«Meine Musik ermutigt zum Verrücktsein»

Peter Maxwell Davies erarbeitet zur Zeit zwei seiner Stücke mit Studenten der HMB. Beide handeln vom Wahnsinn. Wir fragten den Master of the Queen’s Music, warum das Verrücktsein so wichtig ist.

(Bild: Valentin Kimstedt)

Peter Maxwell Davies erarbeitet zur Zeit zwei seiner Stücke mit Studenten der HMB. Beide handeln vom Wahnsinn. Wir fragten den Master of the Queen’s Music, warum das Verrücktsein so wichtig ist.

In Basel ist zur Zeit ein englischer Edelmann unterwegs, niemand geringeres als der Master of the Queen’s Music, der zwei seiner Kompositionen mit Studenten der Hochschule für Musik erarbeitet. Samstag ist Konzert. An seinem Alter erkennt man ihn nicht. Er sieht aus wie 65, obwohl er dieses Jahr 80 wird und im vergangenen Jahr eine Leukämie überlebt hat, bei der ihm die Ärzte noch sechs Wochen Lebenszeit gaben.  

Ich treffe Peter Maxwell Davies im Hotel Au Violon im Lohnhof, wo er mir anbietet, das Gespräch auf Deutsch, Englisch oder auch Italienisch zu führen. Ich wähle natürlich Britisch, um mir die Sprache von Sir Davies auf keinen Fall entgehen zu lassen. Und werde belohnt. Die aussichtslose Krankheit überlebte er, wie er sagt, durch die Arbeit an seiner 10. Sinfonie, die vor drei Wochen uraufgeführt wurde. Seine Worte dazu: «I was absolutely fucking determined to get this done.»

Mister Davies, die beiden Stücke, die Sie gemeinsam mit den Studenten erarbeiten, sind über 40 Jahre alt und handeln vom Wahnsinn. Ist das Thema für Sie noch aktuell?

Natürlich bin ich verrückt. Ich hoffe, jeder ist es. Vielleicht ermutigen diese Stücke dazu, verrückt zu sein, auf konstruktive Weise. Indem man die eigene Verrücktheit versteht, kann man die der anderen mit mehr Sympathie sehen.

Eines der Stücke handelt vom englischen König Georg III.

Georg hatte Zeiten des Wahnsinns. Er war völlig ausser sich: Er erkannte seine Frau nicht, sprach mit Bäumen, hatte Unterhaltungen mit Kohlköpfen. Wie Prinz Charles übrigens, der spricht auch mit Pflanzen. Es gibt eine Zeichnung, auf der man den wahnsinnigen Georg umgeben von Vogelkäfigen sieht. So kamen Randolph Stow, der das Libretto schrieb, und ich auf die Idee, ein Stück zu machen, bei dem die Musiker um Georg herum als Vögel in Käfigen sitzen. Und Georg spricht zu ihnen. Der Text des Monodramas besteht bis auf wenige Ausnahmen aus Sätzen, die Georg selber gesagt hat. Er irrte im Windsor Castle herum und sprach zu Dingen, die nicht existierten. Eine seiner Hofdame hat das aufgeschrieben.

Wir alle sind verrückt, aber Georg war noch ein wenig verrückter, nicht?

Inzwischen wissen wir, dass Georg eine Krankheit hatte, Porphyrie. Heute kann man das behandeln. Damals wusste man nicht, dass er krank war. Furchtbar, was sie ihm antaten. Georg erwähnt das, wenn er zu seiner Frau spricht, die allerdings gar nicht seine Frau ist, und sagt: «Haben sie dich auch festgebunden, my darling? Peitschen sie dich aus? Verachten sie dich?»

Trotzdem fühlen Sie sich seinem Wahnsinn nahe?

Natürlich. In den späten 60ern, als das Stück entstand, war eine wundervolle Verrücktheit in der Luft. Sie konnte sehr destruktiv sein, aber auch konstruktiv. Sie hatte das Potenzial, in eine wunderbare Zukunft zu führen. Es war ein Kribbeln in der Luft.

Wie steht es heute mit dem Wahnsinn?

Ich denke, es ist sehr deprimierend in diesem Moment (lacht).

Zuviel oder zu wenig Wahnsinn?

Es gibt zu viel Wahnsinn in den Spitzen der Gesellschaft und zu wenig weiter unten. Die Kompositionsstudenten sind viel zu konformistisch. Sie glauben, sie müssten es sein, weil sie durch die teure Ausbildung in England Schulden haben. Sie denken nur ans Geldverdienen. Ich übertreibe, aber Sie wissen, was ich meine. Die Zeiten haben sich geändert. Früher war die Universität gratis. England nähert sich zunehmend den Vereinigten Staaten an. Die Ungleichheiten in der Gesellschaft wachsen monatlich.

Wir müssen eine gewisse Verrücktheit wiederfinden?

Nicht in den Worten. Aber in der Musik. Als ich die «Songs for a Mad King» damals in London uraufführte, in einer vollen Wigmore Hall, riefen die Leute: «Müll! Geh Weg!» Noch heute, glaube ich, hat das Stück etwas Schockierendes.

War das ein Erfolg?

Damals war es unangenehm und aufwühlend. Bei einer anderen Uraufführung 1969 verliess ein Viertel des Publikums den Saal. Das verleitete die BBC dazu, von einer Störung in der Royal Albert Hall zu sprechen. Ehrlich gesagt, darauf bin ich immer noch stolz. Zu meiner grossen Überraschung sind die «Songs for a Mad King» heutzutage relativ populär.

Seit 1970 leben Sie auf den Orkney Islands. Warum diese Abgeschiedenheit?

Ich kann mich auf die Musik konzentrieren. London ist zu laut. Ich hatte ausserdem ein Haus auf dem Land, doch dort flogen zu viele Militärflugzeuge. Also zog ich in den Norden von Schottland. Man hört nur den Wind und das Meer, ich bevorzuge das.

Wie ist das Leben auf der Insel?

Well, man kennt jeden und jeder kennt dich. Sie wissen, was du denkst, bevor du es selber denkst.

Klingt eng.

Ich mag den Bezug zu den Menschen. Sie kümmerten sich sehr, als ich letztes Jahr krank war.

Wie gingen Sie mit der Krankheit um?

Als ich im Krankenhaus war, arbeitete ich an meiner 10. Sinfonie, jeden Tag. Die Arbeit zog mich mich durch die Krankheit hindurch.

Die Uraufführung ist erst zwei Wochen her.

Ja, oder drei. Zeit vergeht sehr seltsam.

Wie meinen Sie das?

Sie verläuft so: (macht eine chaotische Kreisbewegung mit den Armen). Als Musiker weiss man das. Sie haben eine Uhr am Arm, aber das ist nicht die richtige Zeit, das ist eine Konvention. Wahre Zeit ist die musikalische Zeit. Es gibt sehr lange Abschnitte, die zehn Minuten dauern, und sehr kurze, die zehn Stunden dauern. Wahre Zeit ist etwas, das sich im Geist entwickelt. So wie sich für einen Maler das Verhältnis zu Raum immer weiter wandelt. Denken Sie an die Renaissance.

Woran liegt es, dass ein Zeitabschnitt schnell vergeht?

Es liegt am Herzrhythmus und daran, wie schnell man währenddessen denkt und worüber. Es hängt vom Bewusstsein ab. Häufig wenn ich komponiere und irgendwann denke: Jetzt muss es Zeit sein für einen Kaffee, dann ist es schon halb drei am Nachmittag. Das Gleiche passiert, wenn ich mit dem Hund an der Küste wandere. Ich meine, gerade losgelaufen zu sein, und plötzlich wird es dunkel. Zeit hat viele Dimensionen. Auch wenn es schwierig ist, darüber zu sprechen.

Haben Sie einen Lieblingskomponisten?

Das ändert dauernd. Zur Zeit ist es William Byrd, der als Katholik in einer Zeit lebte, da der Katholizismus verboten war. Dennoch hatte er die Erlaubnis, Kirchenmusik für die Westminster Abbey zu schreiben, solange sein Name nicht fiel. Wunderbare Musik.

Stammt produktive Kraft aus der Unterdrückung?

Ja. Auch meine Studenten an der Royal Academy tun mir leid. Sie stehen unter starkem Druck – kommerziellem Druck. Ein Erfolg zu sein, einen grossen Namen zu haben, das ist die Verfolgung von heute.

Gibt es Rebellen?

Glücklicherweise kenne ich einige. Es ist sehr schwierig, unter diesen Voraussetzungen einen Verlag zu finden. Es gibt eine Untergrundszene, die über das Internet kommuniziert, die jedoch auf grösseren Bühnen nicht gehört wird.

Kennen Sie die Unterdrückung? Zum Beispiel für Ihre Homosexualität?

Als junger Mann war mir sehr bewusst, dass ich, wenn ich das falsche sage, in die Psychiatrie gesteckt werden. Schwulsein war verboten. Es war hart, damit zu leben, man konnte niemandem trauen. Man las in der Zeitung, dass der und der verhaftet wurde. Als ich nach Italien ging, war es viel besser. Gut, dort haben sie den Vatikan. Aber ich traf viele Priester und die waren alle schwul.

Doch unabhängig davon: In der Schule verboten mir die Lehrer, Musik zu machen. Als ich den Rektor fragte, ob ich die Abschlussprüfung in Musik machen könne, sagte er: «My dear boy, dies ist keine Mädchenschule.» Ich musste mir alles selber beibringen. Als ich danach einen Studienplatz für Komposition bekam, war der Rektor schrecklich stolz.

Das ist zugleich traurig und amüsant.

Ein wundervoller Einblick in die Natur des Menschen, nicht?

Die Schweiz hat am 9. Februar gegen die sogenannte Masseneinwanderung gestimmt. Steckt dahinter zu viel oder zu wenig Wahnsinn?

Die Schweizer glauben, dass sie es gut haben, also wollen sie, dass es so bleibt. Auf der einen Seite habe ich dafür Sympathie. Auf der anderen Seite bin ich sehr glücklich, mit jedem zu teilen (lacht). In England herrscht die gleiche Stimmung. Sie wollen die Fremden draussen behalten. Wenn sie die Fremden jedoch nicht im Land hätten: Wer würde die Strasse putzen? Das machen die Schwarzen. Wer würde die Häuser bauen? Das machen die Polen. Der Arzt, der meinen Krebs behandelte, war ein Grieche. Seine Assistenten sind aus Zypern.

Wir sitzen im selben Boot. Was fehlt unseren Gesellschaften?

Die Haltung, dass wir bei uns sind und es schön haben, die müssen wir ändern. Sie ist eine Endemie in England. Und wenn die Leute  sagen: Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg – so ist es meistens Arbeit, die sie selber nicht leisten wollen. Oder nicht können. Stellen Sie sich vor, wie stumpf England wäre, wenn wir nicht all die jüdischen Immigranten aus den 1930er Jahren hätten. Die deutsch-jüdischen Aristokraten, Ärzte, Banker, was auch immer: Sie ermutigten Kunst und Kultur aller Art. Und die britischen Aristokraten? Die gingen jagen. Mit wenigen Ausnahmen. Obwohl ich die Königin gut genug kenne, da ich Master of the Queen’s Music bin, muss ich sagen: Auch sie benahm sich nicht anders (lacht). Aber ich habe eine gute Beziehung zu ihr. Sie kam durchaus zu Konzerten und hat viele gute Dinge getan.

Ist sie nett, die Königin?

Sehr. Ich würde nicht auf die falsche Seite von ihr geraten wollen. Sie kann sehr streng werden, glaube ich. 

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«Not ill but nervous»: Musiktheater von Peter Maxwell Davies

Samstag, 1. März, 20 Uhr, Gare du Nord

Anne-May Krüger: Mezzosopran
Carl Rosman: Gesang 
Ensemble zone expérimentale
Mike Svoboda: Musikalische Leitung 
Marcelo Cardoso Gama: Regie/Ausstattung 

Der Komponist wird anwesend sein

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