Buch geschlossen in eine Vitrine lege, es dramatisch beleuchte,und Zitate daraus auf Textfahnen in den Raum hänge, dann kann ich dem Besucher eher verdeutlichen, welche Bedeutung das Buch  zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert hatte: ein extrem fieses Werk, das geholfen hat, unzählige Frauen und Männer zu foltern und zu töten. Es gibt noch weitere Objektkategorien: Ton, Film, Fotografie…. Das Zusammenspiel verschiedener Objektarten erzeugt Spannung, denke ich. Und es ist wichtig, dass wir in der Kommunikation mit dem Besucher die Sprache unserer Zeit sprechen.

Sie haben jetzt aber nicht vor, alles umzukrempeln?

Nein, gar nicht. Das empfinde ich auch nicht als den richtigen Weg. Zu dieser Stadt gehört ja auch die Tradition, diese ist Teil der Geschichte, Teil der Identität. Und deshalb, finde ich, sollte das Museum weiter mit der Tradition arbeiten. Aber es können ja neue Impulse kommen.

Als Sie Anfang Februar als neue Direktorin vorgestellt wurde, haben Sie gesagt, Sie würden gerne «populäre Ausstellungen» machen. Was verstehen Sie darunter?

Ausstellungen, die die Sprache unserer Zeit sprechen. Museen sind häufig aus Rüstkammern, aus Zeughäusern, aus Schatzkammern entstanden. Aber sie haben sich entwickelt, und sie haben immer Fragen und Ausstellungsformen ihrer Zeit aufgegriffen. Das sollte ein historisches Museum tun, und das macht dieses Museum auch schon. Dann ist die Ausstellung populär. Und wenn ich populär sage, meine ich leicht, aber nicht seicht. Bei dieser Grenze muss man im Ausstellungsgeschäft sehr aufpassen: Ausstellungen müssen solide recherchiert sein, doch der Besucher muss die aufwändige Recherche nicht zwingend sehen. Auch Humor ist möglich – nicht überall natürlich.

Sie haben vorhin Internetprojekte angesprochen – Sie haben das auch schon gemacht (www.explore-poverty.org). Haben Sie so etwas auch vor?

Wenn bei den Kuratoren Interesse besteht und wir Partner dafür finden, sehr gerne. Denn wir müssen ja nicht nur an das Publikum denken, das in unsere Häuser kommt, sondern auch an das Publikum draussen. Wir sind dazu da, Geschichte an ein grosses Publikum zu vermitteln.

Können Sie sich auch eine Zusammenarbeit mit anderen Häusern oder über die Museumsgrenzen hinaus vorstellen?

Absolut. Synergien sind immer sehr schön. Aber fragen Sie mich jetzt noch nicht konkret!

Apropos konkret: Haben Sie schon Ideen für Sonderausstellungen?

Es gibt ja schon einiges, was im Team geplant ist. Was ich aber sehr schön fände, wäre eine Ausstellung über den Rhein. Denn die Geschichte der Stadt ist naturgemäss sehr mit dem Rhein verbunden. Auch die Industriegeschichte sollte thematisiert werden – das wird aber kaum morgen geschehen. Es gibt massenhaft virulente Themen, aber man muss auch daran denken, dass nicht jedes Thema beim Publikum gleich gut ankommen würde. Und wir müssen ja trotz allem auch an die Finanzen denken.

Sie sagen es: Das Museum hat diverse Sparmassnahmen hinter sich. Das Kutschenmuseum konnte gerade eben noch gerettet werden. Grossartige Sprünge sind aber wohl nicht möglich?

Man muss immer auch private Mittel suchen. Und es wird immer Projekte geben, für die es zu wenig Geld hat – trotzdem sollte man sie machen können. Ich finde aber, dass das Kutschenmuseum es wert ist, dass man sich dafür engagiert. Denn anhand von Kutschen lassen sich wunderbare Geschichten erzählen. Natürlich sind diese an eine Epoche gebunden, aber sie lösen auch Phantasien aus. Frauen träumen von einer Hochzeitskutsche, Männer sind fasziniert von technischen Aspekten… Viele Museumsexponate kommen ja immer aus dem häuslichen Leben, mit Kutschen kann man aber auch die Stadtgeschichte in den Strassen erzählen.

Wollen Sie die Kutschen aus dem Museum holen?

Sie werden jetzt natürlich nicht ständig durch die Straßen rollen! Doch wir reden hier nur über Ausstellungen, es gibt jedoch auch andere Vermittlungsmöglichkeiten. Sei es, dass wir im Kutschenmuseum in die Richtung der angelsächsichen Tradition der Living History gehen, oder dass wir Geschichten recherchieren von Menschen, die mit Kutschen zu tun hatten, vom Kutscher bis zur Dame, die darin ausgefahren wurde. Wir sind im Moment daran zu überlegen, wie wir das Kutschenmuseum ohne einen zu grossen Aufwand beleben können.

Wollen Sie auch aus anderen Häusern noch mehr rausholen?

Im Kirschgarten sollte man auf jeden Fall etwas machen. Das Haus wirkt schon sehr verschlossen. Ein Museum aber sollte einladend sein, sollte zum Eintreten auffordern. Da gibt es definitiv Bedarf. Es gibt auch diesen schönen Garten dahinter mit dem Restaurant. In Luxemburg haben wir im Park des städtischen Kunstmuseums eine Picknickzone eingerichtet, mit Spielzeugen für Kinder. Und wir haben im Park Proben zu einem Ballett während der Mittagspause abgehalten. Plötzlich waren wir der Hype. Das ist vielleicht nicht unbedingt das richtige Rezept für das Haus zum Kirschgarten, aber es gibt anderes, was man machen könnte. Und Kooperationen liegen durchaus im Bereich des Möglichen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.08.12

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