Córdoba war einst Kalifatssitz und die grösste Stadt Europas. Touristisch steht sie heute allerdings im Schatten von Sevilla und Granada. Für Geschichtsinteressierte gibt es hier aber weit mehr zu entdecken.
Früh raus, noch leichte Dämmerung, die Souvenir-Shops meist geschlossen, und die Touristenbusse, die ihre Gruppen aus Granada oder Sevilla herkarren, erst auf der Autobahn. Es lohnt sich, die Mezquita von Córdoba fast für sich alleine zu haben, diese «Zierde des Erdkreises».
Al-Andalus, das «Goldene Zeitalter» auf der Iberischen Halbinsel, hat viele Legenden und Spuren einstiger Grösse hinterlassen. In der Zeit ab dem frühen 8. Jahrhundert konnten Religionen, Kulturen und Wissenschaft aufblühen – bis zur christlichen Rückeroberung, welche der Gegend alles mit Schwert und Bibel wieder austrieb.
Ort der Geschichte
Verklärung und Romantisierung gehören zum Mythos dieser untergegangenen Epoche, als der Islam während fast tausend Jahren fester Bestandteil Europas war. Und doch hat die Epoche bereits unvergleichbar Grossartiges hinterlassen, während das Europa nördlich der Pyrenäen noch immer an den Folgen der Völkerwanderung zu kauen hatte.
Vieles davon gehört heute zum festen Reiseprogramm eines Spanienurlaubs:
- die Alhambra in Granada – meistbesuchtes Monument der Halbinsel;
- die Palastanlage Alcàzar in Sevilla, die nur deshalb etwas im Schatten steht, weil neben ihr mit der Bischofskathedrale das drittgrösste Kirchengebäude der Welt erbaut wurde;
- und die Mezquita von Córdoba.
Córdoba war im 10. Jahrhundert Kalifat-Hauptstadt und die grösste Stadt Europas. Steht man heute vor der Moschee, vor der Mezquita, ahnt man, welch immense Bedeutung dieser Ort einst haben musste.
An nichts Geringerem als an zwei der bedeutendsten muslimischen Sakralbauten seiner Zeit hatte sich der Bauherr Abd ar-Rahman orientiert, an der Umayyadenmoschee in Damaskus und der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Schon die schiere Grösse von über 20’000 Quadratmetern macht die Mezquita einzigartig. Noch mehr aber ihre kontemplative Atmosphäre: Inspiriert von den römischen Aquädukten der Halbinsel wurde die Moschee als ein endloser Wald aus Säulen und Rundbögen gestaltet. Diese musste dutzendfach umschreiten, wer zur Gebetsnische am Südostende gelangen wollte.
Die grösste Bausünde des Mittelalters
Als Andalusien zurück ans Christentum fiel, blieb die Mezquita aufgrund ihrer schlichten Erhabenheit als eine der wenigen Moscheen erhalten. Allerdings musste sie dennoch einen Gewaltakt erleiden: Der lokale Bischof hatte im 16. Jahrhundert nämlich den Plan, in die Mitte des Baus eine gotische Kathedrale hineinzuwuchten. Der spanische König Karl I. billigte das von seinem fernen Regierungssitz aus – und bereute es, als er erstmals die Stadt besuchte und die verunstaltete Mezquita zu Gesicht bekam. «Ihr habt etwas erbaut, was es andernorts schon gibt, und dafür etwas zerstört, was einmalig in der Welt war», schimpfte er vor seinem Bischof.
Noch fünf Jahrhunderte später wirkt die erzwungene architektonische Koexistenz zwischen Halbmond und Kreuz noch reichlich grob. Für den frühmorgendlichen Besuch ist die Kathedrale jedoch ein Glücksfall: Während aus der Mitte des Baus das Gemurmel und Gesinge der katholischen Morgenmesse durch die Weite des Raums schweben, sind die Gänge unter den Bögen nahezu leer – Gruppen dürfen erst ab 10 Uhr rein.
Morgens ist es am schönsten
Auch für den Rest der Altstadt lohnt sich der frühe Wecker. Das ehemalige Judenviertel, die Juderia, mit ihren engen Gassen und weiss verputzten Wänden, und selbst die Statue des grossen Maimonides (landet auf jedem zweiten Touristen-Selfie) gehört einem ganz allein.
Vom jüdischen Philosophen und wegweisenden Gelehrten des 12. Jahrhunderts sind – wie überhaupt von der einst glanzvollen jüdischen Geschichte seiner Heimatstadt – nur wenige Spuren übrig geblieben. Neben der Statue erhalten ist eine einzige kleine Synagoge (von einst 300 in Córdoba), deren maurischer Stuck man sonst in kaum einem nichtmuslimischen Gotteshaus findet. Zudem, mehr oder weniger direkt gegenüber, fasst ein kleines Museum die Geschichte und Kultur der sephardischen Juden zusammen – quasi als Zeitfenster zurück in ein vergangenes Córdoba, bevor Reconquista und Inquisition Andalusien vollständig unter die katholische Doktrin trieben.
- Ablaufen: Ein Stadtrundgang durch Córdoba beginnt mit der Mezquita und der Juderia, aber endet nicht dort: Dazu gehören die Festung der christlichen Könige mit ihrem prächtigen Park, der Gang über die alte Römerbrücke über dem Guadalquivir, der Besuch der Überreste des alten Römertempels – und die alten Bäder der Kalifen.
- Ausspannen: Einen neuen Hamam gibt’s natürlich auch, und der ist nach den vielen Fussgängen höchst willkommen. Auch hier gilt: wer an Randzeiten kommt, hat mehr Ruhe.
- Anstossen: Córdoba ist Touristenstadt, an überteuerten und halbbefriedigenden Restaurants herrscht kein Mangel. Sehr geschmeckt haben Fisch und Wein im «Casa Pepe» in der Juderia, der Literaturhistoriker hingegen geht ein paar Schritte weiter zum «Posada del Potro». Hier suchte angeblich einst Don Quijote einen Streit, der gewohnt übel für ihn endete. Heute ist das Haus ein Flamenco-Zentrum. Snacks gibts gleich nebenan.
- Anlesen: Bücher über Al-Andalus und die Geschichte von Córdoba gibt es zuhauf. Ein einfacher Einstieg ist «Stadt der Kalifen» des spanischen Autoren und Kunsthistorikers Antonio Muñoz Molina, das die Stadtgeschichte anhand lebendig verfasster historischer Streifzüge aufschlüsselt.