Mit Blues und Ironie gegen den Stock im Hintern

Boss, Ikone, tragischer Held – Polo Hofer hat Gräben zugeschüttet und hinterlässt doch ein Loch.

Polo Hofer ist mit rauchendem Joint in die Herzen der Bünzli getorkelt, statt sich selber runterbünzeln zu lassen. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Ich mag diese öffentliche Trauer nicht. Als letzte Woche der Sänger von Linkin Park starb, erschrak ich fast mehr ob der vielen Leute, die scheinbar seine Musik so sehr liebten, als über seinen Freitod.

Auch jetzt bei Polo wieder. Ist es wirklich eine Würdigung, wenn man nun sein letztes Selfie mit ihm postet? Seinen letzten Bericht über ihn? Den letzten gemeinsamen Song? Macht der Tod einen Menschen wertvoller? Wird eine öffentliche Person automatisch eine Ikone, wenn sie stirbt? Und was passiert, wenn Blocher mal stirbt?

Man könnte diese Fragen als überflüssig, unangebracht oder gar pietätlos bezeichnen. Ich mag es aber, alles immer zu hinterfragen. Und diese nervige Angewohnheit sei vorbildlich. Wisst ihr, wer mir das gesagt hat? Polo Hofer.

Paris-Hilton-Prosecco in Polodingen

Ich habe ihn gemocht. Wir haben nie über Politik diskutiert. Aber über das Leben. Meistens über Musik. Meistens in angetrunkenem Zustand. Dank Polo habe ich das erste Mal Geld für ein Interview erhalten.

Wir haben damals einen gemeinsamen Song promotet. Ich fand Polo einen richtigen Boss. Er wohnte in Polodingen, ich meine Oberhofen, in einer Villa am See, schlürfte Paris-Hilton-Prosecco aus unzähligen kleinen Dosen, die er in seinem Rucksack gebunkert hatte, und bewegte sich nur für die Kunst oder die Liebe freiwillig. Wenn der Boulevard was wollte, musste er Kohle hinblättern. Yolo Hofer.

Die Musik von heute ist höchstens ein Klaps auf den Po des Gutbürgers. Am Stock im Allerwertesten wird nicht gerüttelt.

Heute versuchen viele zu sein wie er. Aber das sind alles keine Polos. Können sie auch nicht sein. Polo ist damals mit langen Haaren und rauchendem Joint in die Herzen der Bünzlis getorkelt. Die Medien haben die Paradiesvogelscheuche so oft thematisiert, dass er irgendwann zum Polo National und somit zur helvetischen Ikone wurde.

Davon können heutige Künstler bloss träumen. Heute wird nur noch auf den Mainstream losgelassen, wer lyrisch, sound- und imagetechnisch bereits so sehr runtergebünzelt wurde, dass seine Musik höchstens ein Klaps auf den Po des Gutbürgers ist. Am Stock im Allerwertesten wird tunlichst nicht gerüttelt. So fehlt eben all diesen neuen Mundart-Barden eigentlich ziemlich alles, was Polo ausmachte. Der wahre Blues, das Abgefuckte, das etwas Verbitterte, aus dem immer wieder ein brillanter Funke Ironie oder wahre Freude entsprang.

Polo war ein tragischer Held. Zu links für die Rechten, zu rechts für die Linken, und nach seiner Pionierarbeit in Sachen Mundart-Rock gefangen in diesem Götzenbild des Polo National, mit dem es sich sehr gut leben liess, auch wenn man sehr viel trinken musste, um zu ignorieren, dass es auch von Rolf Knie hätte gemalt sein können.

Rap fand Polo Hofer überflüssig, da wurde ihm zu viel geredet. Den Mundart-Rap wollte er dann aber doch erfunden haben.

Das war vielleicht etwas, das uns verband. Dass ich eine beatboxende Mikroversion von ihm war. Irgendwie aufmüpfig, kritisch und aus der Rolle tanzend, aber gerade deshalb von verschiedenen Instanzen zur Kultfigur gemacht. In meinem Fall ein Figürchen.

Aber nicht nur das: Im Gegensatz zu manch anderen, die bei meinen Beatbox-Geräuschen kreischend das Weite suchen, interessierte Polo sich sehr für meine mündlich überlieferten Grooves und für meine Loopereien. Im Herzen war er Schlagzeuger, das Mikrofon übernahm er nur, um Chicks abzuschleppen. Rap fand er allgemein überflüssig, da wurde ihm zu viel geredet. Den Mundart-Rap wollte er dann aber doch erfunden haben.

«Es chunnt aues wider guet»

Er verstand bei diesen MCs die Hälfte nicht und überhaupt sei das alles gar nicht rein gereimt. Dass «Bi äbe tribe vo Libidosäft, wie Buebe, und ma chuum Gäud verlide/ Mis Läbe isch es Risikogschäfft wie Blueme zum Säuberschniide» ein besserer Zweizeiler ist als «Mir verlüre nid dr Muet/ Und hoffe, es chunnt aues wider guet», wollte er mir nie glauben.

«Wenn du nicht klar und einfach redest in deinen Songs, wirst du das breite Publikum nie erreichen», sagte er und sollte recht behalten. Mein bis heute einziger Song, der annähernd ein Hit wurde, ist ein Stück mit ihm, aus dem auch der Muet/guet-Reim stammt.

Wenn Polo abgeschrieben hat, dann hat er gut geklaut und nicht schlecht kopiert.

Polo wurde immer wieder mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Er soll Songs kopiert haben und seine besten Sprüche stammten angeblich von anderen. Wenn das stimmt, dann hat er gut geklaut und nicht schlecht kopiert. Das ist der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Künstler. (Diese Weisheit stammt übrigens nicht von mir.)

Für mich war und bleibt Polo Hofer ein Held und eine Ausnahmeerscheinung. Ich bin froh und stolz, dass ich diesen Schweizer Serge Gainsbourg, diesen berndeutschen Udo Lindenberg kennenlernen durfte. Obwohl uns zum Glück noch einige Legenden lebend erhalten bleiben, wird Polo ein Loch hinterlassen.

Für eine Füllung dieses Vakuums blicke ich hoffnungsvoll in eine Richtung, die vielen, inklusive Polo, wohl nicht passen würde. Ich schaue auf die Strasse, zu den Rappern, zu den neuen. Ich meine damit nicht mich und meine Freunde. Ich meine die neuen jungen Wilden, die selbst den Alteingesessenen der Hip-Hop-Szene suspekt sind.

Die Bünzlikruste ist inzwischen fast zu dick, um was Gutes durchzulassen. Aber die neuen Mundart-Poeten werden von der Strasse kommen. Hoffen wir, dass einer es schafft, ungefiltert von Plattenfirma, Radio und Fernsehen, jenseits dieser unerträglichen Wohlfühl-Diktatur und Swissness die Volksseele aufzurütteln, so wie damals Polo. Ich glaube, er hätte seine Freude daran.

Polo, wir machen weiter. Ich trinke, weine und denk an dich.

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