Christoph Stiefel trat mit seinem siebenköpfigen Isorhythm Orchestra im Bird’s Eye Jazz Club auf. Was der Zürcher Pianist mit den Isorhythmen der Renaissance gemacht hat, ist beispiellos in der Schweizer Jazzlandschaft,
Da geht ein Jazzer her und greift eine jahrhundertealte Kompositionstechnik auf. Klaubt sich aus ihren Prinzipien die Essenz und formt sie zu seiner unverwechselbaren Handschrift. Was der Zürcher Pianist Christoph Stiefel mit den Isorhythmen der Renaissance gemacht hat, ist beispiellos in der Schweizer Jazzlandschaft, und es dient ihm immer wieder aufs Neue, seine Sprache zu erweitern. Lange hatte er diese in Triobesetzung gepflegt, neulich auch auf seine Duoarbeit mit Lisette Spinnler übertragen, wie man am diesjährigen Jazzfestival Basel erleben konnte. Nun folgte der lange gehegte und endlich realisierte Schritt, die Isorhythmen auch in Bigbandgrösse umzusetzen.
Rhythmische Ebenen
Doch was sind Isorhythmen eigentlich? In der Renaissance beschrieb man damit die Eigenart, rhythmische Passagen einer Motette in abgewandelter Tonhöhe zu wiederholen, und diese gegen die Melodie zu verschieben. Stiefel schafft mit diesem Handwerkszeug markante, ostinate Schlaufen, die sich auf mehreren Ebenen überlagern können, doch er folgt diesem Prinzip nicht stur, spinnt das Grundgerüst durch Improvisation stets fort. Was auf dem Papier reichlich verhirnt anmutet, tönt live alles andere als konstruiert. Davon konnte man sich bei seinem Set im Bird’s Eye überzeugen, für das er mit siebenköpfiger Besetzung angetreten war.
Traumbesetzung
In seinem neuen Isorhythm Orchestra, das jetzt Premiere feierte, vereint Stiefel seine Traummitstreiter. Zum Kern seines Inner Language Trios mit Arne Huber am souverän punktgenauen Bass und dem differenziert malenden Schlagzeuger Kevin Chesham treten ein kompakter Horn-Dreier und die Sängerin Sarah Büchi hinzu. Die glänzt auch gleich am Anfang des Abends. Mit ihrer Komposition «Wishes», getragen durch ein tastendes, suchendes Thema, findet das Septett einen zunächst lyrischen Einstieg, Matthieu Michel tritt mit einem ersten, versonnenen Solo auf dem Flügelhorn hervor. Unmerklich wandelt sich der musikalische Nährboden, die Isorhythmik tritt in den Fokus. Der Unterbau wird zum synkopischen Schub, dessen Drang sich der Hörer nicht entziehen kann und der sich schließlich auch im Klatschen der Bandmitglieder bündelt. Doch bei alledem ist genug Raum für Improvisation, und der unvergleichliche Adrian Mears füllt ihn mit einer wunderbaren Balance aus seelenvoll-sanglichem und Expressivem auf der Posaune.
Beherzt und funky
Im weiteren Verlauf schwenkt das Bühnengeschehen auf noch beherztere Pfade ein: Einer der Isorhythmen kommt in Gestalt von herausskandierten, spitzen Akzenten daher und bietet die Ausgangsbasis für einen kompakten, funky Satz. Dann wiederum schaltet man zurück auf einen langsamen «Iso» mit eigentümlich verzögerter Schlussfloskel, Stiefel beleuchtet seine Substanz geradezu wie in einem Schaukasten mit einem pointierten Solo. Domenic Landolf steigt vom Sax auf delikat und empfindsam gestaltete Linien der Bassklarinette um, und Büchi streut eine Prise honighellen, fast ein wenig naiven Scat ein. Überhaupt funktioniert ihre Stimme als On Top-Textur zur Hornsection formidabel. Und schliesslich der Isorhythmus No. 4, den man vielleicht noch von der Duoarbeit mit Lisette Spinnler im Ohr hat: ein umhereilendes Thema mit Ecken und Kanten, das im Bigbandkontext ungemein an Sattheit und Plastizität gewinnt.
Befreiung vom Korsett
Verblüffend, wie wandlungsfähig sich mit diesen «Isos» arbeiten lässt, wie die akademische Form völlig zurücktritt gegenüber der kreativen Entfaltung. Es ist – so paradox es klingt – die hohe Kunst, sich von einem selbst auferlegten Korsett durch Inspiration wieder ein Stück weit zu befreien. Der alte Widerstreit von Regelwerk und Genialität in einem befruchtenden Gleichgewicht – im Falle von Christoph Stiefels Truppe wurde es zu einem äusserst beglückenden Hörerlebnis.