Er schwärmt über seine Zeit am Jungen Theater Basel, verdrängt seinen Erfolg mit «Achtung, Fertig, Charlie». Michael Koch, in Basel aufgewachsen, hat keine Lust mehr, Schauspieler zu sein. Ihn reizt die Arbeit als Regisseur, am Theater und im Film. Mit seinem ersten Langfilm, «Marija», ist er im Wettbewerb des Filmfestivals Locarno vertreten.
Er findet Geschichten lieber, als dass er sie erfindet. Das gilt bei Michael Koch für Kurzfilme wie auch für seinen ersten Spielfilm «Marija». In Locarno ist er damit im Rennen um einen Goldenen Leoparden. «Ich bin dankbar dafür, dass mein erster Spielfilm gleich an einem A-Festival gezeigt wird», sagt der 34-jährige Regisseur. Dass Festivaldirektor Carlo Chatrian seinen dramatischen Stoff über das Schicksal einer ukrainischen Migrantin ins Wettbewerbsprogramm aufgenommen habe, sei nicht selbstverständlich. «Denn es ist kein lauter Film, nicht grell, nicht bunt.»
So wie Michael Koch kein lauter Filmemacher ist. Sondern ein stiller Beobachter, der seinen Filmideen die Zeit gibt, die sie brauchen.
Wir spazieren von der Piazza Grande Richtung Lago Maggiore, setzen uns in ein Kaffee. Michael Koch bestellt sich einen Espresso und erzählt aus seinem Leben.
Dass er in der Region Basel zur Schule ging, hört man ihm nicht an. Seinen Luzerner Akzent hat er anders als seine vier jüngeren Geschwister bewahrt, die seine Neugierde und Sensibilität für Menschen und für Künste teilen. Ein Bruder, Tobias Koch, macht Musik und Sounddesign, die Schwester studierte Fotografie und lebt heute als Künstlerin in Paris. Zwei weitere Brüder sind im sozialen Bereich tätig.
Achtung, fertig, Schluss damit
Michael, der Älteste, hatte ursprünglich Medienkunst studieren wollen, weil ihm die Arbeit mit Videos und Projektionen gefiel. «Nach der Matur hatte ich viele Interessen, wusste aber nicht so genau, wo es mir den Ärmel reinziehen würde.»
Von diesen Interessen am populärsten machte ihn der Schweizer Kinohit «Achtung, fertig, Charlie» (2003), worin er die Hauptrolle des Rekruten Carrera spielte. Er werde nicht gerne darauf angesprochen, heisst es in Locarno. Warum denn nicht? «Weil das nicht die Art Filme ist, die mich selber reizt. Und weil ich dadurch immer wieder in eine Schublade gesteckt worden bin, in der ich mich nicht wohlfühle», sagt er.
«Charlie» habe er gemacht, als er noch sehr grün hinter den Ohren war. Dass er immer wieder so vorgestellt worden sei: «Das isch dä, wo damals…», nun ja, das habe genervt. Für ihn brauche es diesen Nebensatz nicht.
Tatsächlich ist er der Teeniekomödie längst entwachsen und im dramatischen Fach angekommen.
Ein Filmpreis und eine Ferienreise
2009 schloss Koch die Kunsthochschule in Köln ab, mit dem Kurzfilm «Polar». Für dieses Vater-Sohn-Drama wurde er mit dem renommierten Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet.
Das Preisgeld, 30’000 Euro, gab ihm Zeit für Recherchen.
«Ich musste zuerst meinen Rucksack füllen, ehe ich mit dem Schreiben des Drehbuchs beginnen konnte.» Den Rucksack packte er 2010 für eine längere Reise in die Ukraine. Land und Leute faszinierten ihn, «alle jungen Leute da wollten weg».
So kam er auf die Idee, dies als Ausgangslage für einen neuen Stoff zu verwenden. Für die Geschichte verbrachte er viel Zeit in Dortmund, wo er sein Migrations-Drama ansiedelte. «Ich hielt mich in Gegenden auf, in denen mehr als 100 Nationen vereint sind. Bis ich das Vertrauen der Leute gewann, brauchte es seine Zeit, ebenso dauerte es, bis ich beim Drehbuch einen zufriedenstellenden Bogen fand, der über die ganze Länge eines Spielfilms funktionierte.»
So wollte er mit der Geschichte der Putzfrau «Marija», die sich in Deutschland durchs Leben schlägt, Spannung generieren, ohne den Zuschauer zu manipulieren.
Das Interesse an ambivalenten Situationen und Figuren zieht sich durch Kochs ganze Filmografie, denn so feingeistig der Filmemacher wirkt: Er folgt gerne dem Strassengeruch. Sein erster Kurzfilm, «Wir sind dir treu», spielte 2005 in der Muttenzer Kurve, wo das Fanatische auf das Mitreissende traf.
«Fürs Sprayen interessierte ich mich, weil es eine Form von visueller Gestaltung ist.»
Der Weg zum Fussballstadion hatte für ihn auch eine weitere Bedeutung: In der Unterführung zum Joggeli hatte er sich mit einem Graffito verewigt. Ehe er Filme machte, gestaltete er die Welt mit Dosen bunter.
«In den 90ern war ich ein Teenager. Natürlich war Hip-Hop in meiner Jugend wichtig. Fürs Sprayen interessierte ich mich, weil es eine Form von visueller Gestaltung ist», sagt er rückblickend.
Später drehte er Musikvideos. Und lernte sich auf der Bühne auszudrücken. Vom Jungen Theater Basel schwärmt er heute noch:
«Ich nahm an einem Kurs teil und rutschte so in meine erste Produktionen.» Gerade vom eindringlichen Stück «Die Schaukel», einem Vergewaltigungsdrama, spricht man noch 15 Jahre später. «Diese Zeit am Jungen Theater war auch für mich persönlich eine sehr wichtige», sagt Koch. «Das Umfeld war super, man hatte totale Freiheit, konnte sich ausprobieren, mit seinem Potenzial, seinen Unsicherheiten und Vorstellungen ein Stück mitentwickeln. Und oft mit einer physischen Herangehensweise. Das hat mich sehr geprägt, denn es ging nicht einfach darum, eine Figur zu repräsentieren», sagt Koch. Diese Form von Schauspiel habe er nach seinen Jahren am Jungen Theater nie mehr erlebt.
«Ich fühlte mich nie wirklich als Schauspieler.»
Warum aber wandte er sich ganz vom Schauspiel ab? «Ich hatte eigentlich nie Ambitionen», sagt er. «Ich fühlte mich nie wirklich als Schauspieler.»
So hat er auch im Theater die Seiten gewechselt und sich als Regisseur betätigt, unter anderem in der Kaserne Basel, wo er etwa eine Adaption von David Lynchs «Wild at Heart» auf die Bühne brachte.
In Berlin-Kreuzberg angekommen
Und wie hält er sich über Wasser, mit Werbefilmen, wie so viele Schweizer Regisseure? «Ich wäre offen dafür, bin aber zugleich zu wenig interessiert daran. Daher habe ich bis heute noch nicht wirklich einen Fuss in die Werbeszene gesetzt. Aber ich weiss: Dort könnte man Geld verdienen», sagt er. Dafür arbeitet er manchmal für das Basler Architekturbüro Emyl, wo er schon Videos für Ausstellungen realisiert hat.
Auch wenn er immer wieder in Basel arbeitet und wohnt; sein Lebensmittelpunkt liegt zurzeit in Berlin. «Meine Frau ist in Kreuzberg geboren – von da kriege ich sie nicht mehr weg», sagt er, lacht und fügt hinzu: «Aber mir gefällt es da ganz gut.»
Nun, immerhin führt ihn sein Beruf bald wieder in die Schweiz. Denn das nächste Filmprojekt spielt in der Schweiz, in den Bergen. Wie er in diesem Setting eine Geschichte erzählen wird, die man noch nicht gesehen hat: Darauf dürfen wir gespannt sein.