Fotografien müssen nicht digital bearbeitet werden, um einen besonderen Effekt zu erzielen. Marcel Scheible zerschneidet Fotos und stellt sie neu zusammen – und kann damit so manch einen Betrachter verwirren.
Überall liegen zerschnittene Fotografien herum. Auf einem Tisch sind Schere, Skalpell und Leimspray platziert. Ist hier ein Hobby-Bastler am Werk? Keineswegs.
Wir befinden uns in der Ateliergemeinschaft Goldzack, wo der Künstler Marcel Scheible sein Atelier hat. Und was wir als Utensilien aus dem Zeichenunterricht wiedererkennen, ist sein tägliches Arbeitsgerät. Schaut man sich die aufgelegten Fotografien aus der Nähe an, wird auch klar, wozu er es braucht: Zwei Bilder wurden in einem zusammengefügt – und das manuell.
Scheible zerschneidet Fotografien und kombiniert sie so, dass neue Bilder entstehen. «Upsidedowninsideout» heisst die Foto-Serie, die der Basler Künstler als konzeptionelle Arbeit bezeichnet. Seine Arbeitsweise ist dementsprechend zielorientiert: «Ich arbeite visuell und pragmatisch. Ich lege die Bilder aufeinander und entscheide schnell, wo etwas hinpasst und wo nicht», erklärt er.
Marcel Scheible: «Es ist ein Angebot. Ich frage den Betrachter: Wie wäre das hier?» (Bild: Hans-Jörg Walter)
Vor 20 Jahren machte der heute 41-Jährige den Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Basel und absolvierte anschliessend das Lehramt für bildende Kunst. Seit er als selbstständiger Künstler tätig ist, spielen räumliche Aspekte in seinen Werken eine grosse Rolle.
Täuschung oder Angebot?
In der aktuellen Serie behandelt Scheible, wie der Titel schon verrät, Gegensätze: «Mich interessieren Architektur und der urbane Raum und wie wir uns darin orientieren. In meinen Fotocollagen kann ich imaginäre Räume kreieren und die Bildordnung auf den Kopf stellen.»
Als Betrachter kann man die Referenz zum ursprünglichen Bild nicht mehr nachvollziehen. Man befindet sich in diesem Raum, den es nicht gibt, und weiss nicht so recht, wie man dort gelandet ist. So hat Scheible zum Beispiel die Gemälde und Infoschilder aus einer Museumsfotografie ausgeschnitten und auf eine Parkhauseinfahrt geklebt. Der Boden des Museums befindet sich wiederum auf der Fotografie eines Bergs, wodurch der Berg wie ein Ausstellungsobjekt wirkt.
In seinen Collagen lässt Scheible neue Kontexte entstehen. (Bild: Marcel Scheible)
Scheible täuscht uns also etwas vor? «Es ist eher ein Angebot», erklärt er. «Ich frage den Betrachter: Wie wäre das hier?» Demonstrativ fährt er mit dem Finger über eines seiner Bilder. «Durch die manuelle Arbeit wird ausserdem die Montage offengelegt.» Mit seinen Angeboten bleibt Scheible bei dem, was der Mensch gestaltet und erbaut hat, also bei Gebäuden und Gegenständen: «Wilde Natur und Menschen wird man in meinen Werken nur selten sehen.»
Für die aktuelle Serie sind seit letztem Jahr über 30 Bilder entstanden. Diese werden nun im Kunstraum «pausenplatz» ausgestellt (siehe Box). Abgeschlossen ist die Arbeit aber nicht: «Die Serie wächst immer noch, sie ist nicht begrenzt», sagt Scheible.
Durchdachtes Durcheinander
Die Umkehrung von Räumen ist in vielen anderen Werken Scheibles erkennbar. In gewissen sogar wortwörtlich. Für die Serie «Just what is it …?» bringt er zum Beispiel Wohn- und Schlafzimmer durcheinander, allerdings mit Struktur: In privaten Haushalten wählt er Möbel und Gegenstände aus, die er neu anordnet und fotografiert.
«Die Bilder sind geheimnisvoll und können nicht auf den ersten Blick entschlüsselt werden», sagt Scheible. Wie in «upsidedowninsideout» bringt Scheible eine neue Ordnung in den Raum. Und genau deshalb sorgt er bei manch einem Betrachter für Verwirrung: «Viele denken, die Bilder seien digital montiert worden, dabei habe ich alles in echt arrangiert.»
Finde den Fehler! In Scheibles Collagen erkennt man nicht auf den ersten Blick, wie es zusammengesetzt ist. (Bild: Marcel Scheible)
Aber warum macht Scheible es sich bloss so kompliziert? Was andere mit ein paar Mausklicks am Computer machen, bedeutet für Scheible Körpereinsatz, Zeitaufwand und handwerkliches Bemühen. Ist er doch ein Hobby-Bastler?
Der Künstler widerspricht: «Die Arbeit ist auch am Computer handwerklich und technisch, einfach auf eine andere Art.» Warum also das Ganze nicht einfach digital bearbeiten? «Ich sehe keinen Reiz darin, die Montagen virtuell zu machen. Durch die geschichteten Fotografien wird der Eingriff offengelegt und ist stets nachvollziehbar, viel mehr, als wenn ein digitaler Schritt dazwischen wäre, der den Eingriff verschleiert.»
Der unabhängige Kulturraum «pausenplatz» an der Gotthelfstrasse 23 zeigt Ausstellungen abseits des Mainstreams. Nach dem Motto klein aber fein entsteht ein Raum für unbekannte Kunstschaffende, und es kann eine Begegnung zwischen Künstler und Betrachter stattfinden.
Den «pausenplatz» gibt es seit 2010, jährlich werden drei Ausstellungen organisiert. Am Freitag, 19. August, findet um 18 Uhr die Vernissage zur aktuellen Ausstellung statt, in der die Fotografie von Marcel Scheible und die Malerei von Beatrice Schnitzer ausgestellt werden. Das Basler Duo «Das Thotomat» begleitet die Veranstaltung musikalisch.