Andreas Dresen hat mit «Als wir träumten» den gleichnamigen Wenderoman von Clemens Meyer verfilmt. Ein schneller, drastischer Film mit grossartiger Musik.
Der Beat wummert. Körper zucken. Licht blitzt. Alles ist in Bewegung, das Kollektiv tanzt sich in Ekstase. – Schnitt. Eine Klasse Jungpioniere marschiert zum Appell. Im Gleichschritt. Es wird gelobt und getadelt; jeder weiss, was er zu tun hat. Strenge und Geborgenheit geben einander die Hand. – Schnitt. Fünf Teenager klauen in einem kleinen Quartierladen Bier und Schnaps, liefern sich mit dem geknackten Auto eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei, grölen, saufen, fahren den Wagen zu Schrott. – Schnitt. Jungpionier Rico verweigert in der Schule die Mitarbeit. Er verbrennt sein Halstuch auf dem Schulklo. Sein bester Freund Dani wird von der Lehrerkommission befragt. Ricos Vater sei mit einer Tussi in den Westen abgehauen, deshalb diese Wut, antwortet er.
Das Ende der DDR schrieb viele Geschichten. Eine davon erzählte Clemens Meyer in seinem autobiographisch gefärbten Debütroman «Als wir träumten». Mit hohem Erzähltempo und vielen Szenenwechseln keine einfache Vorlage für einen Film. Doch der erfahrene Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase (84) schaffte es, eine stringente Story zu schreiben, die Regisseur Andreas Dresen (51) mit radikalen Nahaufnahmen, rasantem Tempo und einem peitschenden Soundtrack verfilmte.
Technoclub im Nach-Wende-Leipzig
Fünf Teenager spielen im Nach-Wende-Leipzig mit dem Feuer. Die Freiheit scheint grenzenlos, als Dani (Merlin Rose), Rico (Julius Nitschkoff), Mark (Joel Basman), Paul (Frederic Haselon) und Pitbull (Marcel Heupermann) in einer heruntergekommenen Fabrik ihren eigenen Technoclub eröffnen. Underground ist schick, der Laden brummt. Bis eine Gruppe Neonazis den Fünfen das Leben zur Hölle macht.
Unzählige Schlägereien brutalster Art werden gezeigt. Unzählige Male werden Autos, Schaufenster, Menschen zerstört. Immer wieder fliesst Blut. Nahezu permanent fliesst Alkohol. Bis schliesslich die Drogen in diesem scheinbar rechtsfreien Raum Einzug halten und einen der Freunde das Leben kosten.
Die Wendezeit blitzt dabei immer nur als kurze Rückblenden auf. Die erste Mikrowelle: «Die hat so Strahlen!». Das erste Handy: «Damit kannst Du telefonieren, egal wo Du bist!» – alles Dinge, die auch im Westen anfangs spannend und erst viel später selbstverständlich waren.
Rebellische Jugend im Zentrum
Andreas Dresen hat viel gesagt über seine eigene Wendeerfahrung, hat dem Film viel Wendedramatik hinterhererklärt. Der Film zeigt davon nur wenig. Die rebellische Jugend steht im Vordergrund, und die kann es überall geben. Fünf Freunde, die einen Haufen Scheisse bauen, die eine Überdosis Testosteron rausschleudern müssen, bis sie im Jugendknast landen. Es ist die Zeit der Schwerelosigkeit, in der man abheben oder abstürzen kann. Pubertät eben. In der Wendezeit vielleicht ein bisschen krasser.
Der Reiz des Films liegt in seiner harten, aber ästhetischen Bildsprache. Fast alles spielt sich nachts ab – obwohl die Jugendlichen nach jeder Schlägerei jammern: «Und wie soll ich morgen zur Schule gehen?!» Der Film ist schwarzblau, durchsetzt mit den grellen Scheinwerfern der geklauten Autos und dem Stroboskop-Gewitter in der Disko. Nachts klettern die Jungs auf die Dächer von Leipzig, der Himmel scheint zum Greifen nah. Bis die einen wieder abstürzen in Alkohol und Drogenhandel. Die anderen entscheiden sich für ein legales Leben und stellen sich der Polizei.
Schwierige Frauenfiguren
Bei all dem ist die Elterngeneration nahezu abwesend, mit sich beschäftigt – ein vielfach belegtes Wendephänomen. Aber weshalb zeigt Dresen ein so hochproblematisches Frauenbild? Es treten auf: eine depressive, psychisch übergriffige alleinerziehende Mutter, eine einsame Nachbarin, die den vor den Neonazis flüchtenden Dani zum Sex verführen will, eine andere Nachbarin, die unter Schlägen ihres betrunkenen gewalttätigen Ehemanns «Mord in Deutschland!» aus dem Fenster schreit, eine zugewanderte Asiatin, die dem jungen Paul im Lottoladen den Kopf verdreht, eine Oma, die sich von den fünf Freunden die Kohle hochtragen und das Geld klauen lässt, und Sternchen, eine echte Gangsterbraut, die Dani den Kopf verdreht. Selbst die halbwegs engagierte Lehrerin gibt später ihr Scheitern in der Wendezeit zu: «Vielleicht haben wir Euch damals Eure Fragen zu wenig beantwortet.»
Clemens Meyer schreibt in seinem Roman: «Sicher, wir hatten eine Menge Spass damals, und doch war bei dem, was wir taten, eine Verlorenheit in uns, die ich schwer erklären kann.» Diese Verlorenheit hat Andreas Dresen eingefangen. Mit behutsamen, zärtlichen Momenten, die bei allem Tempo immer wieder durchscheinen. Ansonsten ist dieser Film ein Bilderrausch über eine wilde, raue Jugend, die im unerbittlichen Beat des Techno doch einmal zu Ende geht.