Mit Stroboskop und Strom zum Sinnesrausch

Es blitzt und donnert, rauscht und klingt: In Haroon Mirzas multimedialen Installationen im Museum Tinguely werden alle Sinne angesprochen, vor allem aber Augen und Ohren.

Haroon Mirza erhebt selbst den schalldämpfenden Schaumgummi zur Kunst.

(Bild: Karen N. Gerig)

Es blitzt und donnert, rauscht und klingt: In Haroon Mirzas multimedialen Installationen im Museum Tinguely werden alle Sinne angesprochen, vor allem aber Augen und Ohren.

Jean Tinguelys «Totentanz» lebt. Er tanzt auch sonst immer und quietscht dazu, doch nun schlägt sein Herz – dank einer Intervention des Künstlers Haroon Mirza. Dieser taucht den Raum im Museum Tinguely mittels einer Lichtshow in eine Dancefloor-Atmosphäre und legt dazu noch Bässe auf. Zumindest klingt es so, denn eigentlich ist der herzschlagartige Beat nichts anderes als der Strom, den Mirza hörbar macht.

Bei Haroon Mirza, wohnhaft in London, werden Werke anderer Künstler zu Material für seine eigenen Arbeiten. Tinguelys «Totentanz» ist von diesem Konzept im Vergleich zu anderen Arbeiten wenig betroffen, und auch einige Tinguely-Radios, die Mirza einbindet. Ein Hohlspiegel von Anish Kapoor dagegen ist kaum mehr zu erkennen: Er hängt an der hinteren Wand eines schmalen Ganges, der zum Ausstellungsraum umfunktioniert wurde. Dieser Gang wird von Stroboskopblitzen erhellt, die auch zu hören sind.

Haroon Mirza funktioniert einen Hohlspiegel von Anish Kapoor um – im Museum Tinguely.

Posted by TagesWoche Kultur on Mittwoch, 10. Juni 2015

Während Kapoor sich in seinem Werk mit den Spiegelungen begnügt, die sich durch die Krümmung des Spiegels ergeben, erweitert Mirza das Werk – bis zur Unkenntlichkeit. Es braucht Mut, mit einem hochbewerteten Kunstwerk so umzugehen, auch wenn es eine Form von Respekt ist, die Mirza damit dem Werk Kapoors zollt.

Die Kunst der Kollaboration

Kunst, findet Mirza, ist immer eine Zusammenarbeit verschiedener Akteure. Sei es im Studio, sei es beim Ausstellungsaufbau, oder sei es eben in der Form des Dialogs, der sich zwischen den Werken mehrerer Künstler ergeben kann. Die Ausstellung im Museum Tinguely soll diese unterschiedlichen Ebenen zeigen – sie bringt Arbeiten, die von A bis Z in Haroons Atelier entstanden, zusammen mit Werken Tinguelys vor Ort oder auch mit der Raumarchitektur und der sehr aufwendig gestalteten Szenografie. Alles wird eingebunden, und sei es nur durch ein Kabel, das in der Wand des einen Raumes verschwindet, um auf der anderen Seite wieder aufzutauchen.

Kabel sind überhaupt sehr wichtig, denn Elektrizität – deren Fähigkeit als Träger von Informationen – ist das unabdingbare Mittel zum Zweck in Haroon Mirzas Werken. Grundelemente seiner Kunst sind neben den Werken anderer Künstler deshalb Ton und Licht sowie Video und Film, meist in multimedialer Kombination.

Audiovisuelles Spektakel

Die Ausstellung spricht alle Sinne an. Eindrücklich sind vor allem jene Räume, in die man als Besucher regelrecht eintauchen kann; beispielsweise der Hallraum, den man nur allein betreten darf. Darin herrscht zuerst Dunkelheit, bis plötzlich ein weisses Licht den Raum blendend erhellt. Dazu erschallt ein Ton, der – wie uns Kurator Roland Wetzel erklärt – von Wasser stammt, das durch einen Duschkopf rauscht. Er klingt wieder ab, hallt aber lange nach. Man dürfe auch klatschen oder schreien, um den Hall des Raumes zu testen, heisst es. Doch ist dies gar nicht wirklich nötig.

Hinter einer weiteren Tür – die Ausstellung ist durchs ganze Museum verteilt, vom zweiten Ober- bis ins zweite Untergeschoss – ziehen zuerst minimalistisch anmutende Gemälde unseren Blick auf sich. Es sind konzeptuelle Zeichnungen von Channa Horwitz, sogenannte sonakinetische Bilder, eigentliche Notationen. Mirza setzt diese Kompositionen in einem um die Ecke befindlichen Raum um: Jeder Ton entspricht einer Lichtfarbe, die im Rhythmus der Zeichnungen Horwitz‘ wechseln und so ein audiovisuelles Erlebnis bieten.

In einem dritten grossen Raum verbindet Mirza drei Arbeiten verschiedener Künstler zu einer einzigen, eigenen: Auf eine Leinwand wird ein Film von Guy Sherwin projiziert. Sherwin hat dafür in einen Filmstreifen Löcher gestanzt, durch die bei der Projektion in unregelmässigem Abstand Licht auf die Leinwand fällt. Den Rhythmus, der sich so ergibt, hat Mirza als Impulsgeber auf die Tonspur eines Videofilms von Jeremy Deller übertragen und die beiden Arbeiten auf diese Art miteinander verknüpft.

Manche von Mirzas Arbeiten sind wie ein Knoten, den man lösen muss, um das Werk in seiner Gesamtheit zu begreifen. Das ist nicht immer einfach. Vor allem aber muss man die Arbeiten erleben, denn keine Beschreibung kann leisten, was das Erlebnis ausmacht. Auch diese hier nicht.

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Haroon Mirza, Museum Tinguely, 10. Juni bis 6. September 2015.

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