Nein, in der neuen Ausstellung geht es nicht um Car-Sharing

Die Kunsthalle zeigt einen Künstler, der mal eben so einen hochkarätigen Personenwagen zerstückelt. Was soll das?

Da schützen auch die buntesten Talismane nicht: Yngve Holen hat für die Ausstellung in der Kunsthalle einen Porsche Panamera zersägt.

(Bild: Philipp Hänger)

Der norwegisch-deutsche Künstler Yngve Holen hängt Gitter als Gemälde auf, macht aus Flugzeugfenstern riesige Talismane und zerschneidet mal eben so einen hochkarätigen Personenwagen. Was will er uns damit sagen? Ein Besuch in der Kunsthalle, kurz vor Eröffnung seiner Ausstellung.

«Yngve Holen? He’s so hot right now.» Wer vergangene Woche am Gallery Weekend in Berlin war, kam nicht um diesen Namen herum: Yngve Holen, Jahrgang 1982, deutsch-norwegisch, hot shit. Zumindest wenn man dem «artnet»-Magazin, dem «Frieze» und den ganzen Berlinern glauben will, die an dem Wochenende durch die Stadt tingelten, um sich die neusten Perlen der dortigen Galerien anzuschauen. 

Und als hätte sie es geahnt, hat Kuratorin Elena Filipovic wieder einmal genau da zugegriffen, wo die Kunstwelt momentan hinlechzt – und Yngve Holen für seine erste institutionelle Solo Show nach Basel in die Kunsthalle eingeladen.

Angesagtes Jungtalent im ruppigen Berlin kommt in eine gesetzte Institution im beschaulichen Basel. Kommt das gut?

Wer die Kunsthalle unter Filipovic kennt, der weiss: Es kommt sogar richtig gut. Die Kuratorin schafft es immer wieder, die ungeschliffenen Diamanten der globalen Künstlerszene aufzuspüren und mit ihnen Ausstellungen aufzugleisen, die sich auf hohem internationalem Niveau bewegen und zugleich wunderbar ins kleine Basel einbetten lassen. Das ist die grosse Stärke der Amerikanerin: Sie greift weit, verliert aber den Boden unter ihren Füssen nicht.

Rote Schuhe, massive Gitter

Also jetzt hot shit Holen. Ein paar Tage vor Ausstellungsbeginn läuft er mit Filipovic durch die Kunsthalle und bespricht letzte Änderungen. Gross und lockig, zertretene rote Turnschuhe, entspannter Gang. Er berührt die massiven Absperrgitter, die wie Gemälde an den Wänden im ersten Raum hängen. «Die haben wir in Frankfurt beim Flugzeug-Scouten gefunden», sagt er und erzählt dann von feinen elektrischen Strömen, die durch die Gitter laufen, um unerwünschte Eindringlinge fernzuhalten. Äh, Flugzeug-Scouten? Er nickt kurz und läuft dann weiter. Als wäre es das Normalste der Welt, auf Flughäfen rumzucruisen und Flugzeuge auszukundschaften. 



Flugzeuggitter hängen wie alte Meister.

Flugzeuggitter hängen wie alte Meister. (Bild: Philipp Hänger)

Sei es für ihn auch, erklärt Filipovic: Seit gut vier Jahren beschäftigt sich Holen mit Flughäfen und den gesellschaftlichen Mechanismen, die sich in ihren Innen- und Aussenräumen abspielen. Es geht um Hierarchien und Machtansprüche und immer wieder um den Körper: Was macht ihn aus, wie wird er behandelt und verhandelt? Entsprechend auch der Ausstellungstitel: «Verticalseat» verweist auf den Budget-Stehsitz, den die Billigfluglinie Ryanair einführen will, damit mehr Passagiere zu billigeren Preisen in Flugzeuge gezwängt werden können. 

Harsche Innen- und Aussenwelt

Bei Ryanair bleibt der privilegierte Körper draussen, bei den Absperrungen drinnen. Und hier? Die Gitter sind genau auf Augenhöhe gehängt, wie alte Meister fein säuberlich in einer Reihe. Ein Zaun, der üblicherweise Unerwünschtes fernhält, als Kunstwerk in den Raum gehängt: Die Welt, die Holen hier andeutet, ist eine Welt der Abgrenzungen, eine harsche Innen- und Aussenwelt. Vielleicht sogar die Welt, die ihn in Berliner Hinterhöfen mit Hotness-Elogen begiesst?

Man braucht es nicht zu wissen. Wenn was bei Holen regiert, dann ist es das Subtile, die Andeutung. Der treffende Anstoss, auf den das ratternde Kopfkino folgt.

«Nihilistisch» nannte «artnet» sein Werk, und es hat was, nicht weil seine Arbeiten jeglichen Ansatz verneinen, sondern weil sie in einer profunden Verweigerung wurzeln, die Welt so anzunehmen, wie sie zu sein hat. Mit dieser Verweigerung nimmt Holen Objekte dieser Welt und funktioniert sie um, «he repurposes them», wie es auf Englisch so schön heisst, was viel besser passt, denn mit «purpose» kommt die Bestimmung mit ins Spiel.

Und die trifft es weit besser als die Funktion: Sie haucht den Objekten Leben ein, macht sie zu beseelten, körperlichen Dingen. Maschinen funktionieren, Lebewesen haben eine Bestimmung.

Unheimliche Motorrad-Augen

Wie die zwei Augen, die am Ende des Raumes in diesen Raum hineinleuchten. Sie gehörten ursprünglich zu einem Motorroller und lassen Freudsche Gefühle hochkommen: Was macht das Unheimliche so unheimlich? Die Tatsache, dass wir uns in ihm erkennen, dass es einen heimeligen Aspekt hat, etwas Menschliches, das aber doch nicht genug menschlich ist, um sich als uns zugehörig auszuzeichnen.

Wieso werden Sachen so designt, dass sie wie Menschen aussehen? Wieso wollen wir uns in Dingen wiedererkennen? Und wieso löst es bei uns dann trotzdem solch ein Unbehagen aus? Das Kopfkino rattert. Im zweiten Raum hängen nur noch solche Scheinwerfer, überwiegend von Motorrädern. «They look like a death mask», sagt Holen. 



Maschine oder Kreatur? Holens umfunktionierte Motorbike-Scheinwerfer.

Maschine oder Kreatur? Holens umfunktionierte Motorbike-Scheinwerfer. (Bild: Philipp Hänger )

Er läuft weiter, beschreibt, was wir in den nächsten Räumen sehen oder sehen werden: 3D-Drucke von seinen und den Stimmbändern eines befreundeten Künstlers, die Filipovic als kleine tanzende Figürchen beschreibt und CT-Scanner, von denen nur noch die Eingänge vorhanden sind. Den Rest hat Holen mit einem Wasserstrahlschneider weggeschnitten. Anstatt wie üblich klinisch weiss sind die Scanner eierschalenfarben – oder RAL 1015, um genau zu sein: hellelfenbein, die Farbe der Berliner Taxis.

Also: Transport, Klasse, Macht, Geld, Ausschluss. Und eine zerschnittene Maschine, die ironischerweise eigentlich dazu da ist, das Innere des Menschen untersuchen zu können, ohne ihn aufschneiden zu müssen.

Talisman hübsch, Porsche futsch

Wer darf rein, wer bleibt draussen? Fragen auch die nachgebildeten Flugzeugfenster aus buntem Glas («Das hier ist zum Beispiel uraniumgrün») im nächsten Raum, die als überdimensionale Nazar-Amulette den bösen Blick abwenden. Das Glas lässt Holen eigens in Dänemark von einem Spezialisten blasen. Kopfkino: Murano, venezianischer Adel, Armut am Bosporus, First Class, Schutzglas, der explodierende Kopf, den man sich als Kind vorgestellt hatte, als man zum ersten Mal vom immensen Druck ausserhalb des Flugzeugs in der Tropopause hörte. 



Wer darf rein, wer bleibt draussen? Flugzeugfenster als mächtige Nazar-Amulette.

Wer darf rein, wer bleibt draussen? Flugzeugfenster als mächtige Nazar-Amulette. (Bild: Philipp Hänger )

Gediegene Schutzzone, denkt man hier, und doch können die ganzen Talismane nicht verhindern, was den Besucher im letzten Raum erwartet: Ein zerstückelter Porsche Panamera, ein Occasionsteil, obwohl man lange mit Porsche um einen Neuwagen verhandelt habe. Ordentlich geviertelt («wie ein Käse») mit einer Diamantbandsäge, die während des Vorgehens zweimal riss. Vorläufiger Titel: «Cake». Mehr braucht man dazu eigentlich gar nicht zu wissen.

Wer trotzdem ein paar Denkanstösse mag: Porsche Panameras sind jene Autos, in denen Leute mit sehr viel Geld ihre Brut ausführen. Der familienfreundlichste Sportwagen der Welt. So säuberlich futsch, dass man sich nicht entscheiden kann, ob es schmerzt oder beglückt. Und irgendwo hallt Marie Antoinettes «Sollen sie eben Kuchen essen» nach. Wie gesagt: Kopfkino. Rattert. Daneben Holen, der mit seinem Freund enthusiastisch einen Viertel Porsche per Gabelstapler in die Höhe stemmt. Er winkt zum Abschied. Hot shit, Holen. 

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«Yngve Holen: Verticalseat», Kunsthalle Basel, 13. Mai bis 14. August 2016.
Vernissage: Donnerstag, 12. Mai 2016, 19 Uhr.

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