Mit Jenny um den Block

Gleich ist er weg: Ein Abschiedsspaziergang durch die Bachlettenstrasse of Fame mit Matthyas Jenny.

«Ich kann manchmal ein bisschen gemein sein. Aber nicht zu dir, das ist was anderes.» 

(Bild: Nils Fisch)

Gleich ist er weg: Ein Abschiedsspaziergang durch die Bachlettenstrasse mit Matthyas Jenny, bevor er Basel verlässt.

Als vergangene Woche die neue Kulturpreisträgerin Fabia Zindel bekannt gegeben wurde, tauchte kurze Zeit später auf Facebook ein Kommentar auf:

Verfasser war Matthyas Jenny, stadtbekannter Buchhändler, Literaturförderer und Bücherberg-Hotelier. Wir wussten: Er hat recht. An der Bachlettenstrasse muss was dran sein. Und weiter: Matthyas Jenny wird bald die Stadt verlassen. Weg vom Laden, von Basel, vom verhassten Klüngel. Die Zeit war also reif:

Matthyas Jenny beschränkt sich auf das Nötigste, nicht nur bei dieser Anfrage. Als wir am nächsten Tag in seinem Laden aufkreuzen, kommt er langsam aus der kleinen Wohnung hinter der Ladentheke gelaufen. Warmer Händedruck. «Das ist Frau Probst, sie wird den Laden übernehmen.» Er zeigt auf die freundlich lächelnde Frau auf der anderen Seite der Theke. «Wollen wir los?»

Wir stehen vor dem Eingang des Ladens und erklären ihm unser Konzept. Er nickt langsam, schaut aber an uns vorbei. Ein Teil von ihm hat sich schon verabschiedet, denke ich und lasse mir meine Zigarette von ihm anzünden. Matthyas Jenny hat zwei identische rosa Feuerzeuge, aber nur eines funktioniert.

«Hier wohnt also Fritz Hauser», fange ich an, gehe zum Haus auf der linken Seite der Buchhandlung, und Jenny nickt. «Genau, Alain Claude Sulzer hat auch mal hier gewohnt, aber der ist jetzt ausgezogen.» Auf meine Frage hin, ob die zwei Männer auch öfters bei ihm im Laden waren, nickt er nur. Dann laufen wir weiter, in die andere Richtung. Beim Delikatessenladen auf der anderen Seite der Buchhandlung linsen wir durchs Schaufenster. Die Frau hinter der Theke winkt. «Hier kaufe ich Gemüse, aber nichts anderes, nein, nein, nur Gemüse.» Andere Esswaren seien tabu – schwere Diabetes.

«Buchhändler können nichts. Nur jammern.»

«Buchhändler können nichts. Nur jammern.» (Bild: Nils Fisch)

Während wir weiter die Strasse hinunterlaufen, erzählt Jenny von Meret Oppenheim, mit der er in Carona zusammengelebt hat. «Wenn du die persönlich kennst, dann sind die ganz normal, weisst du. Dann stehen sie in der Küche und tun alles, was normale Menschen auch tun.» Ich erinnere mich an eine Geschichte, die mir ein betrunkener Berliner Galerist einmal an der Art Basel erzählt hat – Meret Oppenheim, wie sie im ersten Stock ihres Hauses mit der Pistole in der Hand hinter den Gardinen wartete und auf jeden zu schiessen drohte, der unten reinkommen wollte. Ich beschliesse, die Geschichte für mich zu behalten.

«Da hinten hat Fabia Zindel ihr Atelier und hier wohnt Bernard Senn, vom SRF, den kennst du vielleicht. Und da hinten wohnt Michèle Binswanger, die kommt manchmal auch vorbei. Und ab hier» – wir sind an einer Gabelung angekommen und Jenny zeigt die Strasse hinunter – «ab hier fängt die Nobody-Zone an. Die No-Name-Zone.» Er kichert. «Nein, das war jetzt etwas gemein. Ich kann manchmal ein bisschen gemein sein. Aber nicht zu dir, das ist was anderes.» Dann läuft er weiter.



«Hier fängt die Nobody-Zone an. Die No-Name-Zone.»

«Hier fängt die Nobody-Zone an. Die No-Name-Zone.» (Bild: Nils Fisch)

Je näher wir zum Zoo kommen, desto herrschaftlicher werden die Häuser. «Hier irgendwo wohnte Arturo Ermini, der Kunstmaler. Aber den kennst du wahrscheinlich nicht. Den kennt heute auch niemand mehr.» Jenny schaut wieder an mir vorbei. «Er hat ein Bild von mir als Kind gemalt, als ich fünf Jahre alt war, für meine Mutter. Ich kann es dir nachher zeigen.» Das Bild bringe er nächste Woche mit dem Auto zu seiner Tochter Zoe nach Wien.

Also von Basel erst mal nach Wien. Und was kommt danach? – «Danach bin ich weg.» Er schweigt kurz und zeigt dann auf den grossen Eingang auf der anderen Strassenseite. «Hier ist der Zoo, aber der ist ja nicht so interessant.»



«Es ist nur eine Strasse. Und irgendwo muss man ja wohnen.»

«Es ist nur eine Strasse. Und irgendwo muss man ja wohnen.» (Bild: Nils Fisch)

Wir sind am oberen Ende der Bachlettenstrasse angekommen, irgendjemand ist in das Strassenschild gefahren, was der Fotograf sehr witzig findet und Jenny bittet, sich darauf abzustützen. Dieser lacht und stützt sich springend auf das Schild, die bereits fünfte Zigarette im Mundwinkel. Wie siebzig sieht er nicht aus, denke ich und frage ihn nach der Bachlettenstrasse, und was sie so besonders macht. «Es ist nur eine Strasse», antwortet er und zündet sich eine weitere Zigarette an, «und irgendwo muss man ja wohnen.»

Recht hat er, und doch gibt es in dieser Strasse auch Menschen, die eine romantischere Erklärung für den Charme der Bachlettenstrasse haben. Rolf d’Aujourd’hui, ein Archäologe, der seit seiner Kindheit im oberen Teil der Bachlettenstrasse wohnt, meint zwar auch, dass die hohe Dichte an Kulturschaffenden einem schönen Zufall geschuldet ist, die Strasse aber doch einen einzigartigen Reiz habe. Ihre Südexposition und der Blick von den oberen Stockwerken der Häuser auf den Gempen und in den Jura sei inspirierend – und wer einmal hingezogen sei, der verlasse die Bachlettenstrasse so schnell nicht wieder.  

Wie auch Augenärztin Erika Sutter. Matthyas Jenny erzählt, wie die langjährige Bachletten-Bewohnerin bis ganz kurz vor ihrem Tod noch regelmässig zu ihm in den Laden kam – mit 95 Jahren. «Gegen Ende hat sie vermehrt Religiöses gekauft, Göttliches, was man halt so kauft in dem Alter.» Für ihn sei das nichts. «Me läbt, me stirbt, und fertig.»

 «Me läbt, me stirbt, und fertig.»

 «Me läbt, me stirbt, und fertig.» (Bild: Nils Fisch)

Gestorben seien sowieso ganz viele hier in der Strasse, fast alle. Er schweigt wieder. Mir fällt auf, dass er seine zahlreichen angezündeten Zigaretten nicht raucht, sondern nur abbrennen lässt. 

Gleich sind wir wieder beim Laden. Viele Friseure gebe es hier!, ruft Jenny plötzlich. «In dieser Strasse sind vier Coiffeure, sie haben die Kulturpreisträger überrundet!» Er lacht. Sein Coiffeur habe auch mal seinen Laden in der Bachlettenstrasse gehabt, jetzt sei er aber woanders. Alle sechs Monate komme er im Laden vorbei und schneide ihm die Haare, im Tausch gegen ein Buch von den Peanuts. Das sei praktisch: «In der Edition kommt jedes halbe Jahr ein neues Exemplar raus.»

Wir gehen an einem Schönheitssalon («ist dieser Hund da drin echt? Ah ja.») und am Delikatessenladen vorbei und als wir wieder vor der Buchhandlung stehen, lädt uns Jenny in die kleine Küche hinten im Laden ein. Sie ist vollgestellt mit Büchern, Schachteln und Papierbergen – vor Kurzem sei hier noch Hansjörg Schneider gesessen und habe Bücher signiert, sagt er, räumt ein paar schmutzige Teller zur Seite und macht uns einen Kaffee.



«Lesen war zur Ruhestellung»

«Lesen war zur Ruhestellung» (Bild: Nils Fisch)

Dann erzählt er uns von seiner Liebe zu Raststätten («Wenn ich hier weg bin, bin ich nur noch mit dem Auto unterwegs, da ist genug Platz, da kann man bequem drin wohnen. Habe ich früher auch immer so gemacht.»), von seinem Unmut gegenüber Buchhändlern («Buchhändler können nichts. Nur jammern.») und von den Anfängen beim Basler Lyrikpreis («Da hiess es zwar ‹Anonymer Gönner›, aber die 3000 Franken Preisgeld habe damals ich gestellt. Das kann ich ja jetzt sagen. Jetzt ist es ja eh vorbei.»). Zum Schluss zeigt er uns noch das Ermini-Bild.

Ich zeige auf das Kinderbuch in den Händen des kleinen Jungen. «Schon da ein leidenschaftlicher Leser!» rufe ich. Jenny lacht. «Das war zum ruhig Stellen», sagt er und ich überlege mir, ihn zu fragen, ob das heute auch noch zutreffe. Aber Matthyas Jenny läuft bereits zur Küche hinaus. Ich schaue den Fotografen an. Es ist Zeit zu gehen, auch für uns.

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