Nimmerland ist abgestürzt: Theaterfalle Basel auf der Suche nach dem Paradies

Die Theaterfalle Basel setzt seine Suche nach dem Paradies fort. Nach dem Auftakt in der ländlichen Idylle auf den Wasserfallen geht es jetzt auf eine abenteuerliche Spieltour durch die geheimnisvollen urbanen Randgebiete beim Lysbüchel-Areal.

Die Theatergänger als Figuren im Adventure Game.

(Bild: Dominique Spirgi)

Die Theaterfalle Basel setzt seine Suche nach dem Paradies fort. Nach dem Auftakt in der ländlichen Idylle auf den Wasserfallen geht es jetzt auf eine abenteuerliche Spieltour durch die geheimnisvollen urbanen Randgebiete beim Lysbüchel-Areal.

Ruth Widmer, Gründerin und Leiterin der Theater- und Medienfalle Basel, ist ein politischer Mensch. «Ich möchte mit dem Theater bewirken, dass die Leute ganz konkrete Dinge zu hinterfragen beginnen», sagt sie. Zum Beispiel, was im Norden des Lysbüchel-Areals, das der Kanton zum properen neuen Stadtteil umgestalten will, geschehen soll. «Dabei brauchen wir, die Menschen in der Stadt und das Gewerbe, doch noch Orte, wo man lärmig sein kann.»

Nun ist der Plot des theatralen Adventure Games, mit dem die Theaterfalle uns durchs Lysbüchel-Areal führt, an und für sich so unpolitisch wie ein Adventure Game, das man auf dem Computer spielt. An und für sich. Denn der grosse Reiz, der die städteplanerisch noch nicht durchgebürstete Gegend im Norde der Stadt besonders in der Dämmerung und der hereinbrechenden Nacht auf einen ausübt, lässt einen durchaus darüber sinnieren, wie sehr Basel nun fertigverbaut werden soll.

Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies

Eine unheimliche Erscheinung: Die menschliche Schlange im Nimmerland-Space.

Eine unheimliche Erscheinung: Die menschliche Schlange im Nimmerland-Space. (Bild: Tamina Widmer)

Aber das ist der Hintergrund. Vordergründig begeben wir Zuschauer – oder besser Theatergänger – uns auf die Suche nach einen Ausweg aus dem verloreren Paradies. «Nimmerland» nennt sich dieses. «Nimmerland» ist auch der Titel des zweiten Teils der «Elysium»-Reihe, das die Theaterfalle in Angriff genommen hat. Er präsentiert sich ganz anders als der erste Teil («Songlines»), der im Sommer auf den Wasserfallen in einer Art Vorgeschichte ins biblische Paradies geführt hatte. Von der idyllischen, fast unberührten Juralandschaft gehts mitten in einen urbanen (Un-)Ort in der Stadt.

«Nimmerland» war einmal das Paradies, das sich der Computernerd und Hacker Adam als virtuelle Alternative zum tatsächlichen Paradies geschaffen hat, aus dem er zu Beginn aller Zeiten bekanntlich vertrieben worden war. Nun ist es mit selber erschaffenen Paradiesen so eine Sache. Irgendwann funktioniert eine der eingebetteten Figuren nicht mehr so, wie sie sollte – war ja bereits bei der Genesis der Fall – und das Ganze gerät in Schieflage.

Als Spielfiguren auf Rettungsmission

Und wir als Theatergänger sind mitten drin. Im Untergeschoss der Güterhalle des Bahnhofs St. Johann beissen wir in den Apfel, der uns in die virtuelle Spielwelt katapultiert. Die Aufforderung, in den Apfel zu beissen, kommt von Snake, eine unheimliche Mischung aus Mensch und Schlange, die über einen Bildschirm mit uns spricht. Und «wir», das ist eine Gruppe von fünf Theatergängern, die zu Spielfiguren werden und in gemeinschaftlichen Anstrengungen den viralen Sabotageakt unterbinden müssen.

Nun soll hier natürlich nicht zuviel über den Verlauf des Spiels gesagt werden, weil sonst die Spannung des Rätsel- und Abenteuerspiels verloren geht. Nur soviel sei verraten: Man wird gut anderthalb Stunden körperlich und geistig ziemlich auf Trab gehalten, wird dafür mit überraschenden und ausgesprochen unterhaltsamen Erlebnissen und Begegnungen (unter anderem mit den Schauspielern Xenia Bertschmann, Michael Fuchs, Philippe Graff, Nina Halpern, Johanna Rees und Matthias Valance) belohnt.

Die beiden Spielentwickler Philippe Graff und Miro Widmer, die zusammen mit Sarah Gärtner Regie geführt haben, haben ein wundersames Gespür für ein stimmig atmosphärisches Setting an den Tag gelegt.

Hightech im Lowtech-Mantel

Dass das Theater seine Fühler in virtuelle Welten steckt, ist nicht neu. Es begann mit Funkkopfhörern und iPads in der Hand und bedient sich neuerdings auch Datenbrillen. Nimmerland verzichtet darauf. Die reale Umgebung ist geheimnisvoll genug, dass es keine künstliche braucht. Aber es ist ganz schön viel Hightech mit im Spiel, die aber auf reizvolle Art im vermeintlichen Lowtech-Mantel verborgen bleibt.

Ein Beispiel dafür soll hier nun doch verraten sein: Die Gruppe muss über eine Konsole ein Arcade-Spiel durchlaufen. Das Besondere daran ist, dass die Figur, die von einem Teil der Gruppe gesteuert wird, in einem anschliessenden Raum auf einem Rasterfeld, von Bewegungssensoren erfasst, die vorgegebenen Bewegungen physisch vollziehen muss.

Der Weg ist das Ziel

Dass man am Schluss die gestellte Aufgabe lösen kann, ist natürlich befriedigend. Aber es ist nicht das, was nach dem Theatergang in Erinnerung bleibt. Wirklich bestechend ist die Tatsache, dass die Theaterspielmacher Orte aufgespürt haben und nun lustvoll bespielen, die so faszinierend heruntergekommen sind, soviel von ihrer Vergangenheit und endlichen Gegenwart zu erzählen wissen, dass man sie am liebsten gleich unter Ortsbildschutz stellen würde.

Oder wie sagt es Ruth Widmer: «Man hat uns den Spielraum NT-Areal genommen, man hat den Dreispitz herausgeputzt und nun ist das Lysbüchel dran.»
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Theaterfalle Basel: «Nimmerland» aus der Reihe «Elysium». Bis 19. Oktober. Achtung: Es sind nur noch wenige Tickets für vereinzelte Vorstellungen erhältlich.

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