Während zwei Wochen ist Basel um eine Attraktion reicher: der Musikpavillon auf dem Münsterplatz lädt zum «Reinhören» ein. Die täglich wechselnden Musikperformances sind ein niederschwelliges Kulturangebot, das die Diskussion um die Nutzung des Münsterplatzes neu beleben will.
Es ist gar nicht so leicht, den neuen Musikpavillon auf dem Kleinen Münsterplatz in Basel zu entdecken. In dunklem Braun duckt er sich in den Kastanienhain, gibt weder Ein-, noch Ausgang preis. Vielleicht ist Mitinitiatorin Monika Gelzer deshalb im Umkreis des Pavillons immer in Bewegung, um potentielle Besucher einzuladen – und auch, um allzu lautstark tobende Kinder freundlich in eine andere Ecke des Platzes zu bitten. Denn so angenehm niederschwellig der Zugang zur Kultur hier gestaltet ist, so durchlässig ist er auch: Wo man «reinhören» kann, lässt sich auch wahrnehmen, wie das Leben jenseits des geschützten Kulturraums spielt.
Den kubischen Bau haben zwei Studierende der FHNW Hochschule für Szenographie und Innenarchitektur entworfen: Stefan Waser und Adrian Beerli. Ob die einzelnen Bauelemente tatsächlich die physikalischen Gesetzmässigkeiten von Musikintervallen aufgreifen, wird man kaum überprüfen können – doch ist es ein schöner Gedanke, dem man im Inneren beim Lauschen der Musik nachhängen kann.
Überhaupt lässt es sich im Pavillon ganz wunderbar entspannen. Die roten Sitzsäcke, die gemeinsam mit dem hellen Innenholz ein warmes Licht erzeugen, laden zum Liegen und Lümmeln ein – und werden rege genutzt. Mütter mit schlafenden Neugeborenen auf dem Bauch, Väter mit träumenden Teenagern, Lesende und Schlafende lauschen in den ersten Tagen den Klavierklängen von Marino Formenti, der auf dem Flügel Werke von Cage, Bach und anderen spontan abwechselt und dabei eine entspannte, aber dennoch hochkonzentrierte Stimmung schafft.
Abwechslungsreiche Performances
Auch das weitere Programm verspricht eine aussergewöhnliche Dichte an experimenteller Hochkultur. Am Freitag 16. Mai etwa lässt das acapella-Ensemble «Thélème» die Zuschauer würfeln, ob sie zeitgenössische oder Renaissance-Musik hören wollen. Und am Sonntag zeigen Schauspielerin Ursina Greuel, Pianist Samuel Fried und Bariton Daniel Hellmann eine Musiktheaterperformance, die Zitate aus laufenden Asylverfahren mit romantischen Liedern von Franz Schubert konfrontiert und so die Debatte um «Sans-Papiers-Personen» ganz unmittelbar hör- und fühlbar macht – eine Arbeit, die schon sehr eindrücklich im Neuen Theater am Bahnhof in Arlesheim gezeigt wurde. Bis zum 25. Mai wechseln die Akteure ständig, so dass man eigentlich täglich vorbei schauen sollte: um etwas Neues zu hören, aber auch, um den Münsterplatz und seinen temporären Pavillon in verschiedenem Licht wahrzunehmen.
Denn auch darum geht es den Initianten, dem Verein Pro Münsterplatz, laut Pressemitteilung: um eine «angemessene und den Münsterplatz positiv hervorhebende Belebung». Dieser Anspruch hat seine Geschichte. Eigentlich ist der Basler Münsterplatz ein öffentlicher Ort – allerdings einer, an den besonders gegensätzliche Interessen herangetragen werden. Auf der einen Seite stehen die Veranstalter von Grossevents wie Orange Cinema, Herbstmesse und Weihnachtsmarkt, die den grossen Platz für ihre Zwecke nutzen wollen.
Die elitäre Haltung des Vereins
Auf der anderen Seite stehen die Anwohner, die sich seit 2012 im Verein «Pro Münsterplatz» engagieren. Pascal Eisner (44), Präsident des Vereins Pro Münsterplatz, sagt: «Der Verein ist darum besorgt, dass auf dem Münsterplatz Events stattfinden, die den einzigartigen Charakter des Platzes wahren – und ihn nicht nur aufgrund seiner Grösse nutzen wollen.» Public Viewing bei der Fussballweltmeisterschaft etwa gehöre nicht zu den Events, die den Vereinszielen entsprächen, so Eisner. «Das Orange Cinema wird aber von einem Grossteil der Mitglieder begrüsst. Allerdings sollte die Zahl der Grossevents auf dem Münsterplatz deutlich zurückgehen.»
Doch der Verein setzt sich nicht nur kritisch mit Grossevents auseinander, er tritt dieser Tage mit dem Festival «reinhören» selbst erstmals als Veranstalter auf. Nicht nur, um dem Verhinderer-Image entgegenzuwirken, wie Eisner der Schweiz am Sonntag sagte. Sondern auch, um im Veranstaltungssektor einen neuen Akzent zu setzen: «Es gehört zu unserem Konzept, dass wir einmal wegdenken wollen von der klassischen Form der Konzerte, bei denen Bühne und Publikum strikt getrennt sind und das Programm vorab festgelegt ist», so Eisner. «Im Pavillon steht es den Künstlern frei, wie sie die acht Stunden Performance gestalten; und auch dem Publikum steht es frei, zu kommen, zu bleiben, oder zu gehen, wann es möchte.» Eisner selbst ist passionierter Konzertgänger, stört sich nicht grundsätzlich an den klassischen Formen. «Aber es ist sehr wohltuend, dass es auch andere Formen von Performances gibt.»
Stolzes Budget von 300’000 Franken
Ein weiteres Anliegen des Vereins liegt darin, auf öffentlichem Grund wieder Konsumfreiheit herzustellen, so Eisner. «Heute gibt es kaum einen Ort in der Stadt, an dem nicht etwas zum Verkauf angeboten wird. Bei unserem Festival hingegen gilt ein Konsumationsverbot für den Veranstalter wie für das Publikum. Jeder darf kommen und die Performances geniessen, ohne zu bezahlen, ohne etwas kaufen zu müssen.»
Für das Budget von 300’000 Franken kommen grösstenteils die Christoph-Merian-Stiftung und der Kanton via Swisslos-Fonds auf; die restlichen Kosten werden gemäss Verein von Privaten und Unternehmen bezahlt.
Programmpunkt für Kinder wurde gestrichen
Dass der Verein bei seiner Premiere als Veranstalter auch Unmut auf sich gezogen hat, ist dem Pressecommuniqué des Ensembles Arcimboldo zu entnehmen. Zum Abschluss des Festivals sollte eine resonance-box des Ensembles neben den Erwachsenen auch explizit die jüngsten Musikfreunde (sowie mit Workshops auch Schulklassen) ansprechen, sich im Musikpavillon aktiv mit allen möglichen akustischen Klangerzeugern auseinanderzusetzen. Doch dieser letzte Programmpunkt – wie auch das zweite Projekt des Ensembles, das für den 21.5. noch immer auf den Programmzetteln angekündigt ist – wurde vom Veranstalter kurzfristig abgesagt. Auf Nachfrage erklärt Eisner: «Die Vertragsverhandlungen dauerten sehr lange; letztlich sind wir uns nicht handelseinig geworden.»
Schade – denn gerade für Kinder wäre dieser sich wandelnde Musikpavillon eine wunderbare Gelegenheit, verschiedene Konzertsituationen mit und ohne Mitwirkungsmöglichkeit kennenzulernen. Nun müssen sie sich dem Ruhebedürfnis der Erwachsenen unterordnen. Aber auch das kann gelingen: Denn das Projekt spiegelt auf sehr ästhetische Weise den Ruhepol Münsterplatz, indem er ihm eine Keimzelle zum konzentrierten, spontanen Musikgenuss zur Seite stellt.
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reinhoeren: bis 25.5. täglich wechselnde Musikperformances von 14 bis 22 Uhr.