«Meat Is Murder»: Kein Fleisch auf dem Plattenteller

Ein Titel, der zum Leitmotiv der Vegetarierbewegung wurde: Vor dreissig Jahren erschien «Meat Is Murder», das zweite Album von The Smiths.

Ein Titel, der zum Leitmotiv der Vegetarierbewegung wurde: Vor dreissig Jahren erschien «Meat Is Murder», das zweite Album von The Smiths.

Der Mann, der sich wie kein Zweiter im Pop den Nimbus des Misanthropen, des Zynikers, des vor Weltschmerz vergehenden Narzissten erarbeitet hat – er hat ein Herz für die Schwachen. Vor dreissig Jahren stand diese Parole in den englischen Albumcharts ganz oben: «Meat Is Murder».

Geschrieben hatte sie Steven Patrick Morrissey, heute das streitbarste Mysterium des britischen Pop, damals ein noch junger Mann von 25 Jahren, der sich bereits in seinen Ekel vor der Welt zurückgezogen hatte. Als Teenager wurde er Vegetarier, er blieb Einzelgänger, der sich in seinem Zimmer einschloss und Antidepressiva und Schlafmittel nahm. Später stiess er auf den vier Jahre jüngeren Gitarristen Johnny Marr, und was daraus erwuchs, hat Englands Musik beeinflusst wie keine zweite Band der Achtzigerjahre: The Smiths.

Chronisten der Adoleszenz

Marr war der Virtuose am Instrument, dessen Kompositionen – und besonders der federnde, ätherische Klang seines Spiels – die Musik der Band derart prägte, dass er zu einer Referenzgrösse aller Nachkommenden wurde. Sein Gegenpol Morrissey war der Texter und Ästhet, der den visuellen Auftritt von The Smiths definierte und zu Marrs Songs Texte lieferte, die an literarischer Tiefe weit übertrafen, was man sonst von Chronisten der Adoleszenz zu hören kriegte.

Als ihr vollendetstes Werk gilt ihr drittes Album «The Queen Is Dead», das vom britischen Musikmagazin «New Musical Express» noch 2013 zur besten Platte der Musikgeschichte gekürt wurde. «Meat Is Murder» ragt aus der kurzen Geschichte von The Smiths, die nur fünf Jahre und vier Studioalben (plus eine Sammlung an B-Seiten) umfasst, jedoch auf eigenwillige Weise heraus. Anders als beim Debütalbum haben hier Morrissey und Marr die Produktion der Platte grösstenteils selbst übernommen und somit erstmals den Smiths-Sound nach ihren eigenen Vorstellungen umfassend bestimmt.

Gewalt gegen Kinder und Tiere

Noch nachhaltiger wirkten indes Morrisseys textliche Beiträge. In drei Songs klagt er auf seine Weise den brutalen Umgang mit Kindern in der englischen Gesellschaft seiner Zeit an – in «Brutality Begins At Home» die rüden Erziehungsmethoden eines verknöcherten Familienbildes, in «The Headmaster Ritual» das auf Unterdrückung und Gehorsam ausgerichtete Erziehungsmodell, unter dem Morrissey selbst zu leiden hatte. Und in «Rusholme Ruffians» schliesslich das Resultat davon: emotional verkrüppelte Kinder und Jugendliche, die nur die Sprache der Gewalt erlernt haben, um sich auszudrücken.

Das bedeutendste Erbe von «Meat Is Murder» ist jedoch das Titelstück. Während ein Schaf blökt, schwingt sich Marrs Gitarre zu melodramatischen Bögen auf, und Morrissey stösst seine Anklage gegen die Fleischesserei mit einer Ernsthaftigkeit heraus, die er sich selten derart eindeutig erlaubte: «And the flesh you so fancifully fry / and the turkey you festively slice / it is murder.» Der Titel wurde seitdem zum geflügelten Wort der Vegetarierbewegung, der wie kein Zweiter ihr Programm in einen Slogan zusammenfasste, und das Album nimmt in der Geschichte von The Smiths eine Sonderrolle ein: Es blieb ihre einzige Nummer eins.

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