Menschenroboter, Planetengesang und Dichterliebe

Schon ein Halbtag beim neuen Festival «Klangbasel» zeigt, wie unkompliziert und niederschwellig sich Basels reiches und vielgestaltiges Musikleben präsentieren kann. Das Konzept ist gleichwohl verbesserungswürdig.

Die Band «The Bianca» Story» inszenierte ihre Pop-Oper «M & The Acid Monks» in der Clara-Brocki – die Verkaufsfläche wurde zur Bühne, das Publikum war mittendrin. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Schon ein Halbtag beim neuen Festival «Klangbasel» zeigt, wie unkompliziert und niederschwellig sich Basels reiches und vielgestaltiges Musikleben präsentieren kann. Das Konzept ist gleichwohl verbesserungswürdig.

Es ist Tag zwei vom neuen Festival Klangbasel. Die Sonne scheint, noch ist es ruhig in den Strassen Kleinbasels. Kleinbasel – wie selten verirrt man sich als Klassik-Liebhaber in diese Gefilde! Und welch wunderbare Konzertorte gibt es hier zu entdecken – nicht nur, aber auch für Klassik.

Die Galerie BauArt etwa. Sie beherbergt in diesen Tagen einen alten Hammerflügel, um die «Schubertiaden» wieder aufleben zu lassen: Aufführungen im privaten Kreis, bei denen geplaudert, gegessen und getrunken werden durfte. Auch wenn Sofacouch und Getränke bereit standen – zu plaudern getraute sich am Eröffnungsabend noch niemand. Hochkonzentriert folgte das Publikum Schuberts nur selten zu hörenden Märschen für Klavier zu vier Händen, die Tobias Schabenberger gemeinsam mit seinen Studierenden erläuterte und aufführte.

Leiser Klang der Barockgeige

Am zweiten Tag kam hier schon mehr Festivalstimmung auf: Laufkundschaft war ausdrücklich erwünscht, und es tröpfelten immer wieder neue Zuhörer in den Saal – und blieben. Es brauchte zwar einige Zeit, um sich vom lärmigen Draussen an das intime Drinnen, an den herben, aber leisen Klang dieser Barockgeige, an den kleinen, aber unheimlich dichten und Klangfarbenreichen Ton dieses Hammerflügels zu gewöhnen, doch die frische und feine, detaillierte Gestaltung, mit der Plamena Nikitassova und Jörg-Andreas Bötticher Violinsonaten des 22-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart interpretierten, war beeindruckend.

Eine zweite Entdeckung bot das Volkshaus. Schon der herrliche Innenhof mit den gemütlichen Bänken und dem sanften Kerzenschein ermöglichte ein ganz anderes Ankommen als manch anderes, zentral gelegenes Konzerthaus, bei dem man schnurstracks vom Tram zur Garderobe auf den Sitzplatz eilt. Im Volkshaus spielte am Eröffnungsabend das Sinfonieorchester Basel, und auch hier sah man Zuhörer aller Altersstufen, die sich zwischendurch an der Bar eindeckten – und blieben.



Der Frontsänger von «The Bianca Story» mit Grusel-Make-up in der eigenen Pop-Adaption von E.T.A. Hofmanns «Elixiere des Teufels».

Der Frontsänger von «The Bianca Story» mit Grusel-Make-up in der eigenen Pop-Adaption von E.T.A. Hofmanns «Elixiere des Teufels».

Die unkomplizierten Ansprachen von Chefdirigent Dennis Russell Davies zum Abendprogramm, den «Planeten» von Gustav Holst, lockerten die Atmosphäre deutlich auf. Gleichzeitig spielte das Orchester mit einer solchen Intensität, dass in keinem Moment der Eindruck entstand, man würde für diese alternative Konzertform weniger geben – im Gegenteil.

Auch die Musiker schienen sich wohl zu fühlen in diesem für einmal weniger engen Korsett des Konzertbetriebs. Und es bleibt die Erkenntnis, dass sich die so oft beschworene, für Klassik-Konzerte nötige Konzentration im Publikum ganz automatisch einstellt, wenn die Aufführung so spannend und mitreissend ist wie hier.

Die Entdeckung neuer Konzerträume setzt sich anderntags fort. Von Tränen der Rührung berichten begeisterte Besucher, die den Bariton Werner van Mechelen und die Pianistin Iryna Krasnovska mit Robert Schumanns Dichterliebe in der Clara-Brocki zwischen Plüschsessel und antikem Buffet erlebt haben. Und auch die Kleinkunstbühne im Parterre bietet für ein Streichquartett einen wunderbar intimen Rahmen.



«The Bianca Story» nutzze das Inventar der Clara-Brocki als Kulisse, das Publikum als Sitzgelegenheit.

«The Bianca Story» nutzte das Inventar der Clara-Brocki als Kulisse, das Publikum als Sitzgelegenheit. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Das Belcea Quartet trotzte dem schweisstreibenden Scheinwerferlicht hochprofessionell und spielte Johannes Brahms‘ c-Moll-Quartett mit einer sagenhaft dunklen Wärme. Anschliessend führte Bratschist Krysztof Chorzelski in englischer Sprache so gekonnt und authentisch in das geheime Liebes-Programm und die komplexe Zwölftonmusik in der lyrischen Suite von Alban Berg ein, wie es kein Programmheft vermag. Auch dies eine neue Auflockerung der festen Klassik-Rituale, die ungemein wohltun und von den Zuhörern sehr dankbar aufgenommen werden.

Das Publikum war indessen auch hier äusserst bunt gemischt; durchsetzt mit Mitgliedern des Sinfonieorchesters Basel (inkl. Chefdirigent Dennis Russell Davies), die ihren Kollegen, den Konzertmeister Axel Schacher, erleben wollten.

Und es ist schön, wenn bei der wuchtigen Pop-Inszenierung von E.T.A. Hofmanns «Elixiere des Teufels» durch die als Menschenroboter verkleidete Band «The Bianca Story» in der Clara-Brocki zwei alte Damen im Lehnstuhl zuhören und ganz vergessen den Takt mitschlagen, wenn sich junge Damen beim anschliessenden Pasta-Essen mit den Bandmitgliedern über ihre Eindrücke bei ihrem ersten Popkonzert austauschen.

Musik als Tapas serviert

Das Anliegen des Festivals, Hemmschwellen herabzusetzen, Hürden zu nehmen, Konzerträume zu öffnen, dort Musik zu machen, wo das Publikum zu Hause ist – es scheint voll aufgegangen. «Wie Tapas», sagt eine Konzertbesucherin, der wir in diesen Tagen immer wieder über den Weg laufen, «man kostet hier, probiert da, bleibt, wo es einem schmeckt, oder zieht weiter».

Sie mag jegliche Musikrichtung, solange sie live gespielt wird – und kommt damit bei diesem Festival voll auf ihre Kosten. Und genau dieses Nebeneinander der verschiedenen Genres, dieses dichte Erleben von feinem Jazz, wuchtigem Pop, experimenteller Performance und gediegener Klassik, öffnet einen ganz neuen Raum. Wo sonst kann man über das Wesen der Musik, über Interpretation und Eigenkomposition sinnieren?



Die laute Krachmachertröte bei «A Tree in A Field Records» und dem Interkantonalen Männerchor war nur mit Gehörschutz zu ertragen.

Die laute Krachmachertröte bei «A Tree in A Field Records» und dem Interkantonalen Männerchor war nur mit Gehörschutz zu ertragen. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Bei aller Begeisterung – einige Konzeptänderungen könnten eine zweite Ausgabe des biennalen Festivals noch attraktiver machen. Das Programm ist zu dicht und zu umfangreich. Wie oft sind wir von Angebot zu Angebot gehetzt, ohne Chance auf eine Pause am Rhein, stets begleitet vom Gefühl, etwas zu verpassen.

Kürzere Programme und aufeinander abgestimmte Anfangszeiten könnten für eine noch entspanntere Stimmung sorgen und mehr Raum für einen Austausch mit anderen Musikbegeisterten geben – für begleitende Kulinarik war ja allerorten bereits gesorgt.

Ärger bei Konzertbesuchern

Und manch Ärgernis hätte vermieden werden können, wenn einige nur halbherzig zum Festival gehörende Konzerte gar nicht erst mit ins Programm aufgenommen worden wären – etwa das ausverkaufte und nicht gleichermassen auf Laufkundschaft ausgerichtete Konzert des Kammerorchester Basels unter Giovanni Antonini im Stadtcasino, das die Türen vor seiner hervorragenden Interpretation von Beethovens Neunter Sinfonie vielen Festivalbesuchern verschloss, weil sie ein (reduziertes) Extra-Ticket benötigt hätten.



Hochstehender Musikgenuss - und steifes Ambiente - im heissen Stadtcasino: für Festival-Besucher war das Kammerorchester Basel leider nur mit Extra-Ticket zu erleben.

Hochstehender Musikgenuss – und steifes Ambiente – im heissen Stadtcasino: für Festival-Besucher war das Kammerorchester Basel leider nur mit Extra-Ticket zu erleben. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Schliesslich könnte das Marketing klarer auftreten. Dass die Weltklasse Basels im Bereich der Musik noch nicht mit dem Bekanntheitsgrad übereinstimmt und durch solch einen Anlass gepusht werden soll – dieses Argument können nicht alle verstehen. Und eine Musikliebhaberin stört sich an der wiederkehrenden Behauptung der Politiker, Basels Qualitäten als Musikstand seien auch hier vor Ort nicht bekannt genug – die vielen gut besuchten Konzerte innerhalb des überreichen Angebots in Basel seien ein fast täglich wahrzunehmender Gegenbeweis.

Auch die Promotion ist noch ausbaufähig. Manch Konzertgänger sagt offen, dass er das Konzept des Festivals nicht verstanden habe, gar nicht wusste, dass hier nur Basler Musiker auftreten. Kein Wunder, finden sich genügend (Welt-) Stars unter ihnen.

Warten auf die zweite Ausgabe

Wie ungemein reich und vielgestaltig Basels Musikleben ist, wie neugierig die Basler in die verschiedenen Genres hineinschnuppern, wie unermüdlich sie den unglaublich günstigen Festivalpass nutzen, um Neues zu entdecken und Altbekanntes zu geniessen, all das hat diese erste Festivalausgabe gezeigt. Bleibt zu hoffen, dass wir auf eine zweite Ausgabe nicht allzu lange warten müssen.
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Klangbasel soll gemäss Plänen 2016 wieder stattfinden.

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