Am BScene-Festival drängt halb Basel in die grossen Clubs – an den anderen 363 Tagen spielt die Musik immer öfter in kleinen Kneipen.
Am Wochenende drängeln sie sich wieder zu Tausenden rein in die Clubs und dort vor die Bühne. Livemusik erleben. Musiker an Instrumenten. So wie das früher im legendären Atlantis Basel fast jeden Abend der Fall war. Dieses war bei der Gründung von BScene noch fester Bestandteil des Basler Clubfestivals. Aber auch eine Baustelle wurde bespielt, damals vor 17 Jahren, dort, wo ein Gefängnis ausgedient hatte. Seither geht man auch freiwillig in den Lohnhof rein. Denn hier spielt regelmässig die Livemusik.
Bird’s Eye Jazz Club heisst das Lokal, das die grösste Anzahl an Konzerten in der Nordwestschweiz anbietet. Mehr als 200 sind es jährlich. Die Nachfrage beim kleinen, aber feinen Publikum ist konstant. «Wir sind ein glücklicher Ausnahmefall»», bestätigt Programmchef Stephan Kurmann. Da er – selber Bassist – sich auf die Fahne geschrieben hat, die «freiwillige Selbstversklavung von Musikern nicht zu unterstützen», bezahlt das Bird’s Eye selbst einem Nachwuchs-Musiker mindestens 250 Franken pro Abend. Meist sind die Gagen höher. Dazu kommen oft Hotel- und Reisespesen. «Das allerdings ist nur möglich, weil wir Subventionen und Gönnerbeiträge erhalten.» Er weiss, dass Bands auch für weniger Geld spielen würden. Die Anzahl Anfragen nimmt stetig zu, immer mehr ausgebildete Musiker drängen auf den Markt. «Ich reserviere bereits Daten für Herbst 2014», sagt Kurmann.
Die Nische lebt
Wer spielen will, der findet in Basel zunehmend alternative Möglichkeiten in den Quartieren der Stadt. Allerdings für bescheidenere Gagen. Die Nische lebt. War im 4056 der Alte Zoll lange Zeit das einzige Restaurant mit Gelegenheitskonzerten, so spielt die Musik in jüngerer Zeit auch mal in Sonny’s Bar, im Don Pincho, im Restaurant Johann oder im Jonny Parker.
Mikrokonzerte nehmen zu in den Quartieren der Stadt Basel: Mal singt ein Songwriter in einer Kneipe, mal seufzt ein Bossa-Duo in einer Bar oder swingt ein Jazztrio in einem Restaurant.
Bloss: Wo spielt überall die Livemusik? Helfen Sie uns und teilen Sie uns mit, wo und in welcher Form in der Region Basel gelegentlich Konzerte geboten werden. Wir werden die Hinweise sammeln und eine übersichtliche Karte erstellen. E-Mails an: community@tageswoche.ch
Ob im Swing oder Rock ’n’ Roll-Groove: Die Mikrokonzertszene blüht. Das stellt auch Sebastian Bolli fest, der als einer der ersten Basler Veranstalter konsequent auf kleine Lokale wie das Grenzwert oder das Sääli im Goldenen Fass gesetzt hat. «Ich bin mit der Entwicklung sehr zufrieden, die Rechnung geht auf», sagt er. «Wobei man sich im Klaren sein muss, dass weder Künstler noch Veranstalter oder Lokalbetreiber damit richtig Geld verdienen können.» Wirte würden dies als Marketing- und Promotionsausgaben verbuchen.
Neue Impulse im Kulturangebot
Weil sich Konzerte positiv auf Kundenbindung und Image auswirken, gehen immer mehr Wirte auch aktiv auf Künstler und Booker zu: «Heute gibt es an einem Wochentag oft drei bis vier solcher Anlässe in Basel», sagt Bolli. Umso unverständlicher für ihn, dass manchen Wirten von den Behörden Steine in den Weg gelegt würden (siehe «Konzertverbot der 8-Bar»). Denn für Bolli ist gerade die «Mikroszene» von unschätzbarer Bedeutung für das kulturelle Leben einer Stadt wie Basel: «Es führt zu einer Diversifizierung und zu neuen Impulsen im Kulturangebot.»
Eigentlich sei es eine Win-win-Situation: Die Leute lernen neue Bands und Stile jenseits des Mainstreams kennen, Bands wiederum können Spielpraxis sammeln und so ihr Netzwerk vergrössern. Gerade junge Bands kämen mit «Beizengigs» heute oft überhaupt zu ihren ersten Auftrittsmöglichkeiten. Für die Wirte wiederum lockten die Konzerte ein neues Publikum an. Dass das Mikroangebot die Stadt belebt, bedeutet aber noch lange nicht, dass die Nachfrage nach Livemusik überall gleichermassen boomt.
Bei den mittelgrossen Orten gehören Schwankungen zum Alltag. Das Schiff im Rheinhafen hat sich soeben ganz von der elektronischen Tanzmusik verabschiedet und konzentriert sich neu auf Livemusik von Bossa bis Punkrock. Ein Anbieter mehr in einem umkämpften Markt, wo so verschiedene Faktoren wie Witterung, Tagesform, Verfügbarkeit, Bekanntheitsgrad eines Künstlers, Eintrittspreis oder Lage eine Rolle spielen, ob sich Konzertinteressierte auf die Socken machen.
Denn: Wo bleibt die Garantie auf genügend Publikum, gerade wenn internationale Bands einen Halt einlegen? Diese Frage beschäftigt alle Veranstalter.
Zutaten fürs klare Profil
Auch jene im Volkshaus oder Sud. Schon vor dem Schiff gaben sich diese einen neuen Anstrich – allerdings kann man noch nicht sagen, dass die Programme eine klare Linie und durchs Band eingeschlagen haben: Beim Volkshaus ist das Kulturprogramm schon nur auf der Website dermassen versteckt, als spiele es eine untergeordnete Rolle. Und auch im Sud sucht man noch die idealen Zutaten fürs klare Profil und Stammpublikum.
Das Terrain ist für mittelgrosse Kulturorte steiniger, auch, weil ihnen von verschiedenen Seiten das Wasser abgegraben wird, wie Mich Gehri vom Sud bestätigt: «Sobald die Bands einen bekannten Namen haben, sind sie für uns schnell zu teuer, wenn nicht, ists oft eine Lotterie, ob genügend Leute kommen, da viele Musikfans eher 200 Franken für ein Festival oder den Auftritt eines Superstars zahlen, als zehnmal 20 Franken für herkömmliche Konzertabende.» Das Basler Publikum verhalte sich zunehmend spontaner, sowohl im eigenen Geschmack wie auch beim Ausgehen. «Das macht das Geschäft spannend, aber auch schnelllebig und unübersichtlich.»
Querfinanzierung ermöglicht erst den Livebetrieb
Davon kann auch Steffi Klär von der Kuppel ein Lied singen. Bisher sei die Konzertsaison zwar erfreulich gelaufen: Grössen wie Stiller Has oder Züri West zogen wie erwartet, auch regionale Bands wie Schwellheim sorgten für ein ausverkauftes Haus. Doch kommt es auch mal vor, dass wiederkehrende Bands trotz ihres Bekanntheitsgrads weniger Publikum anlocken. «Wie können wir die richtigen Leute erreichen? Diese Frage stellt man sich ständig.» Schwankungen wären daher ohne Querfinanzierung durch den Barbetrieb fast überall untragbar. Weshalb etwa der Hinterhof beim Dreispitz künftig praktisch nur noch auf Partys setzen will.
Wie die Kuppel ist auch die Kaserne ein wichtiger Szenetreff – auch hier ist man zufrieden mit der Nachfrage nach Konzerten, schrieb im Vorjahr sogar ein Umsatzplus. Als subventionierter Betrieb zwar privilegiert, wird auch hier vorsichtig budgetiert und aufwendig evaluiert. Selbst dann könne man nicht immer abschätzen, wie hoch die Zugkraft einer Band sei, sagt Musikchef Sandro Bernasconi. Basel sei kein einfacher Ort für Konzerte: «Viele internationale Agenturen äussern Bedenken, hierher zu kommen, weil sie in Zürich mit halb so viel Aufwand doppelt so viele Tickets verkaufen.» Gäste aus dem Ausland hätten bereits vermutet, das läge an den «vielen gemütlichen Bars dieser Stadt», meint Bernasconi und schmunzelt.
Vielleicht liegt es ja auch an den Mikrokonzerten, wie sie Sebastian Bolli veranstaltet. Buchte er früher für grössere Betriebe wie das Schiff Konzerte, so sagt er heute: «Meine Devise ist klar: Lieber klein und voll als gross und halbvoll oder gar leer – das Stimmungsbarometer spricht dafür.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.03.13