Mit einem Bein im Knast

Die Dokumentarfilmerin Susanne Meures begleitet in «Raving Iran» die beiden iranischen Techno-DJs Anoosh und Arash. Weil sie Raves organisieren, werden sie in ihrem Land von den Sicherheitsbehörden verfolgt. Ein Auftritt in Zürich verändert ihr Leben.

Wüste und Repression: Viel mehr erwartet die beiden Teheraner DJs Anoosh und Arash (im Bild, nach einer illegalen Technoparty in der Wüste) in ihrem Land nicht.

(Bild: ©frenetic)

Die Dokumentarfilmerin Susanne Meures begleitet in «Raving Iran» die beiden iranischen Techno-DJs Anoosh und Arash. Weil sie Raves organisieren, werden sie in ihrem Land von den Sicherheitsbehörden verfolgt. Ein Auftritt in Zürich verändert ihr Leben.

Die beiden Techno-DJs Anoosh und Arash sind nervös. Sie haben einen Termin beim iranischen Kulturministerium, um ihr Album anzumelden. Wer seine Musik im Iran ohne Lizenz vertreibt, riskiert im schlimmsten Fall Folter und Gefängnis. Techno und House sind im Iran verboten, offiziell werden nur iranische Volksmusik und klassische Pianomusik geduldet. Aber versuchen kann man es ja mal, haben sich die beiden gedacht.

Das Plattencover ihres Duos «Blade and Beard» zeigt einen bärtigen Mullah: «Die Autoritäten werden sich beleidigt fühlen, wenn ihr das so macht», sagt eine Frau, die bei der Behörde arbeitet. Als Anoosh und Arash fragen, ob es in Ordnung sei, dass sie eine weibliche Sängerin haben, blickt die Beamtin die beiden ungläubig an: «Habt ihr in diesem Land schon mal eine weibliche Leadsängerin gesehen?»

Ihre Platte bekommt keine Lizenz, und die beiden verlassen schnell das Amt, um keine Festnahme zu riskieren.

Kein einfacher Dreh

Mit solchen Szenen zeigt die deutsche Filmemacherin Susanne Meures, wie es um die Kunstfreiheit im Iran bestellt ist. Der Dokumentarfilm «Raving Iran» entstand während ihres Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste. Ein Jahr lang begleitete sie die beiden Teheraner Techno-DJs Anoosh und Arash, reiste dafür fünfmal in den Iran und übermittelte ihr Material verschlüsselt nach Europa. Der Dreh war nicht einfach, was durch wacklige Aufnahmen verdeutlicht wird. Viele Bilder entstanden mithilfe eines in ihre Kleidung eingenähten iPhones.

«Raving Iran» zeigt Anoosh und Arash bei dem Versuch, ihre Platte ohne Lizenz bei alternativen Plattenläden unter dem Tisch zu verkaufen oder illegale Raves in der Wüste zu organisieren. Die beiden Protagonisten stehen dabei oft mit einem Bein im Knast. Immer wieder stellen sie sich die Frage: «Sollen wir bleiben oder sollen wir den Iran verlassen?» Die Idee, einen Schlepper zu bezahlen, verwerfen die beiden. 10’000 Dollar? Zu teuer, zu unsicher. 

Dann erhalten sie eine Einladung aus der Schweiz, um am Lethargy Festival in der roten Fabrik aufzulegen. Anoosh und Arash sind aufgeregt, sie packen ihre Koffer mit dem Hintergedanken, nicht mehr in ihr Land zurückzukehren. In Zürich angekommen, sind sie fasziniert von den tanzenden Ravern an der Street-Parade und den Zelten, in denen Drogen auf ihre Reinheit getestet werden.

Auch das Spiel mit den Geschlechterrollen ist den beiden neu: «Die Männer hier sehen ja besser aus als die Frauen», sagt einer der beiden auf einem Spaziergang durchs sommerliche Zürich. Und diese hohen Benzinpreise erst! Sie überlegen, ob sie einen Asylantrag stellen oder in den Iran zurückfliegen sollen. Anooshs Mutter fleht ihn an: «Bleib in der Schweiz, im Iran erwartet euch kein gutes Leben.»

Bei «Blade and Beard» reinhören:

Ist es ein Zufall, dass Blade and Beard ausgerechnet in Zürich, wo die Regisseurin Susanne Meures lebt, eine Einladung erhalten haben? Man wird das Gefühl nicht los, die Dokumentarfilmerin habe dem Glück der beiden an der einen oder anderen Stelle etwas nachgeholfen. Geschadet hat es dem Film und vor allem den Protagonisten aber nicht. 

Techno als Asylgrund?

Denn was Anoosh und Arash im Falle einer Rückreise nach Teheran hätte widerfahren können, wird durch einen anderen Fall deutlich. Die Brüder Mehdi und Hossein Rajabian wurden im April 2015 in einem dreiminütigen Verfahren zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil sie elektronische Musik verbreitet hatten. Die Anklagepunkte: «Beleidigung des heiligen Islam», «illegale audiovisuelle Aktivitäten» und «Verbreitung von Propaganda gegen die islamische Republik Iran».

Sie traten die Gefängnisstrafe, die auf drei Jahre gesenkt wurde, am 4. Juni an. Ihre «Geständnisse» wurden durch Schläge und Elektroschocks erzwungen. Zugang zu einem Anwalt hatten sie nicht. Am 8. September dieses Jahres sind die beiden in den Hungerstreik getreten, weil die Behörden sie in verschiedenen Sektionen des Gefängnisses untergebracht hatten und ihnen eine angemessene medizinische Versorgung verweigerten. Von Amnesty International werden die beiden als politische Gefangene definiert. Das Evin-Gefängnis in Teheran ist berüchtigt für Folter, sexuellen Missbrauch Gefangener und Hinrichtungen. Ein grosser Teil der politischen Gefangenen im Iran sitzen hier ein.

Obwohl der seit 2013 amtierende Präsident Hassan Rohani im Vergleich zu seinem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad als moderat gilt, hat die Verfolgung von Musikern und Oppositionellen seit seinem Machtantritt zugenommen. Die Zahl der Hinrichtungen stieg im Jahr 2015 auf mindestens 977 an. Auch wenn keine sicheren Zahlen zu China vorliegen, dürften dies an der Einwohnerzahl gemessen die meisten Hinrichtungen auf der Welt sein.

Traumziel Berlin

Vor drei Wochen legten Anoosh und Arash im Berliner Technoclub Kater Blau auf. Sie sind nun weit entfernt von der Welt, in der ihre Kollegen im Knast sitzen. Nach Abschluss des Films wurden sie zwei Jahre lang in der Schweiz geduldet und lebten in einem Asylbewerberheim im Graubünden. Vor Kurzem wurde ihnen Bleiberecht gewährt, jetzt können sie auch in anderen europäischen Ländern auflegen. 

Als sich am Montagmorgen das Berliner Partywochenende langsam seinem Ende zuneigt, ist Anooshs und Arashs Freude mindestens so gross wie die Augen der letzten Nachteulen, die im Kater Blau rumstolpern. «Wir haben immer davon geträumt, in Berlin aufzulegen. Wir wollen hierherziehen und von Berlin aus die ganze Welt erobern.»
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Am Donnerstag, 20.10., legen Anoosh und Arash in Zürich auf: «Raving Iran Premierenparty», Klaus, Zürich.
Der Film läuft unter anderem in Basel in den Kultkinos.

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