Sophie Hunger hat die Schweiz verlassen. Zurück kehrt sie nur für tolle Konzerte und zum Sterben.
«Jetzt kommt was Anstrengendes», sagt Sophie Hunger und fährt sich nervös über den Pony. «Es scheißt mich richtig an.» Und man denkt erst, sie hätte einen besonders schwierigen Song zu bewältigen, Lyrics, die sie manchmal vergisst. Aber nein, Hunger beginnt ein flammendes Plädoyer gegen die Durchsetzungsinitiative. «Es muss ein solches ‹Nein› werden, dass man von diesen Idioten zwölf Monate lang nichts mehr hört!» Die Zustimmung in der ausverkauften Kaserne ist ihr sicher.
Sophie Hunger, die Polyglotte, Kosmopolitische, die längst in Berlin und Paris lebt, auch mal in Kalifornien, ist durch ihren Wegzug aus Zürich, so scheint’s, heute eine ganz Andere geworden, als sie es noch in den Tagen ihres Debüts «Monday’s Ghost» war. Sie ist angriffslustig, mischt sich in politische Diskussionen ein, gerade auch, wenn es um ihre Heimat geht. Zeigt sich spielerisch-spöttisch, ohne das manchmal Irritierende, Verletzende der frühen Tage. Und, dank der Gitarren, die sie nun so gerne einsetzt, geht sie auch gerne mit Testosteron schwanger.
Neue Aufmüpfigkeit
Von all dem profitiert auch die Bühne, wie sich am Samstagabend in der Kaserne zeigte. Seit dem letzten Sommer spielt sie dieses Programm ihrer neuen CD «Supermoon», und ihre Band ist seitdem zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen, hat die Songdetails weiterentwickelt.
Auch wer sie im Juli auf dem Lörracher Marktplatz gehört hat, konnte Neues entdecken. Etwa, wie sie zum Auftakt das Titelstück, diese kalte Folkhymne auf die Einsamkeit des Mondes anstimmt: rhythmisch fast verloren, nachsinnend, mit eingeschobenem Wolfsgeheul und eisigem Jaulen auf der E-Gitarre. Oder die Finessen in «Fathr», wo donnernde Toms gegen Celesta-Effekte gesetzt werden und schließlich ein jazzig versponnener Dialog zwischen Piano und Drums beginnt. Der wunderbare Alexis Anérilles an den Tasten setzt in «Das Neue» noch eins drauf: Von Chopin-artigem Fantasieen entwickelt er ein gewaltiges Crescendo, reisst die Rhythmusgruppe von Simon Gerber (b) und Alberto Malo (dr) zu dramaturgischen Höhenflügen mit. Diese Band atmet wie ein einziger Körper.
Sophie Hunger und ihre Band harmonieren hervorragend, Ton für Ton. (Bild: Eleni Kougionis)
Zuvor hatte Hunger ihre Predigt über die Vergänglichkeit und Austauschbarkeit der Werte fast wie eine existentialistische Femme Fatale hingemeisselt. Man spürt, sie hat immer mehr Spass am Wort: Den Text von «Die ganze Welt», dieses ohnehin schon sperrige Stück über die Besessenheit von einer Liebe, zerpflückt sie phasenweise mit einem Ansatz zum Dadaismus, Geoffrey Burton liefert dazu Fripp-eske Einlagen.
Von den geräuschhaften Eskapaden des Belgiers auf der Stromgitarre lebt der Abend immer wieder. Sein Instrument ist brüllendes Monster und glühendes Messer, ein eigenwilliges Biest unter Hochspannung. Am auffälligsten zeigt sich das in der Gitarrenschlacht, die er sich am Ende von «Spaghetti mit Spinat» mit der Chefin liefert. Dieses süffige Lied über die Schönen, die aber halt so dumm sind, dass sie alleine nicht exisitieren können, und die Klugen, die den Oberflächenglanz der Schönen brauchen, müsste in einem Schubidu-Universum sofort heilig gesprochen werden.
Eine Liebeserklärung an die Schweiz
Doch Sophies Welt war auch immer eine melancholische, und für diesen Teil ihrer Geschichte gibt es auch genug Raum, vor allem mit älteren Liedern: Als sie das «Spiegelbild» im Scheinwerferkegel solo an der Akustischen vorträgt wird es mucksmäuschenstill, ein bisschen Newport Folk-Atmosphäre kommt auf. Das traurige «Shape» bekommt mit Simon Gerbers Klarinette einen noch wehmütigeren Tupfer. Ganz tief hinab taucht sie in der Zugabe: «Craze» stammt noch aus der Zeit ihrer ersten Band Fisher, und hier kommt noch einmal die ganze Verletzlichkeit ihrer heute so souveränen Stimme zum Vorschein.
Die grösste Überraschung aber lauert in der Bühnenversion «Heicho». Auf der CD erlebt man es als produktionstechnischen Baumkuchen mit vielen Schichten aus Stimmeneffekten. Hier ist es nun ganz verschlankt, federnd mit Pinselschlagzeug, fast inniglich vorgetragen. «Aber i chume sicher hei cho stärbe» – diese Zeile im Song hat für ein paar erhitzte Gemüter gesorgt. Dass sei oft falsch und bösartig verstanden worden, so stellte sie im Interview mit der TagesWoche im letzten Sommer klar. «Doch eigentlich ist es eine Liebeserklärung an die Schweiz, denn ich komme ja fürs Wichtigste wieder nach Hause.»
Wer je an ihrer Liebe zur Heimat gezweifelt hat – in dieser Interpretation liegt sie vor den Hörern wie ein offenes Herz.
Sophie Hunger greift immer lieber zur Gitarre, ihrer Bühnenpräsenz tut das gut. (Bild: Eleni Kougionis)