Politiker, Piazza und Pistolen: In Locarno wohnten mehrere Tausend Menschen der Eröffnung des 66. Internationalen Filmfestivals bei. Liebeserklärungen und Kampfansagen gab es auf der Bühne, actionreiche Schusswechsel auf der Leinwand.
Alain Berset, der Schweizer Innenminister, war bester Laune am Mittwochabend. Warum, erklärte er gleich selber: In keinem anderen Departement sei die Rückkehr aus den Sommerferien so schön wie in seinem – könne er doch einige Tage in Locarno verbringen. Der Romand, dem das Bundesamt für Kultur untersteht, verbindet im Tessin berufliche Aufgaben mit seiner privaten Leidenschaft: Schon vor seiner Wahl zum Bundesrat gehörte er zu den treuen Besuchern des internationalen Filmfestivals, das zum 66. Mal eröffnet worden ist.
Bersets Ansprache war nicht die erste und auch längst nicht die letzte, die an diesem tüppigen Sommerabend gehalten wurde. Viele Worte prasselten auf die geladenen Gäste nieder (später auch Regentropfen), ehe diese zusammen mit den Filmfans der zahlenden Klasse den grossen Eröffnungsfilm auf der Piazza Grande sahen: «2 Guns» von Baltasar Kormákur, eine 60-Millionen-Dollar-Produktion mit Mark Wahlberg und Denzel Washington in den Hauptrollen.
Der temporeiche Actionknaller wurde erstmals ausserhalb der USA gezeigt. Ob der Männerfilm mit viel Kanoneneinsatz und Korruptionseinfluss auch den Cinéasten Berset begeistert hat? Wir wissen es nicht, wissen nicht einmal, ob er ihn sich bis zum Schluss angesehen hat.
Wir wissen einzig: All die Ansprachen (darunter – natürlich – auch die Begrüssung durch den neuen Festivaldirektor Carlo Chatrian) bremsten den temporeichen Eröffnungsfilm aus: Denn der späte Filmstart hatte zur Folge, dass die letzte Hälfte des Films im starken Gewitterregen erduldet werden musste. Weshalb viele der knapp 8000 Premierengäste entweder unter den Arkaden Schutz suchten – oder den Platz gleich ganz verliessen.
Der Eröffnungsabend im Schnelldurchlauf
- Locarnos Stadtpräsidentin Carla Speziali sprach um 19 Uhr von einem «warm welcome». Bei 28 Grad und der Luftfeuchtigkeit von Singapur völlig zutreffend.
- Bundesrat Alain Berset freute sich über die Rückkehr zur Arbeit nach den Sommerferien. Es gibt Schlimmeres als ein Filmfestival zu eröffnen.
- Festivalpräsident Marco Solari gab sich gewohnt kämpferisch für die «Nummer 1 der Schweizer Festivals», das im Unterschied zu anderen Festivals nicht bloss «Vorwand für mondäne Treffen» sei. Ein klarer Seitenhieb ans Zurich Film Festival, das in den letzten Jahren den Schweizer Festivalmarkt und auch den Verteilkampf um Bundes- und Sponsorengelder aufgemischt hat.
- Solari betonte auch einmal mehr, dass Locarno international eine gewichtige Rolle spielen wolle. Die Weltsprache englisch ist ihm bei seinen Ansprachen aber weiterhin fremd.
- Nach dem Abgang von Olivier Père, der vom TV-Sender «Arte» abgeworben wurde, begrüsste erstmals der 42-jährige Italiener Carlo Chatrian das Publikum auf der Piazza Grande. Er ist Italiener und hält damit die Tradition der letzten Jahre aufrecht, wonach die Direktion in Locarno aus der Filmkritik rekrutiert wird, männlich ist und eine romanische Sprache spricht.
- Der Cantautore Vinicio Capossela sang auf der Piazza Grande leise und fragil ein Lied. Seine musikalische Reise nach Griechenland wurde in einer hinteren Reihe mit lautem Buhruf quittiert. Sie dauerte aber auch wirklich lange.
- Umso frenetischer wurde Sir Christopher Lee gefeiert. Der Schauspielstar erhielt einen Excellence Award überreicht, was ihn sichtlich bewegte: «Ich denke an alle, die an meinen Filmen beteiligt waren in den vergangenen Jahren … ja, Jahrhunderten!»
- Der 91-jährige Lee punktete auch mit makellosem Italienisch. Der Brite verriet, dass sich ein Zweig seiner Vorfahren in die Lombardei des 1. Jahrhhunderts zurückverfolgen lasse.
- Und schliesslich amüsierte der Kultschauspieler auch noch mit einem Statement voller Stolz: «Der Kampf in <Star Wars> mit Yoda: Den habe ich geführt – und nicht etwa ein Double!»
- Der isländische Filmemacher Baltasar Kormákur kehrte 13 Jahre nach seinem Filmdebüt nach Locarno zurück – und erinnerte sich lebhaft an seine Anfänge: «Ich hatte unglaublich Schiss, dass sich niemand für meinen Film interessieren würde.» Zu Unrecht: Mit «101 Reykjavik» wurde er 2000 in Locarno und daraufhin von der Welt entdeckt.
- «Er habe Amerika von innen kritisieren wollen», sagte Kormákur und weckte bei den Tausendschaften auf der Piazza Grande gar hohe Erwartungen. Sein Film «2 Guns» ist jedoch nur marginal subversiv. Temporeiches Actionkino, mit einem Schuss Verschwörungstheorie, einem Schuss Humor und einem heissen Schuss versehen. Kurzweilig, aber nicht so raffiniert wie die britischen Gangsterfilme von Guy Ritchie in den 90er-Jahren («Lock, Stock & 2 Smoking Barrels).