Nicht ganz hundert: Dani Levys neuer Film «Welt der Wunderlichs»

Dani Levys neuer Film über eine verrückte Familie ist anstrengend. Ans Herz wachsen kann er einem trotzdem.

Schaffts auf die Bühne, trotz neurotischer Familie: Protagonistin Mimi in der Casting Show «Second Chance».

(Bild: X Verleih/Warner)

Dani Levys neuer Film über eine verrückte Familie ist anstrengend. Ans Herz wachsen kann er einem trotzdem.

Manchmal sollte ein Film auf sich selber hören. So die Erkenntnis nach anderthalb Stunden «Welt der Wunderlichs», in denen man anfangs belustigt, dann verstört, dann genervt und schliesslich doch ganz zufrieden ist.

Der neue Film von Dani Levy erzählt die Geschichte von Mimi Wunderlich, einer gescheiterten Musikerin mit einer gescheiterten Familie: Mutter Borderline, Vater suizidal, Schwester narzisstisch, Ex-Mann Junkie, Sohn ADHS.

Warum solche Figuren? Das erklärt Dani Levy im Interview mit der TagesWoche: «Mich berühren Leute, die ein Problem haben»

Mitten in diesem Familienchaos bekommt Mimi plötzlich einen Anruf von der Castingshow «Second Chance» – die Produzenten haben ihr Demotape (danke Ex-Mann!) gehört und wollen unbedingt, dass sie auftritt. Die alleinerziehende Mutter ist nach langem Zögern dabei und begibt sich auf einen Roadtrip nach Zürich – mitsamt Kind und verrücktem Kegel.

Traurige Geschichten …

Perfekte Ausgangslage für ein liebenswürdiges Drama in «Little Miss Sunshine»-Manier, würde man meinen. Doch da hat man die Rechnung ohne Dani Levy gemacht: Dem Basler Regisseur reichen seine interessanten Figuren nicht aus, er muss sie stets noch mit einem gut gemeinten Augenzwinkern beladen.

Das kann funktionieren – man erinnere sich an den sympathisch verschuldeten Jaeckie Zucker in «Alles auf Zucker». Wenn aber zu viele traurige Lebensgeschichten zusammenkommen, hilft auch die herzlichste Verharmlosung nichts. Statt die Abgründe seiner Figuren zu erforschen, nimmt Levy sie im Dienste der Komödie zurück. Das ist schade, denn «Die Welt der Wunderlichs» bietet an sich schon genug spannenden Stoff – Augenzwinkern ausgeschlossen.

 

So sitzt man also da, wünscht dem Film mehr Genügsamkeit und merkt, dass sich Levys idealer Zuschauer nicht auf dem Kinosessel befindet, sondern in der Figur des Produzenten der Castingshow: «Wir lieben interessante Familien!», schreit er Mimi ins Telefon, als diese ihm eröffnet, dass ihre ganze Familie mit anreisen wird. «Wir sind nicht interessant, wir sind Psychos!», schreit Mimi zurück. «Umso besser!», ruft der Produzent.

… schön erzählt

Je crazier, desto sehenswerter lautet die Devise, und die trifft für «Die Welt der Wunderlichs» auch zu. Wunderlicherweise kann man dem ganzen Wahnsinn nämlich doch noch was abgewinnen, was nicht zuletzt an Levys erzählerischem Können liegt. Der Regisseur kriegt immer wieder die Kurve, auch wenn er sie noch so steil angelegt hat.

Am Ende ist «Die Welt der Wunderlichs» wie – tja, wie die Welt der Wunderlichs: Der Film nervt und nervt und nervt; am Ende aber merkt der Zuschauer, wie er ihm ganz schön ans Herz gewachsen ist. Lässt Gnade walten und fühlt sich gut, verantwortungsbewusst und erwachsen dabei. Und jeder Mensch mit präsenten Verwandten kann bezeugen: Das ist der Stoff, aus dem Familien sind. 

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