Martin Boyce zeigt die poetische Seite des Kulturpessimismus

Martin Boyce demontiert im Museum für Gegenwartskunst nicht nur Designklassiker, sondern eine ganze Ära. Optimismus entsteht daraus keiner – aber nachdenklich macht es.

Kaputte Parkbänke und Bäume aus Neonröhren: Martin Boyce' «Our love is like the flowers, the rain, the sea and The hours» – der Titel ein Zitat aus einem New-Order-Song.

Martin Boyce demontiert im Museum für Gegenwartskunst nicht nur Designklassiker, sondern eine ganze Ära. Optimismus entsteht daraus keiner – aber nachdenklich macht es, und es hat auch durchaus eine poetische Seite.

Kunsthallen sind mehr und mehr dazu angehalten, ihre Rolle zu hinterfragen. Elena Filipovic tut das in Basel, Daniel Baumann in Zürich. In Basel hat es einen speziellen Grund. Denn die Kunsthalle versucht sich abzugrenzen vom Museum für Gegenwartskunst (MGK), dessen Programm mehr und mehr jenem der Kunsthalle gleicht. Wie zum Beispiel gerade jetzt.

Die Kunsthalle Basel stellt aktuell Mark Leckey aus. Der 51-jährige Brite gewann 2008 den renommierten Turner Prize. Das MGK antwortet darauf nun mit einer Ausstellung von Martin Boyce: Schotte, 48 Jahre alt, Turner-Preisträger des Jahres 2011. Für einmal also scheint das Programm der beiden Institutionen fast kongruent. Die Ausstellungen aber zeigen auch deren Unterschiede auf.

Leckeys Schau im Oberlichtsaal der Kunsthalle Basel hat etwas Raues, etwas Gebasteltes. Ein Eindruck, der in dieser Ausstellung durch Leckeys Konzentration auf Kopien geprägt ist, da er diese mittels 3D-Drucker oder auch Papiermaché herstellt. Es ist der Auszug aus einem Gesamtwerk, eine Schau, die auf einen Aspekt innerhalb eines Gesamtwerkes fokussiert.

Ein konzeptueller roter Faden

Martin Boyce wirkt dagegen im Museum für Gegenwartskunst fast steril. Läge nicht überall Laub herum, das aus braunem, durchscheinendem Papier ausgeschnitten wurde. Im Gegensatz zu Leckey präsentiert das MGK Boyce in einer Überblicksschau – wenngleich es einen roten Faden gibt, der sich durch Boyce‘ gesamtes Œuvre zieht.

Die Arbeit, mit der Boyce 2011 die Turner-Prize-Jury zu überzeugen wusste, ist im MGK auch zu sehen. «Do Words Have Voices» heisst sie und bespielt einen ganzen Raum. Es ist ein Park, den Boyce hier eingerichtet hat: Ein rosafarbener Abfalleimer aus einem Metallgitter, der Abfallsack darin ein umgekehrter Kapuzenpulli. Eine Säule, die aussieht, als gehöre sie zur Architektur, wird zum Stamm eines Baumes, dessen Blätter die Decke zieren. Allesamt weiss, allesamt gleichförmig. Zu Boden gefallene Blätter sind braun geworden. Ein Tisch, in dessen Holzplatte Wörter und Namen geritzt wurden, darüber ein Mobile, das verdammt an Alexander Calder erinnert.



Ein modernistischer Garten: «Do words have voices.»

Ein modernistischer Garten: «Do words have voices.»

Boyce liebt die Formensprache der Modernisten, das wird nicht nur in diesem Garten klar. Einen Raum weiter hat der Künstler die modularen Regalsysteme von Charles und Ray Eames umgearbeitet. Sie sind nicht mehr benutzbar. Andernorts hat er einen Arne-Jacobsen-Stuhl in Stücke gebrochen und die Einzelteile als Mobile wiederverwendet. Und für einen Kronleuchter hat er das Design eines kubistischen Betonbaumes, entworfen von Joël und Jan Martel, genommen und schlichtweg kopfüber an die Decke gehängt.

Im Design dieses Baumes hat Boyce zudem ein Raster erkannt, das er auf mehrere seiner Arbeiten anwendet. Er hat eine ganze Typografie entworfen, die darauf basiert, ein Alphabet. Die Buchstaben, die in die Tischplatte geritzt sind, folgen diesem, oder auch das Gemälde aus Beton, mit dem er die Installation «Do Words Have Voices» ergänzt hat. Auch die Lüftungsschächte, die den Park säumen, beziehen ihr Muster daraus.

Der Optimismus ist geraubt

Die Möbel, das Design, die Kunst, die Boyce als Referenz nimmt – alles steht für eine gewisse Ära. Eine Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die von Optimismus geprägt war. In der man noch rauchen konnte, ohne Gewissensbisse zu haben. Ein kleiner Aschenbecher, unauffällig an die Wand gebracht, zeugt davon.

Doch die Zeit des Optimismus ist bei Boyce vorbei. Die Eames-Regalsysteme sind unbrauchbar und angekokelt. Die Jacobsen-Stühle zerbrochen. Von den Parkbänken ist nur das Metallskelett übrig, das man nicht kaputttreten kann. Der Teich, durch den Betonelemente als Steg führen, ist ausgetrocknet, das Laub liegt braun im ungefüllten Becken.



Ein Teich, ausgetrocknet: «A river in the trees.»

Ein Teich, ausgetrocknet: «A river in the trees.»

Boyce‘ Arbeiten ist ein historischer Bruch eingeschrieben, für den der Künstler, der 1967 in Glasgow geboren wurde, selber steht. Der sich in den 1980er-Jahren von den kulturpessimistischen Songtexten von New Order oder den Happy Mondays beeinflussen liess. Der wie die gesamte Jugend damals im Park rumhing, weil es sonst nichts zu tun gab. Dafür beispielsweise steht der umgekehrte Kapuzenpulli im Abfalleimer.

All dies sollte man im Hinterkopf halten, wenn man die Ausstellung durchschreitet. Und die minimalistisch eingerichteten Räume so mit seinem Gedanken füllen. Mit ein bisschen Abstraktionsvermögen sieht man dann auch plötzlich das Wasser im Teich wieder steigen und hört es leise plätschern.

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«Martin Boyce», Museum für Gegenwartskunst, bis 16. August. Der Eintritt ist kostenlos.

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