Napoleons Karten

Schweizer Landkarten gehören weltweit zu den genausten. Napoleon war einer der Ersten, der unser Land präzise vermessen liess – um seine Feldzüge genau planen zu können.

Die ins Reine gezeichnete Karte 1:50 000 eines napoleonischen Ingenieur-Geografen von 1806 zeigt die hohe Qualität der französischen Aufnahmen. (Bild: Service historique de la défense – Département de l’armée de terre (Vincennes))

Schweizer Landkarten gehören weltweit zu den genausten. Napoleon war einer der Ersten, der unser Land präzise vermessen liess – um seine Feldzüge genau planen zu können.

Reisenden, die Mitte des 18. Jahrhunderts in der Schweiz unterwegs waren, standen nur bedingt zuverlässige Landkarten zur Verfügung. Dies hatte seinen Grund darin, dass Karten hierzulande bis nach der Französischen Revolution nicht das Resultat einer exakten Vermessung der Landschaft waren. Im besten Fall fand bei ihrer Herstellung ein Augenschein vor Ort statt, ansonsten zog man bereits existierende Karten bei oder beschaffte sich Informationen auf dem Korrespondenzweg. Es erstaunt daher nicht, dass auch die von Johann Jakob Scheuchzer 1712 publizierte Karte der Schweiz – damals die Schweizerkarte par excellence – nicht frei von Fehlern ist.

Die Unzulänglichkeiten von Scheuch­zers Karte blieben auch dem Aargauer Seidenbandfabrikanten Johann Rudolf Meyer (1739–1813) nicht verborgen. Sein Schweizer Atlas sollte hier Abhilfe schaffen. Auch dieses zwischen 1796 und 1802 veröffentlichte Kartenwerk beruhte noch nicht auf einer Dreiecksvermessung nach heutiger Vorstellung. Vielmehr schuf Meyers Mitarbeiter Joa­chim Eugen Müller vor Ort ein Re­lief der Landschaft, aufgrund dessen dann der Strassburger Ingenieur Johann Heinrich Weiss unter Verwendung einer rein grafischen Dreieckskonstruktion die Karte zeichnete.

Heimatliebe und Wirtschaft

Hinter Meyers Schweizer Atlas standen Heimatliebe und landeskundliches Interesse, er war aber auch als kommerzielles Unternehmen gedacht, was angesichts der Entstehungskosten des Werks nicht erstaunt. Meyer hoffte auch, dass mithilfe seiner Karten Salzvorkommen ausfindig gemacht werden könnten.

Der Aargauer Unternehmer war nicht der Einzige, der sich von guten Karten einen Nutzen für die Wirtschaft unseres Landes erhoffte. In der 1759 gegründeten Ökonomischen Gesellschaft Bern hegte man gegen Ende des 18. Jahrhunderts in dieser Hinsicht möglicherweise noch höhere Erwartungen als Meyer. Zu den treibenden Kräften einer Vermessung und Kartierung des Kantons Bern nach neusten Methoden gehörten damals Philipp Albert Stapfer, der Sekretär der Ökonomischen Gesellschaft und spätere helvetische Minister, sowie der mit ihm befreundete Berner Professor für Mathematik und Physik, Johann Georg Tralles. Aus verschiedenen Gründen kam das Berner Vorhaben aber kaum über die Projektphase hinaus.
Ein Bedürfnis nach exakten Karten gab es auch auf Seiten der Militärs. So liess der König von Frankreich, das zu jener Zeit in der Landvermessung und Kartierung führend war, von 1779 bis 1781 den Grenzbereich zur Schweiz im grossen Massstab vermessen und kartieren. Dabei arbeiteten die französischen Ingenieure auch auf Schweizer Boden und vermassen beträchtliche Teile unseres Territoriums. Auch wenn französische Diplomaten bei den betroffenen Kantonen die Erlaubnis dazu eingeholt hatten, verlief nicht immer alles ganz glatt. So beschwerte sich ein französischer Offizier, der 1781 an der Vermessung des Basler Abschnitts beteiligt war, darüber, dass ihm «zu Botmingen grosser Schimpf zugefügt worden, er auch drey Stunden lang im Schloss eingeschlossen gehalten worden ist, indem er mit obrigkeitlicher Erlaubnis beschäftigt war einen Plan über die Grenzen zu verfertigen».

Napoleons Kartenhunger

Dieser Vorfall macht deutlich, so das Fazit des Kartenhistorikers Martin Rickenbacher, «dass die Vermessungstätigkeit französischer Genieoffiziere auf schweizerischem Territorium von der einheimischen Bevölkerung aufmerksam beobachtet und als nicht selbstverständlich empfunden wurde».

Im Sog der Französischen Revolu­tion wurde die Schweiz 1798 ein Teil des französischen Einflussbereichs. 1801 erteilte Napoleon, der immer das bestmögliche Kartenmaterial zur Hand haben wollte, um seine Feldzüge optimal planen und seine Truppen rasch verschieben zu können, seinem Kriegsminister den Auftrag, eine Schweizerkarte erstellen zu lassen. Philipp Albert Stapfer, der damals als helvetischer Gesandter in Paris weilte, bekam von der Sache Wind und setzte sich für ein französisch-helvetisches Gemeinschaftsunternehmen ein. Nach längerem Hin und Her einigten sich die französische und die helvetische Regierung schliesslich über das weitere Vorgehen und die Finanzierung des Vorhabens.
Die französisch-helvetische Kooperation sollte dennoch nicht zustande kommen. Als die französischen Inge­nieure des Bureau topographique Français de l’Hélvetie 1803 in der Schweiz eintrafen, mussten sie feststellen, dass ihnen hier die Partner fehlten. Die Helvetische Republik, mit der Frankreich über das Vorhaben verhandelt hatte, gab es nicht mehr: nach Staatsstreichen und inneren Wirren war dieser Zentralstaat in der Zwischenzeit gemäss Napoleons Wunsch durch einen Staatenbund der Kantone ersetzt worden. Letztere hatten offensichtlich kein Interesse, sich an der Kartierung zu beteiligen. Darauf entschied Napoleon, die Karten auf französische Kosten im Alleingang erstellen zu lassen.

Ganzes Baselbiet kartiert

In der Folge operierte das Bureau topographique Français de l’Hélvetie von Strassburg aus und machte sich ab 1804 in einer Reihe von Kampagnen an die Vermessung und Kartierung der Schweiz und angrenzender Gebiete. Auf Schweizer Boden erhoben die französischen Ingenieure letztmals im Jahr 1813 Daten. Im selben Jahr erlitt Napoleon in der «Völkerschlacht» bei Leipzig eine vernichtende Niederlage, die das Ende seiner Herrschaft und damit auch das Ende der französischen Dominanz einläutete.

Bis zu jenem Zeitpunkt hatten die französischen Ingenieure eine ansehnliche Fläche in der West- und Nordschweiz aufgenommen, darunter auch das ganze Baselbiet und die entsprechenden Karten in je einem Exemplar gezeichnet. Publiziert wurden grosse Teile der damals erhobenen Daten allerdings erst in der Zeit von 1818 bis 1821, als die Franzosen die Karte von Schwaben, die Carte topographique de l’ancienne Souabe 1:100 000, drucken liessen.
Für sein ansprechendes Buch «Napoleons Karten der Schweiz» hat Martin Rickenbacher dieses bisher nicht beachtete Kapitel der Kartengeschichte minutiös untersucht. Neben den historischen Zusammenhängen gilt sein Interesse auch der Frage, welche Exaktheit bei der Erfassung der Landschaft jeweils erreicht wurde.

Erstaunlich genau

Anders als Scheuchzers Schweizerkarte ist Meyers Atlas der Schweiz zwar schon erstaunlich präzis, schneidet aber doch deutlich schlechter ab als die französischen Karten. Trotz ihrer Präzision fanden die als Teil der «Carte de l’ancienne Souabe» veröffentlichten Arbeiten des Bureau topographique Français de l’Hélvetie in der Schweiz aber kaum Beachtung – zu gross war offenbar der Groll gegen die Franzosen und gegen die Verheerungen, die ihre Armeen angerichtet hatten.

Kommt hinzu, dass die Vermessung und Kartierung unseres Landes nach modernen Verfahren erst wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde, als die Anhänger eines Bundesstaates in den 1830er-Jahren an Boden gewannen. Als man sich dann ans Werk machte, kam in der Person des Genfer Kantonsingenieurs Guillaume-Henri Dufour französisches Know-how zum Tragen. Der General des Schweizer Sonderbundkriegs von 1847 hatte sein Ingenieurswissen an der Ecole polytechnique in Paris und an der Ecole supérieure d’application du génie in Metz erworben und war von 1811 bis 1817 im Dienst der französischen Armee gestanden. Seine Topographische Karte der Schweiz im Massstab 1:100 000 begründete nicht nur den Weltruf der schweizerischen Kartografie, sondern stärkte auch das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl der Schweizer.

 

  • Martin Rickenbacher: Napoleons Karten der Schweiz. Landesvermessung als Machtfaktor 1798–1815. Verlag hier+jetzt, Baden 2011. 352 Seiten, 129 Abbildungen. 78 Franken.
    Das Buch wurde in Dortmund mit dem Eratosthenes-Preis 2011 ausgezeichnet.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12

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